„Personalisierte Prävention“ in der Neurologie

Berlin (pag) – „Prävention innovativer denken“, lautet der Appell von Prof. Daniela Berg, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Anstelle allgemeiner Gesund-
heitsappelle denkt die Parkinson-Expertin an eine „personalisierte Prävention“ – dank mole-
kularer Diagnostik und KI seien in der Neurologie individuelle Risikoprognosen und „Frühest-diagnosen“ möglich, die Handlungsräume für konkrete Präventionsmaßnahmen öffneten.

„Die Medizin in Deutschland ist hochwertig, aber offensichtlich gehen wir nicht nachhaltig genug mit dieser Ressource um“, konstatiert Berg. Es werde eine „kostenintensive Reparaturmedizin“ betrieben, aber nicht in ein besseres Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung investiert, um behandlungsintensive Krankheiten von vornherein zu vermeiden. Die derzeitige gesundheitsökonomische Misere ist Berg zufolge auch Konsequenz einer seit Jahren fehlgeleiteten Incentivierung.

Die DGN-Präsidentin will, dass die Neurologie eine Vorreiterrolle einnimmt, präventive Neurologie soll zu einer Säule des Fachs ausgebaut werden. „Wenn wir wissen, dass bis zu 90 Prozent aller Schlaganfälle auf vermeidbare Risikofaktoren zurückzuführen sind, die Fallzahlen steigen und gleichzeitig die medizinische Versorgung personell wie budgetär an ihre Grenzen stößt, ist Prävention eine effektive Stellschraube.“ Diese nicht zu nutzen, dürfe und könne man sich nicht länger leisten.

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Präzise persönliche Risikoeinschätzung

Berg möchte im Schulterschluss mit Politik und Gesellschaft ein Umdenken anstoßen und wirbt für eine innovative Prävention von neurologischen Krankheiten. Dabei setzt die Expertin auf eine personalisierte Prävention mithilfe neuester Frühdiagnostik und KI-basierter Technologien. Sie erläutert: „Wir haben in der Neurologie viele Krankheiten mit Vorlaufphasen von vielen Jahren und sind zunehmend in der Lage, diese, lange bevor sie klinisch manifest werden, zu diagnostizieren.“ Darüber hinaus ermögliche KI die Generierung von Tools zur präzisen persönlichen Risikoeinschätzung. Wenn ein Mensch wisse, dass er in zehn Jahren an einer Demenz erkranken wird oder sein Schlaganfallrisiko 83 Prozent beträgt, ist die Bereitschaft, eine gesunde Lebensweise anzunehmen und gezielte Präventionsmaßnahmen konsequent umzusetzen, sehr viel höher, so Berg. Erkrankungen könnten dadurch effektiv hinausgezögert, einige auch ganz verhindert werden.

Nach Jahren der Entwicklung von personalisierten Therapien ist es nach Ansicht der Expertin an der Zeit, auch die Prävention zu personalisieren, die Tools dafür gebe es. Wichtig sei dabei auch, die Menschen zu erreichen, die von gezielten Präventionsmaßnahmen besonders profitieren, was heutzutage über soziale Medien möglich sei. „Prävention braucht auch ein besseres Image – weg von Verboten hin zu einer positiven Vermittlung von Chancen und der Freude daran, diesen Mehrwert zu nutzen“, argumentiert die Ärztin. Ein gesunder Lebensstil sollte nicht als Verzicht, sondern als Bereicherung wahrgenommen werden.

Digitale Gesundheit für alle

Hemmoor (pag) – Digitale Gesundheitsangebote wie Telemedizin oder Gesundheits-Apps bieten enorme Möglichkeiten. Sie können die Versorgung effizienter machen und Zugänge erleichtern. Doch in einem Positionspapier warnt die Deutsche Gesellschaft für Public Health: Wenn vulnerable Gruppen – wie ältere Menschen oder sozial Benachteiligte – bei der Entwicklung solcher Lösungen nicht mitgedacht werden, droht die digitale Kluft zu wachsen.

