Stakeholder und Parteien positionieren sich zur Bundestagswahl
Berlin (pag) – Die Wunschliste der Stakeholder im Gesundheitswesen an eine neue Bundesregierung ist lang. Ganz oben steht unter anderem eine Patientensteuerung. Aber auch eine auskömmliche Finanzierung der GKV ist den Verbänden wichtig. Der eine oder andere Punkt findet sich auch in den Wahlprogrammen der Parteien mit den aussichtsreichsten Chancen auf Einzug ins Hohe Haus wieder.

SPD, Union, Grüne und FDP sind sich im Wettstreit zur Bundestagswahl einig: Eine Patientensteuerung in der ambulanten Versorgung ist bitter notwendig. Während Union, Grüne und FDP Hausärzte und Kinderärzte federführend in einem Primärversorgungssystem vorsehen, bleibt die SPD ungenauer und spricht lediglich von „bedarfsgerechter Steuerung“.
Das Bekenntnis dürfte die Vertragsärzteschaft und die Krankenkassen freuen, sprechen sie sich doch auch für eine Patientensteuerung aus. In ihrem Positionspapier zur Wahl macht sich die Bundesärztekammer (BÄK) für ein Primärversorgungssystem stark. Der Status quo ohne Steuerung ist ihrem Präsidenten Dr. Klaus Reinhardt ein Dorn im Auge. Auf einer Pressekonferenz verweist er auf eine Erhebung seiner Heimatärztekammer Westfalen-Lippe, wonach Patienten in bestimmten Regionen durchschnittlich Kontakt zu 1,5 Hausärzten hätten: „Also jeder Zweite hatte einen zweiten Hausarzt, die voneinander in der Regel nichts wissen. So etwas können wir uns vor dem Hintergrund der zunehmenden Personalnot und steigender Kosten nicht mehr leisten.“
Wunsch nach Entbudgetierung

Auch der AOK-Bundesverband (AOK-BV) nimmt diesen Punkt auf. „Damit werden Abläufe für Patientinnen und Patienten verlässlicher, weniger komplex, ein bedarfsgerechter Zugang auch zur fachärztlichen Versorgung gewährleistet und damit die Effizienz in der Versorgung gesteigert“, hofft Verbandschefin Dr. Carola Reimann vor Journalisten. Für ein Hausarztmodell kann sich auch die Interessenvertretung der Innungskrankenkassen auf Bundesebene (IKK e.V.) erwärmen.
Der wohl größte Wunsch der Vertragsärzteschaft bleibt die Entbudgetierung – und zwar nicht nur für Hausärzte, wie kürzlich vereinbart, sondern für alle ambulant tätigen Ärzte sowie Psychotherapeuten „innerhalb der ersten 100 Tage einer neuen Bundesregierung“, heißt es im Forderungskatalog der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der bereits Ende des vergangenen Jahres veröffentlicht wurde. Der AOK-BV würde die Uhr dagegen am liebsten zurückdrehen und den Honorardeckel wieder auf Kinder- und Jugendmedizin legen, wie aus seinem Positionspapier hervorgeht.
Und die Parteien? Die FDP will eine ungekürzte Vergütung aller Gesundheitsberufe, die AfD fordert eine „Beendung der Rationierung ärztlicher Leistungen durch Zwang von Behandlungen ohne Vergütung“. Rot und Grün werben mit einer Termingarantie (SPD) beziehungsweise einer Erhöhung der Sprechstunden in Arztpraxen (Grüne).
Die ewige Bürgerversicherung
Kommt die Union ans Ruder, will sie laut Wahlprogramm die Krankenhausreform korrigieren. Das dürfte ihm Sinne der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sein. In einem „Sofortprogramm“ fordert diese den kalten Strukturwandel aufzuhalten und für wirtschaftliche Stabilität zu sorgen, die Struktur-und Personalvorgaben in den Leistungsgruppen realistischer auszugestalten und die Vorhaltefinanzierung zunächst auszusetzen. Generell wünscht sie sich weniger Dirigismus und kleinteilige Gesetzgebung, stattdessen mehr Spielraum für die Akteure vor Ort. So sollten beispielsweise Personalbemessungsinstrumente lediglich „Empfehlungs- und Orientierungscharakter“ haben, heißt es im Zehn-Punkte-Papier der DKG für die Bundestagswahl.
In den Programmen der linken Parteien (inklusive BSW) findet sich auch der ewige Wahlkampfschlager einer solidarischen Bürgerversicherung. Als Vorstufe sehen SPD und Grüne die Beteiligung der PKV am Risikostrukturausgleich (RSA) vor. Da eine linke Mehrheit im Bundestag unwahrscheinlich ist, dürfte es auch für die kommende Legislatur ein einheitliches Versicherungssystem ein Wunsch bleiben. Die Grünen schlagen überdies eine Reform der Beitragsbemessung mit Berücksichtigung von Kapitaleinnahmen vor.
Den morbiditätsorientierten RSA würde der AOK-Bundesverband gerne um sozioökonomische Aspekte ergänzt wissen. Die Techniker Krankenkasse (TK) will eine einheitliche Kassenaufsicht. „Denn die unterschiedlichen Aufsichtspraxen durch das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) und die Aufsichtsbehörden der Bundesländer können zu Wettbewerbsverzerrungen führen“, schreibt die größte Ersatzkasse in ihrem Positionspapier.
„Sofortprogramm“ zur Ausgabensenkung
Eine auskömmliche Refinanzierung der versicherungsfremden Leistungen aus dem Bundeshaushalt – bis hin zur vollständigen Übernahme – findet sich ebenfalls in den Papieren von SPD, CDU/CSU, Grüne und AfD und stößt sicherlich auf Wohlwohlen der Krankenkassen. Der IKK e.V. will eine zügige Umsetzung, um die Ausgabendynamik zu bremsen, ohne dabei Versichertenleistungen zu kürzen. „Hierfür muss im Rahmen einer Vorschaltgesetzgebung die Dynamisierung des Bundeszuschusses und die verantwortungsgerechte Beteiligung des Bundes an der Versorgung der Bürgergeldempfangenden ebenso wie an der Finanzierung weiterer gesamtgesellschaftlicher Aufgaben umgesetzt werden“, heißt es in einer Pressemitteilung zum IKK-Positionspapier anlässlich der Bundestagswahl. Die TK will ein „Sofortprogramm“ zur Ausgabensenkung. Darin enthalten: eine Erhöhung des Herstellerabschlags bei Arzneimitteln, Ausschreibungen in der Hilfsmittelversorgung und die Rückkehr zur Grundlohnsummenbindung bei Heilmitteln.

