Prof. Wolfgang Wick über Umsetzungsprobleme in der Prävention
Berlin (pag) – In Sachen Prävention gibt es weniger ein Erkenntnis- denn ein Umsetzungsproblem, konstatiert Prof. Wolfgang Wick, Vorsitzender des Wissenschaftsrates, und fordert: „Das müssen wir ändern.“ Der oft verlangte „Turn“ im Gesundheitswesen und in der Medizin hin der Gesunderhaltung müsse endlich verbindlich angegangen werden. Wie genau, verrät der Neurologe im Interview.
Auf einem Symposium hat der Wissenschaftsrat kürzlich gefordert, Prävention neu zu denken. Worin bestehen hierzulande die größten Denkfehler auf diesem Feld?
Wick: Ein Denkfehler wäre es, Prävention allein als medizinisches Thema zu begreifen. Prävention ist vielmehr eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe. Deshalb müssen sich die beteiligten Akteure besser vernetzen. Dies meint sowohl Wissenschaft, Wirtschaft und auch allgemeine Öffentlichkeit wie auch die Politik – und dies ressortübergreifend im Sinne einer konsequenten „Health in all policies“. Weiterhin halte ich Verbotsdiskurse für nicht förderlich. Wir müssen uns stärker Gedanken zu Anreizen für ein gesundheitsbewusstes Verhalten und zielgruppengerechter Kommunikation machen und benötigen hierfür auch ein Zusammenspiel verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und Professionen. Auch Gesundheits- und Datenkompetenzen müssen in der Breite gestärkt werden, nicht zuletzt auch um Möglichkeiten der Digitalisierung besser nutzen zu können.
Worauf kommt es besonders an?
Wick: Prävention in der Gesellschaft und dem alltäglichen Leben besser zu verankern und den bereits oft aufgerufenen „Turn“ im Gesundheitswesen und in der Medizin hin zu einem Ansatz der Gesunderhaltung verbindlich anzugehen. Dabei gilt es aus meiner Sicht auch, bestehende Initiativen und Strukturen gut einzubinden und auch dezentral-regionale Ansätze zu stimulieren sowie einen möglichst breiten, interdisziplinären und interprofessionellen Präventionsbegriff zu stärken. Hier sehe ich eine wichtige Aufgabe für die Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Prävention muss sowohl in Studium und Weiterbildung als auch in Forschung Translation/Transfer in den entsprechenden Fächern, Human- und Zahnmedizin und in den anderen Gesundheitswissenschaften, angemessen berücksichtigt werden.
Auf der Veranstaltung haben sich die unterschiedlichsten Expertinnen und Experten zur Prävention ausgetauscht. Gab es für Sie eine überraschende Erkenntnis?
Wick: Es war vielleicht nicht überraschend, aber doch sehr eindrucksvoll, so gebündelt zu sehen, wie viel Wissen wir einerseits haben in ganz unterschiedlichen Feldern. Dennoch gelingt es uns in Deutschland bislang nicht gut genug, Prävention auch umzusetzen. Es gibt weniger ein Erkenntnis- denn ein Umsetzungsproblem. Das müssen wir ändern. Dafür müssen wir von vielen Seiten zugleich ansetzen. Denn so wenig es die eine Ursache gibt, so wenig gibt es die eine Lösung. Wichtig zu verstehen scheint mir auch, dass wir neben gemeinsamen Zielen, die abstrakt formuliert sicher mehrheitsfähig sind, vor allem eine regionale Durchdringung in den Aktivitäten brauchen. Dies bedeutet vielfältige Ansätze, aber klare Standards und Rahmen, um zum Beispiel die viel beschworene Datennutzung zu ermöglichen. Wir brauchen einen interdisziplinären und multiprofessionellen Ansatz.
Was braucht es, um den sogenannten „Implementation Gap“ in der Prävention nachhaltig zu überwinden? Wie gehen dabei andere Länder vor?
Wick: Aus meiner Sicht müssen wir insbesondere die Anreizsysteme für das Wissenschafts- und Gesundheitssystem in den Blick nehmen und so verändern, dass Prävention einen höheren Stellenwert erhält. Andere Länder gehen bereits voran. Im Rahmen des Symposiums haben wir unter anderem das Beispiel der Niederlande gehört.
Wie wird dort Prävention gestaltet?
Wick: In den Niederlanden debattiert man auf politischer Ebene die verpflichtende Vereinbarung konkreter nationaler Gesundheitsziele, ähnlich wie für andere gesellschaftliche Bereiche zum Beispiel im Falle von Finanz- und Klimazielen. Jeder niederländischen Bürgerin und jedem Bürger sollen fünf zusätzliche gesunde Lebensjahre ermöglicht und die Unterschiede in der gesunden Lebenserwartung zwischen ärmsten und reichsten Bevölkerungsschichten signifikant verringert werden. Zur Erreichung solcher Ziele werden attraktive Vorsorgeangebote und Einbindung der Informationen in das hausärztliche Versorgungsumfeld angeboten, die als wertvoll wahrgenommen werden; es wird aber auch die Lebensmittelindustrie mit ins Boot geholt. Davon könnten wir uns vielleicht auch in Deutschland etwas abschauen.
Zur Person
Der Neurologe Prof. Wolfgang Wick ist seit vergangenem Jahr Vorsitzender des Wissenschaftsrates. Am Universitätsklinikum Heidelberg ist er Ärztlicher Direktor Neurologie und Poliklinik sowie Zentrumssprecher der Kopfklinik. Wick beschäftigt sich mit grundlegenden, translationalen und klinischen Fragestellungen zu hirneigenen Tumoren und Krebsmetastasen im zentralen Nervensystem.
Weiterführender Link:
Der Wissenschaftsrat hat sich kürzlich ausführlich mit Prävention beschäftigt. Die Podcastfolge zu dem Symposium gibt es hier:
https://www.wissenschaftsrat.de/DE/Home/Buehne/_Inhalte/Inhalte_Online/Podcast_Symposium_Praevention