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Das im Bundesgesundheitsblatt erschienene Papier des Fachbereichs Digital Public Health zeigt auf, wie digitale Gesundheitslösungen flächendeckend und sozial gerecht umgesetzt werden können. Die Autorinnen und Autoren fordern Strategien, die alle Bürgerinnen und Bürger erreichen – unabhängig von Alter, Einkommen oder technischer Affinität. „Wir müssen Gesundheitskompetenz fördern und die digitale Spaltung überwinden, sonst verlieren wir das Potenzial der Digitalisierung für Prävention und Versorgung“, sagt Dr. Laura Maaß, Sprecherin des Fachbereichs und Postdoc am Leibniz-WissenschaftsCampus Digital Public Health Bremen.

Als eines der Kernprobleme adressieren die Autorinnen und Autoren die digitale Gesundheitskompetenz: Viele Menschen könnten Apps oder andere digitale Tools nicht richtig nutzen. Dabei sei gerade die Fähigkeit, solche Anwendungen zu verstehen und anzuwenden, entscheidend, um Gesundheitsangebote wirklich zugänglich zu machen. Interaktive und partizipative Ansätze könnten helfen, Patienten besser einzubinden und so die gesundheitliche Eigenverantwortung zu stärken.

Nachhaltige Digitalisierung

Das Positionspapier kritisiert außerdem, dass Digital Public Health in Deutschland noch in den Kinderschuhen stecke. Studiengänge griffen das Thema nur selten auf, und in der Forschung liege der Fokus zu stark auf klinischen Anwendungen. Prävention und Gesundheitsförderung blieben oft außen vor – sowohl in der Forschung und Lehre als auch in der Gesundheitspolitik, die sich fast ausschließlich auf die Digitalisierung der medizinischen Gesundheitsversorgung konzentriere. Die Experten fordern daher, Digitalisierung breiter und nachhaltiger zu denken. Es gehe darum, gesundheitliche Ungleichheiten zu verringern, Prävention zu stärken und die Versorgung effizienter zu machen – ohne dabei jemanden auszuschließen. „Dafür braucht es den Schulterschluss von Politik, Wissenschaft und Praxis“, lautet ihr Appell.

Gesundheitssicherheit: Immenser Nachholbedarf

Berlin (pag) – „Health Security ist ein in Deutschland bislang im Wesentlichen unbeachtetes Thema“, stellt Charité-Chef Prof. Heyo Kroemer fest. Der Vorsitzende des ExpertInnenrats „Gesundheit und Resilienz“ kritisiert anlässlich der siebten Stellungnahme des Gremiums, dass Deutschland „nicht gut auf das Management von Großschadenslagen“ vorbereitet sei, die das Gesundheitswesen betreffen und eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen verschiedenen staatlichen Stellen erfordern.

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Der Titel der siebenseitigen Stellungnahme lautet: „Resilienz und Gesundheitssicherheit im Krisen- und Bündnisfall“. Die Autoren weisen darauf hin, dass militärische Konflikte zukünftig für Deutschland und Europa nicht ausgeschlossen werden könnten. Deshalb müssten sie in der Ausgestaltung der Gesundheitssicherheit in Deutschland mitberücksichtigt werden. Insgesamt raten die Experten dazu, das Aufrechterhalten der Gesundheitssicherheit nicht nur auf reaktiv technische Handlungen zu begrenzen, wie etwa Cyberabwehr bei Cyberangriffen. Vielmehr müsse die Bevölkerung frühzeitig, proaktiv und umfassend vorbereitet werden. Im Repertoire der Maßnahmen werden zuerst die erforderlichen gesetzlichen Regelungen angemahnt. Gemeint ist insbesondere das Gesundheitssicherstellungsgesetz. Das Gesetzesvorhaben liegt seit dem Ampel-Bruch allerdings auf Eis. Den Experten zufolge soll das Gesetz die zivile und militärische Gesundheitsversorgung verzahnen und die jeweiligen Aufgaben zuteilen. Zudem sei eine personelle Reserve zu schulen, die im Krisenfall verstärkend helfen kann.

Starke Fragmentierung

Prof. Leif-Erik Sander, Mitglied des ExpertInnenrats und Klinikdirektor der Infektiologie der Charité, konstatiert: „Neben der in weiten Teilen unzureichenden Infrastruktur erschwert vor allem die starke Fragmentierung von Expertisen und Zuständigkeiten eine effektive Vorbereitung des Gesundheitswesens auf Sicherheitskrisen.“ Sander macht einen Bedarf an gezielten Investitionen und einer koordinierten, intensiven Vorbereitung aller relevanten Akteure aus. Dies erfordere neben klaren gesetzlichen Regelungen eine politische Prioritätensetzung für Gesundheitssicherheit.

