Strategien für Demenz und Diabetes

Berlin (pag) – Zwei Nationale Strategien wurden in den vergangenen Wochen aufs Gleis gesetzt. Bei der Demenz geht sie ohne öffentliche Auseinandersetzungen über die Bühne, beim Diabetes droht die Frage nach der Zuckerreduktion zur Zerreißprobe zu werden.

Ärztliche Fachgesellschaften, Krankenkassen und die SPD haben bis zum Schluss eine verbindliche Zuckerreduktion um die Hälfte für Limonaden & Co. gefordert. Geeinigt hat sich die Koalition letztlich auf folgenden Kompromiss: eine freiwillige Zuckerreduktion in Erfrischungsgetränken von 15 Prozent bis 2025.
Im vom Bundestag beschlossenen Koalitionsantrag „Start einer Nationalen Diabetes-Strategie“ wird die Bundesregierung aufgefordert, Prävention und Versorgungsforschung zu Adipositas und Diabetes mellitus voranzutreiben. Adipositas, gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung sollen in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung verstärkt berücksichtigt werden. Laut Antrag ist eine individuelle, multimodale und interdisziplinäre Versorgung von Menschen mit Adipositas Grad 1 bis 3 in der vertragsärztlichen Versorgung zulasten der Krankenkassen zu ermöglichen. Eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Krankenbehandlung soll sichergestellt werden. Es müsse auch geprüft werden, ob der Gemeinsame Bundesausschuss beauftragt werden soll, eine Richtlinie über die multimodale und interdisziplinäre Versorgung von Menschen mit einem krankhaften Übergewicht (Grad 1 bis 3) zu beschließen. Viele Fachverbände und Experten begrüßen, dass die Strategie, um die lange und zäh gerungen wurde, endlich verabschiedet wurde – die konkreten Inhalte enttäuschen jedoch viele. Die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten bezeichnet sie als grob unzureichend. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft spricht von einer „Strategie light“.

Demenzfreundliches Deutschland

„Ein neues Bewusstsein in allen Bereichen des Lebens“: Das wollen Spahn, Giffey und Karliczek (v.l.) mit der Demenzstrategie erreichen. © BMFSFJ

Im September beginnt die Umsetzung der vom Bundeskabinett beschlossenen Demenzstrategie. Derzeit sind hierzulande 1,6 Millionen Menschen an Demenz erkrankt, 2050 könnte die Zahl bei 2,8 Millionen liegen. Darauf wollen Bundesseniorenministerin Franziska Giffey (SPD), Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) Deutschland vorbereiten. Sie sagen: „Wir brauchen ein neues Bewusstsein in allen Bereichen des Lebens, soziale Unterstützungsnetzwerke vor Ort, gute medizinische Versorgung und erstklassige Forschung.“
Die Strategie umfasst 27 Ziele und rund 160 Maßnahmen. Ärzteschaft, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und weitere Beteiligte sollen ihre Zusammenarbeit in einem „Versorgungspfad“ klarer beschreiben und das Schnittstellenmanagement optimieren. Ein weiteres Stichwort lautet „Demenzsensible Krankenhäuser“, das bedeutet: Die Arbeitsprozesse werden demenzsensibel gestaltet, qualifiziertes Personal erleichtert den Betroffenen unvermeidbare Krankenhausaufenthalte.
Die Bedürfnisse der Patienten werden bei der räumlichen Gestaltung von Kliniken und Pflegeeinrichtungen berücksichtigt. Ein klinisches Demenzforschungsnetzwerk soll verschiedene Institutionen zusammenbringen. Ferner ist ein Netzwerk zur Demenzversorgungsforschung geplant. „Insbesondere sollen wissenschaftliche Erkenntnisse schneller und wirksamer zum Wohle der Betroffenen in die Praxis übertragen werden“, heißt es.

Weiterführende Links:
Link zur Demenzstrategie
https://www.nationale-demenzstrategie.de/fileadmin/nds/pdf/2020-07-01_Nationale_Demenzsstrategie.pdf
Link zur Diabetesstrategie
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/206/1920619.pdf

Herzkranke Diabetiker: zu viel Geld für schlechte Versorgung

Berlin (pag) – Bei herzkranken Diabetikern – immerhin 1,8 Millionen Patienten – bleibt die Versorgungsallokation auf der Strecke. Das kritisiert die Stiftung „Der Herzkranke Diabetiker“ (DHD). Auf einer Veranstaltung der DHD sind sich die Experten einig: Es fehlt an interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen den behandelnden Ärzten, die Betroffenen werden nicht mit optimalen Therapien versorgt.