Strukturreformen stehen in der Kassenwelt hoch im Kurs, um die Ausgaben zu drosseln und das System effizienter zu machen. Die Barmer etwa wünscht sich eine gemeinsame Bedarfsplanung für den ambulanten und stationären Sektor, „die das Angebot medizinischer Leistungen möglichst in Einklang mit der Nachfrage bringt und das Nebeneinander nicht abgestimmter Versorgungsangebote und -strukturen beendet“, heißt es im Forderungspapier der Ersatzkasse. Auch die DKG will die Sektoren überwinden. „Ich halte die Länder für den zentralen Akteur einer zukünftigen Versorgungsplanung, die im Dialog mit den Akteuren aus dem ambulanten und stationären Bereich erfolgen muss“, erklärt ihr Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß vor Journalisten. Und schiebt nach: „Auch die Krankenkassen sind natürlich als Akteur zu betrachten.“ Die Parteien sind zögerlicher. SPD und Grüne schlagen allerdings ein einheitliches Vergütungssystem für die ambulante und stationäre Versorgung vor.
Für die Soziale Pflegeversicherung (SPV) schwebt dem politisch linken Lager eine Bürgerversicherung vor. Die SPD möchte darüber hinaus einen „Pflegekostendeckel“ einführen: Heimbewohner sollen für die stationäre Versorgung nicht mehr als 1.000 Euro im Monat zahlen. Die Union schlägt stattdessen einen Finanzierungsmix aus gesetzlicher Pflegeversicherung, betrieblicher Mitfinanzierung, Steuermitteln sowie eigenverantwortlicher Vorsorge. Die FDP stößt ins gleiche Horn.
Arzneimittel: Deutschland und EU first

In der Arzneimittelversorgung legen viele Parteien Wert auf die Produktion in Deutschland und der EU. FDP und Union träumen von schnelleren Zulassungsverfahren, während Die Linke die Pharmaindustrie am liebsten an die Kette legen würde. Für eine schärfere Gangart in der Arzneimittelpolitik plädiert auch AOK-Bundesverbandschefin Reimann. Mit Blick auf die Preisbildung bei patentgeschützten Arzneimitteln rät sie zur Hebung von „Wirtschaftlichkeitsreserven“. Das dürfte die Industrie nicht freuen, die die Verschärfung des AMNOG durch die Ampel weiterhin kritisiert. Bereits im Dezember 2024 schreibt Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland, der Nachfolgeregierung ins Aufgabenheftchen: „Die aktuellen Leitplanken zur Preisbildung und der Kombinationsabschlag hemmen Innovationen. Wir können viel mehr medizinischen Fortschritt, als wir mit der derzeitigen Regulierung abbilden. Neue Studienkonzepte, Endpunkte und Therapien brauchen eine Nutzenbewertung und eine Preisbildung, die den Zusatznutzen von Therapien besser berücksichtigt.“