Die Experten mahnen an, sich „unverzüglich“ den nötigen Vorbereitungs- und Organisationsaufgaben zu widmen. Der ständige Gast des ExpertInnenrats, Generalstabsarzt Dr. Hans-Ulrich Holtherm, ergänzt, dass das Gesundheitswesen bereits heute regelmäßig hybriden Attacken, wie etwa Cyberangriffen auf die IT-Systeme, ausgesetzt sei. „Um gegen solche und weitere, im Rahmen von Krisensituationen mögliche Risiken vorbereitet zu sein, ist eine resiliente Ausgestaltung des Gesundheitssystems in Deutschland notwendig.“

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Charité-Chef Prof. Heyo Kroemer (Foto links, © pag, Fiolka) und Generalstabsarzt Dr. Hans-Ulrich Holtherm (© Bundeswehr)

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Weiterführender Link:
Stellungnahme des Expert-Innenrats „Gesundheit und Resilienz“

Konflikte am Apothekentresen


Leipzig/Halle (pag) – Ein Forschungskonsortium der Universität Leipzig und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat mehr als 500 Apothekerinnen und Apotheker zur Häufigkeit und Belastung ethischer Konflikte bei ihrer Arbeit befragt. Eine Erkenntnis: Die Berufsgruppe kann schnell vor ethischen Konflikten stehen. Dennoch ist das Thema bisher kaum untersucht.

Ziel der Forschungsarbeit ist es, die Häufigkeit und empfundene Belastung durch ethische Konflikte in öffentlichen Apotheken zu untersuchen. Als häufigsten Konflikt nennen die Teilnehmenden, dass das von der Krankenkasse erstattete Rabattarzneimittel aus pharmazeutischer Sicht nicht am besten zur Therapie geeignet sei. Das zweithäufigste Dilemma ist, dass sie aufgrund von Lieferengpässen auf weniger geeignete Alternativen ausweichen mussten. Platz drei der häufigsten Antworten: Dem Apotheker liegt eine dringende Verschreibung vor, diese enthält jedoch einen formalen Fehler, sodass eine Rücksprache mit dem Arzt erforderlich ist, welcher nicht zu erreichen ist.

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Kollidierende ethische Prinzipien

Definiert wurden 15 Entscheidungssituationen unter Berücksichtigung von kollidierenden ethischen Prinzipien. Sieben der vorab definierten ethischen Konflikte traten bei den Befragten mindestens einmal pro Woche auf. Die Teilnehmenden bewerteten die von einem multiprofessionellen Expertenteam definierten Konflikte in Bezug auf ihre Häufigkeit und die empfundene Belastung. Anschließend wurden die Befragten gebeten, den Einfluss auf ihre Entscheidungsfindung anzugeben. Die Auswertung ergibt, dass drei Überlegungen bevorzugt bei ethischen Konflikten einbezogen werden: pharmazeutisches Wissen, rechtliche Anforderungen und persönliche Wertvorstellungen. 
„Das beinhaltet ethische Konflikte und Herausforderungen, bei denen Abwägungen zwischen unterschiedlichen Werten beziehungsweise Normen getroffen werden müssen“, erläutert Medizinethiker Prof. Jan Schildmann von der Universitätsmedizin Halle.

Das Autorenteam der Studie zieht aus den Ergebnissen unter anderem folgende Schlussfolgerungen: Ethische Inhalte sollten künftig stärker als bisher bereits in der Ausbildung von Apothekerinnen und Apothekern berücksichtigt werden. Auch im Rahmen von Fortbildungen und mit anderen Berufsgruppen sollten ethische Diskussionen geführt werden.

Zwischen Versorgungszukunft und Science-Fiction

Berlin (pag) – Die Anamnese übernimmt der Avatar, die KI schreibt den Arztbrief, die 
Behandler haben mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten. Auf der Digital Health 
Conference des Verbandes Bitkom schwärmen Vertreter der Ärzteschaft, der Krankenkassen und der Industrie von den Möglichkeiten neuer Technologien. Doch sie thematisieren auch die Kostenfrage und die Hürden, die noch überwunden werden müssen.

BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt (im Foto links) und Dr. Christian Lenz, Medizinischer Direktor bei Pfizer © Bitkom, Caroline Wittig

Montags kann man Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt noch regelmäßig in seiner Praxis in Bielefeld antreffen. Und montags ist in deutschen Hausarztpraxen bekanntlich Großkampftag. Wie schön wäre es da, wenn sich die Behandler die Anamnese sparen könnten, die stattdessen per Künstlicher Intelligenz (KI) ein Avatar übernimmt.

„Dann bekomme ich von der KI einen Summary, bevor der Patient kommt.“ Diese Vision skizziert Reinhardt auf der Konferenz. Er hofft, dass sich durch KI und digitale Tools das Verhältnis zwischen Arzt und Patient intensiviere – im Sinne eines Shared Decision Making. Der Patient wird zum gleichberechtigten Partner. „Geteilte Entscheidungen sind die, die am tragfähigsten sind“, lautet Reinhardts Überzeugung.

KI gibt’s nicht zum Nulltarif

Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (im Foto links) und Dr. Andreas Gassen, Vorstandschef der KBV © Bitkom

Auch Dr. Christian Lenz, Medizinischer Direktor bei Pfizer,
glaubt an eine Entlastung des Arztes durch KI-Einsatz, wie er im Bühnengespräch mit Reinhardt sagt. Dokumentation und Administration werde den Medizinern abgenommen. Diese bekämen dadurch mehr Zeit für die Patienten. Die Arbeit werde „erfüllender und besser“. 
Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, geht in eine ähnliche Richtung. Behandlungskapazitäten könnten freigesetzt werden, zum Beispiel wenn eine KI während des Arzt-Patientenkontaktes den Arztbrief schreibt. Die „Gesamteffizienz des Systems“ werde durch KI erhöht, sagt er in einem weiteren Bühnengespräch, das er mit Dr. Andreas Gassen, Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), führt. „Natürlich wird KI einen festen Platz in Therapie und Diagnostik haben“, ist dieser überzeugt. Das sei ohnehin bereits in einigen Bereichen der Fall. Aber es gebe sie nicht zum Nulltarif. Chips seien sehr kostenintensiv. Und: „Der Energiehunger von KI ist gigantisch.“ Gassen glaubt auch nicht – und da geht Reinhardt mit ihm d’accord –, dass digitale Tools den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen lösen. „Das ist Science-Fiction“.

Wie ein „Land voller Nobelpreisträger“

Lenz wünscht sich in Deutschland mehr Mut beim Einsatz von KI. „Wir spielen die Risiken unverhältnismäßig hoch und verbauen uns dadurch die Chance.“ Andere Länder seien enthusiastischer. Er hofft, dass die Skepsis gegenüber Unternehmen abgebaut werde und träumt von Public Private Partnerships. Davon könnten alle Stakeholder profitieren. Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz mit der Weiterentwicklung des Forschungsdatenzentrums begrüßt der Pharmavertreter sehr. Es eröffne die Chance zu Expansionen und Investitionen. Innovationen seien im Grunde ohne KI nicht mehr denkbar, meint er. Ein einzelnes KI-System sei bereits heute mit einem „Land voller Nobelpreis-träger“ vergleichbar.

Klimawandel, Gesundheit und ethische Politik

Augsburg (pag) – Ein Medizinethik-Team der Universität Augsburg hat für den britischen Nuffield Council on Bioethics (NCOB) einen umfassenden Bericht erarbeitet, der die ethischen Herausforderungen, die durch den Klimawandel für die Gesundheit entstehen, beleuchtet. Der Report soll als Grundlage für ethisch fundierte Politikgestaltung dienen.