„Beide Erkrankungen existieren nicht parallel nebeneinander, sie verstärken sich gegenseitig. Sie sind auf mechanistischer Ebene miteinander vernetzt, weil die Pathomechanismen gemeinsam zutreffen“, erläutert Prof. Wolfram Döhner von der Charité Berlin. Zwar gibt es laut DHD klare Handlungsempfehlungen zur Diagnostik bei Diabetespatienten mit kardialen Komplikationen, allerdings würden diese nicht immer leitliniengerecht umgesetzt. Außerdem seien herzkranke Diabetiker mit optimalen medikamentösen Therapien unterversorgt. Die Wirksamkeit dieser Therapien sei hinsichtlich der Prognose nachgewiesen und in vielen Fällen interventionellen Maßnahmen gleichwertig oder sogar überlegen, heißt es in einer Publikation der Organisation. Für die Probleme macht Prof. Wolfgang Motz, Ärztlicher Direktor des Klinikums Karlsburg, das hierarchische Abrechnungssystem in den Krankenhäusern verantwortlich: „Aufgrund des Fallpauschalensystems können wir der Sache nicht gerecht werden“, sagt er. „Wir unterliegen gewissen ökonomischen Zwängen.“

© iStock.com, Neustockimages

Anreize und ethische Probleme

Die wirtschaftlichen Aspekte analysiert bei dem Pressegespräch der Gesundheitsökonom Prof. Jürgen Wasem, Universität Duisburg-Essen. Ihm zufolge werden jährlich rund 16 Milliarden Euro an direkten Kosten für Diabetes ausgegeben. Nicht der Patient ohne Komplikationen sei das Problem, sondern der Diabetiker mit kardiovaskulärer Komorbidität. Hier würden die Kosten je nach Morbiditätsgruppe im Schnitt bei 20.000 bis 21.000 Euro im Jahr liegen. „Dass ein gesetzlich Versicherter mit Diabetes und Herzproblem deutlich teurer ist als ein Patient, der nur eines von beidem hat, ist ein Indikator für Versorgungsprobleme im System“, sagt Wasem. Es werde zu viel Geld für eine schlechte Versorgung ausgegeben. Die indikationsübergreifende Steuerung müsse verbessert werden. Wenn aus Anreizgründen nicht getan werde, was erforderlich sei, gebe es auch ein ethisches Problem.
Für die DHD ist der herzkranke Diabetiker ein Patient mit „maximal erhöhtem Risiko“. Der Stiftung zufolge versterben letztlich drei Viertel der Menschen mit Diabetes an einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall. Bei Diabetes ist das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen zwei- bis vierfach erhöht. Bei Frauen steigt das Risiko um das Sechsfache. Bei bis zu 50 Prozent der Patienten in Behandlung von Herzspezialisten sind Diabetes oder Vorstufen nachweisbar.

Kinder mit Diabetes: Herausforderung Alltag

Berlin (pag) – Psychosoziale Faktoren sind entscheidend für die Therapie eines Diabetes, sagt Prof. Andreas Neu, Vizepräsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). In der Versorgung fehle es an Strukturen, geschultem Personal und am Geld. Das überfordere vor allem betroffene Kinder und deren Eltern.

In Deutschland gibt es 32.000 Kinder mit Diabetes Typ 1. Ihre Therapie kompetent zu begleiten überfordert viele Eltern. © iStock.com, Fertnig (Foto mit Model gestellt)

Die 32.000 Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre mit Diabetes Typ 1 müssen täglich die Herausforderungen des Erwachsenwerdens und die Therapie bewältigen. Das überfordert viele Patienten. „Das führt im schlimmsten Fall zu psychischen Belastungen oder Erkrankungen wie Depressionen, Angst- oder Essstörungen“, berichtet Neu. Betroffen seien 15 Prozent der Erkrankten.

Die Kinder gut zu erziehen und ihre Therapie kompetent zu begleiten, überlastet viele Eltern. Das zeigt eine von Prof. Karin Lange geleitete Studie. „Für die Familien tut sich mit der Diagnose der Boden auf“, berichtet sie. Viele Mütter treten beruflich zurück oder geben den Beruf auf. Das wirke sich finanziell aus. Zudem bestimme der Diabetes den Alltag. Die betroffenen Eltern wünschten sich eine kontinuierliche kompetente Hilfe bei der Erziehung und im Umgang mit der Erkrankung, schildert Lange. Doch es fehlt an Strukturen, sagt sie. Es gebe nicht genug Diabetesberater für Eltern, Kitas und Schulen. Gute soziale Strukturen seien aber entscheidend dafür, ob die Kinder ein Leben lang mit dem Diabetes gut umgehen können.

„Bislang fehlt es an Abrechnungsmöglichkeiten“, berichtet Prof. Bernhard Kulzer, Leiter des Forschungsinstituts der Diabetes Akademie Bad Mergentheim. Er schlägt vor, multimodale Komplexziffern wie in der Schmerztherapie für die Diabetesbehandlung von Kindern und Erwachsenen einzuführen. Diese sollten psychiatrische, psychosomatische, oder psychologisch-psychotherapeutische Leistungen abbilden. Kulzer spricht sich auch für eine Anpassung des Disease Management Programms (DMP) Diabetes aus: Die psychoonkologischen Leistungen des DMP Brustkrebs könnten die Vorlage sein.