Der NCOB ist Großbritanniens führendes unabhängiges Forschungs- und Politikzentrum in der Bioethik. Der Bericht für den Rat nimmt die tiefgreifenden Auswirkungen des Klimawandels auf die globale Gesundheit in den Blick, insbesondere für benachteiligte Bevölkerungsgruppen, und diskutiert ethische Prinzipien wie Gerechtigkeit, Solidarität und intergenerationelle Verantwortung. Prof. Verina Wild vom Institut für Ethik und Geschichte der Gesundheit in der Gesellschaft an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg hat mit einem Team den rund 60-seitigen Bericht verfasst. Sie hebt die besondere Verantwortung von Entscheidungsträgern hervor, nachhaltige und gerechte Lösungen zu entwickeln: „Klimawandel und seine Folgen treffen die Schwächsten in unserer Gesellschaft am härtesten.“ Ethisch fundierte politische Maßnahmen seien unverzichtbar, um soziale Ungleichheiten nicht weiter zu verschärfen.

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Globale Ungleichheit

Der Report bietet eine umfassende Analyse von sechs ethischen Ansätzen, darunter Rechte-basierte und Gerechtigkeitsansätze, integrierte Gesundheitskonzepte wie One Health und Planetary Health, indigene und nicht-westliche Perspektiven zur Mensch-Umwelt-Interaktion sowie professionelle Verantwortung von Gesundheitsfachkräften und anderen Berufsgruppen. Wild betont: „Es ist wichtig, den Klimawandel nicht nur als Umweltproblem zu betrachten, sondern seine Auswirkungen auf Gesundheit, soziale Gerechtigkeit und die globale Ungleichheit in den Mittelpunkt zu rücken.“

Die Analyse soll Akteurinnen und Akteure in Politik, Wissenschaft und Praxis eine Grundlage bieten, um unterschiedliche ethische Ansätze, die im Kontext von Klima- und Umweltveränderungen sowie Gesundheit relevant sind, kennenzulernen. Die zentralen Ergebnisse wurden im Beisein des Augsburger Teams am NCOB in London und in Online-Workshops vorgestellt und diskutiert. Auf dieser Basis wird der NCOB konkrete Empfehlungen zu ethisch basierter Politikgestaltung entwickeln. Der Bericht ist den Autoren zufolge auch für Fachleute aus anderen Ländern und Institutionen relevant.

Weiterführender Link:
Report „Ethical Approaches at the Intersection of Climate Change, the Environment and Health“

Ein Comeback von Budgets und Selbstbeteiligung


Berlin (pag) – Bei den Kranken- und Pflegekassen knirscht es finanziell gewaltig. Neben kurzfristigen Hilfen brauche es große Strukturveränderungen, verlangt die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, Ende 2024 auf der Veranstaltung „GKV live“ ihres Verbandes. Der Gesundheitsökonom Prof. Wolfgang Greiner hält die Rückkehr von Budgets und Selbstbeteiligung für „kaum vermeidbar“.

„Inzwischen muss man sagen, dass die Situation geradezu prekär ist“, warnt Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-SV. © stock.adobe.com, Lemonsoup14

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Die GKV verzeichnet für die ersten neun Monate des Jahres 2024 ein Defizit in Höhe von 3,7 Milliarden Euro. Für das Gesamtjahr erwarte man ein Defizit von vier bis viereinhalb Milliarden Euro, so Pfeiffer. Die steigende Ausgabenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung sei zwar seit Jahren eine große Herausforderung. „Inzwischen muss man sagen, dass die Situation geradezu prekär ist“, betont sie. Ähnlich klingt es beim stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbandes, Jens Martin Hoyer: „Die Beitragssatzsprünge zum Jahreswechsel waren kolossal. Die Kassen mussten auf breiter Front anheben“, sagt er Anfang Januar. Bei den tatsächlich erhobenen Zusatzbeiträgen liege man im Mittel nicht bei den prognostizierten 2,5, sondern bei über 2,9 Prozent. 2015 lag der Zusatzbeitragssatz noch bei durchschnittlich etwa 0,8 Prozent.

Greiner: AMNOG-Wirkung überschätzt

Dem Bielefelder Gesundheitsökonom Prof. Wolfgang Greiner zufolge hat sich die Ampel-Regierung zu sehr auf gute Steuereinnahmen verlassen und die einsparende Wirkung des AMNOG überschätzt. Nun stehe man vor enormen Problemen, da Sozialbeiträge jenseits der 50 Prozent für eine Volkswirtschaft „eigentlich undenkbar“ seien, so der Wissenschaftler bei „GKV live“. Bei solchen Größenordnungen könnte man aber in absehbarer Zeit landen – zumal nicht nur generell die Kosten steigen, sondern auch akuter Investitionsbedarf im Gesundheitswesen bestehe.
Zu den verschiedenen Vorschlägen, die bereits seit Längerem zur Lösung des Finanzproblems diskutiert werden, hält Greiner fest, dass die meisten bisher nicht durchgerechnet worden seien. Bei einer Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze sei beispielsweise unklar, wie stark man diese anheben könnte, ohne eine große Abwanderung der betroffenen Versicherten in die Private Krankenversicherung auszulösen. Ähnlich sieht es mit Ideen wie Praxis- beziehungsweise Kontaktgebühren oder der Einführung eines Kapitalfonds aus.

Überstrapazierte Beitragsfinanzierung

„Die Rückkehr von Budgets und Selbstbeteiligung ist kaum vermeidbar“, so das Fazit von Prof. Greiner. © iStock.com, Thicha Satapitanon

Greiner betont, dass sich die Beitragsfinanzierung als Grundpfeiler bewährt habe. „Sie ist nur zurzeit etwas überstrapaziert.“ Der Ökonom glaubt daher, dass eine regelgebundene Steuerfinanzierung hinzukommen müsse. Und: Da Erleichterungen durch Effizienzpotenziale erst langfristig wirkten, sei darüber nachzudenken, „in welcher Form Eigenbeteiligung wieder stärker in den Vordergrund“ treten werde. „Die Rückkehr von Budgets und Selbstbeteiligung ist kaum vermeidbar“, lautet Greiners Fazit. Allerdings schränkt er ein, dass solche Instrumente möglicherweise noch nicht in der kommenden Legislaturperiode ein Thema werden. Aber wenn kein „starker wirtschaftlicher Impuls“ durch das Land gehe, werde die Politik zu solchen Maßnahmen gezwungen sein, prophezeit er.

EMA und ECDC brauchen einen Booster

Brüssel (pag) – Die EU ist noch nicht umfassend auf die Bewältigung von Notlagen größeren Ausmaßes im Bereich der öffentlichen Gesundheit vorbereitet. Zu dieser Einschätzung gelangen die Prüfer des Europäischen Rechnungshofs in einem Sonderbericht.

João Leão, Mitglied des Rechnungshofs, verlangt: „Vier Jahre später müssen die aus der Pandemie gezogenen Lehren nun wirksam auf EU-Ebene umgesetzt werden, damit sich die Geschichte nicht wiederholt.“ Bei der Bewältigung der Corona-Pandemie hätten die beiden medizinischen Agenturen der EU – das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) – eine Schlüsselrolle gespielt.

Ernst der Lage unterschätzt

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) in Amsterdam © EU, Robert Meerding
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) in Amsterdam © EU, Robert Meerding

Den Prüfern zufolge habe das ECDC den Ernst der Lage zunächst unterschätzt. Nach Ausbruch der Krise begann es, Daten über die Pandemie zu erheben, doch die Zahl der gemeldeten Infektionen sei in hohem Maße von den Teststrategien der EU-Länder abhängig gewesen. Die EU-Prüfer betonen, dass zuverlässigere Methoden wie Analysen der Viruskonzentrationen im Abwasser häufiger hätten eingesetzt werden können. Das ECDC habe auch seine Risikobewertungen, Leitlinien und Informationen mitunter zu spät herausgegeben.

Dagegen habe sich die EMA rasch an die Krisenlage angepasst, heißt es. In den frühen Phasen der Pandemie wandte sich die Agentur an potenzielle Impfstoff- und Arzneimittelentwickler und ergriff mehrere andere Maßnahmen, um die Zulassung zu beschleunigen. Den Prüfern zufolge hat die EMA auch dazu beigetragen, medizinische Engpässe
zu bewältigen, die im Laufe der Pandemie auftraten.

Mittlerweile sind die Mandate des ECDC und der EMA klarer festgelegt und gestärkt worden. Die beabsichtigte Überarbeitung des EU-Arzneimittelrechts solle die Zulassung neuer Arzneimittel beschleunigen. Diese Maßnahmen dürften laut den Prüfern einige Lücken schließen und die Fähigkeit der EU verbessern, auf gesundheitliche Notlagen zu reagieren. Allerdings sei der organisatorische Rahmen dadurch komplexer geworden. Die Zuständigkeiten und Befugnisse der 2021 eingerichteten Europäischen Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) überschnitten sich teilweise mit denen des ECDC. Daher fordern die Prüfer eine enge Zusammenarbeit, um Doppelarbeit zu vermeiden.

Zum Hintergrund

Der Auftrag des ECDC besteht darin, bestehende und neue Risiken für die menschliche Gesundheit, die von ansteckenden Krankheiten ausgehen, zu ermitteln, zu bewerten und darüber zu informieren. Die Mittelausstattung des Zentrums beläuft sich 2020 auf 61 Millionen Euro, 2023 auf 90 Millionen Euro. Die EMA ist für die wissenschaftliche Bewertung von Anträgen auf Zulassung von Arzneimitteln im zentralisierten Verfahren zuständig. Ihre Mittelausstattung beträgt 2020 358 Millionen Euro und 2023 458 Millionen Euro.

Weiterführender Link:
Der Sonderbericht 12/2024 „Reaktion der EU auf die COVID 19-Pandemie“ ist auf der Website des Europäischen Rechnungshofs abrufbar.

Die Pandemie, die Politik und die Wissenschaft

Berlin (pag) – Aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie zieht das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (EbM-Netzwerk) ein Resümee für die wissenschaftliche Politikberatung zu Fragen der Gesundheitsversorgung. In dem vierseitigen Papier heißt es unter anderem: „,Die Wissenschaft sagt …‘ ist in mehrfacher Hinsicht keine angemessene Begründung des politischen Handelns.“

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„Die Wissenschaft“ gebe es nicht, halten die beiden Autorinnen Ingrid Mühlhauser und Gabriele Meyer für das Netzwerk fest. Vielmehr existierten viele Wissenschaftsdisziplinen mit ihren jeweiligen Gegenstandsbereichen. „Vor allem gibt es gute und schlechte Wissenschaft. Erkenntnisse der Wissenschaft sind oft widersprüchlich und vorläufig, bis aussagekräftigere Evidenz sie verstärkt oder gar widerlegt“, betonen die beiden. Ergebnisse aus wissenschaftlichen Studien und Politikberatung durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler könnten nur entscheidungsrelevantes Wissen bereitstellen. Die Politik müsse unter Abwägung gesellschaftlicher und rechtlicher Voraussetzungen tragfähige und umsetzbare Entscheidungen treffen.

„Nachvollziehbar und transparent“

Neben der Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme halten Mühlhauser und Meyer es für unabdinglich, dass die Empfehlungen aus wissenschaftlichen Expertengremien „nachvollziehbar und transparent“ gestaltet seien. Dabei müssten auch kontroverse wissenschaftliche Positionen und Unsicherheiten offen kommuniziert werden.

Weitere Forderungen lauten:

  • Wissenschaftliche Politikberatung muss klar getrennt sein von politischen Entscheidungen.
  • Wissenschaftliche Expertenkommissionen sollen die Belange der betroffenen gesellschaftlichen Gruppen repräsentieren.
  • Wissenschaftliche Politikberatung zu Fragen der Gesundheitsversorgung muss der EbM verpflichtet sein.
  • Empfehlungen der wissenschaftlichen Politikberatung müssen methodenbasiert und transparent sein.

Nicht rein wissenschaftlich

Unterdessen hat das Bundesgesundheitsministerium auf eine offizielle Anfrage von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki eingeräumt, dass die entscheidende Risikobewertung, auf der die Corona-Maßnahmen beruhten, nicht rein wissenschaftlich fundiert gewesen sei. Weiter heißt es, dass diese zwar auf wissenschaftlichen Kriterien basierte, am Ende prüfe jedoch das übergeordnete Gesundheitsministerium – da auch eine „Abschätzung der gesellschaftlichen Folgen im Rahmen der Risikobewertung erforderlich“ gewesen sei, teilt das Haus von Prof. Karl Lauterbach (SPD) mit. FDP-Politiker Kubicki kritisiert, dass stets der Eindruck vermittelt wurde, bei den Wortmeldungen des Robert Koch-Instituts handle es sich um den aktuellen wissenschaftlichen Stand, tatsächlich aber im Zweifel der Minister die Hand geführt habe.

Weiterführender Link:
Stellungnahme des EbM-Netzwerks: Wissenschaftliche Politikberatung zur Gesundheitsversorgung – eine Perspektive aus dem Netzwerk Evidenzbasierte Medizin

Heilendes Kapital

Berlin (pag) – Die Private Krankenversicherung (PKV) startet mit „Heal Capital 2“ die zweite Runde ihres Wagniskapitalfonds für digitale Gesundheitsinnovationen. Rund 100 Millionen Euro sollen investiert werden. Laut dem Direktor des PKV-Verbandes, Dr. Florian Reuther, soll es ein Fonds der gesamten Gesundheitswirtschaft werden.

„Heal Capital 2“ soll ein Fond der gesamten Gesundheitswirtschaft werden, so PKV-Verbandschef Dr. Florian Reuther © © iStock, sorbetto
„Heal Capital 2“ soll ein Fond der gesamten Gesundheitswirtschaft werden, so PKV-Verbandschef Dr. Florian Reuther © © iStock, sorbetto

Anders als beim Vorgänger sind bei „Heal Capital 2“ neben der PKV auch weitere Investoren wie der European Investment Fund (EIF) beteiligt. Die PKV will ihre Rolle als „Innovationsmotor“ ausspielen. Man unterstütze Start-ups, die in einer frühen Phase am Markt seien. „Diese werden nicht nur mit Kapital ausgestattet. Sie erhalten Know-how beim Zugang in die klinische Versorgung und bei Fragen der Erstattung“, betont Reuther den „einzigartigen“ Charakter des Fonds. „Heal Capital 1“ prüft seit 2019 über 5.000, vor allem europäische Start-ups aus Diagnostik, Therapie oder Infrastruktur. Der Aufbau des ersten Fonds ist mittlerweile abgeschlossen. Er wird wohl rund 25 Unternehmen fördern und eine Größe von 150 Millionen Euro erreichen. Mit „Heal Capital 2“ startet jetzt eine neue Förderrunde.

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, Katja Hessel (FDP), lobt den Vorstoß: „Wir brauchen Wagniskapital für die digitale Gesundheitsversorgung.“ Es brauche bessere Rahmenbedingungen für den Einsatz von privatem Kapital, um Investitionen zu fördern. Johannes Virkkunen, Bereichsleiter Life-Science
und Healthcare beim EIF, erläutert: „Wir sehen in Europa eine sehr hochwertige Wissenschaft mit vielen Talenten und einer ähnlichen Zahl an Veröffentlichungen und Patenten wie in den USA.“ Trotzdem werde vier bis fünfmal weniger in die Kommerzialisierung von Innovationen im Gesundheitsbereich investiert. Die bayerische Gesundheits- und Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) ergänzt, dass die Refinanzierung letztlich durch Gelder der Krankenkassen erst am Ende einer für Start-up-Verhältnisse langen Reise stehe. Aber auch das Ökosystem um die Gründer müsse stimmen: „Es geht eben nicht nur um Geld, sondern auch oft einfach darum, überhaupt erst Zugang zum Markt zu bekommen.“

Zi informiert über DiGA

Mit digitalen Gesundheitsinnovationen setzt sich auch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) auseinander. Es hat sein Informationsportal kvappradar zu Gesundheits-Apps um zwei weitere Gutachten zu Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) erweitert. Unter www.kvappradar.de stehen wissenschaftliche Bewertungen der beiden DiGA „HelloBetter Stress und Burnout“ und „Selfapys Online-Kurs bei Depression“ zum Abruf bereit. Gegenstand der Begutachtung sind unter anderem Wirkevidenz und Versorgungsbedarf. Das Informationsportal ist seit Dezember 2021 online. Im Unterschied zu App-Stores bietet das Zi dort unter anderem Informationen, ob eine App ein Medizinprodukt ist und wie häufig die referenzierten Diagnosen vorkommen beziehungsweise welche Kriterien für die Diagnosevergabe zugrunde gelegt werden.

Aktuell verfügt die Datenbank über 3.400 Gesundheits-Apps, die mehrheitlich aus der Gesundheitsförderung und Prävention stammen. Darunter befinden sich auch alle 64 derzeit im offiziellen DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelisteten Digitalen Gesundheitsanwendungen.