KI in Therapie und Praxisalltag


Berlin (pag) – In einem Thesenpapier fasst die Bundesärztekammer (BÄK) zusammen, mit welchen Entwicklungen und Herausforderungen für Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte in den kommenden drei bis fünf Jahren durch die Einführung von KI-Systemen zu rechnen ist. Es geht um maßgeschneiderte Behandlungspläne und passgenauere Therapien.

„Die Ärzteschaft muss dafür Sorge tragen, dass die Implementierung von KI in die Medizin zum Wohle der Menschen erfolgt“, betont PD Dr. Peter Bobbert, Co-Vorsitzender des BÄK-Ausschusses „Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung”. Auch müsste die Forschung zu medizinischen KI-Anwendungen, etwa durch den Auf- und Ausbau einer Forschungsinfrastruktur, gestärkt werden. Bobbert mahnt Strukturen dafür an, dass evidenzbasierte KI-Anwendungen zügig in der Gesundheitsversorgung zum Einsatz kommen können.

BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt ist überzeugt, dass KI-Systeme die auf genetischen und anderen individuellen Gesundheitsdaten basierenden, maßgeschneiderten Therapiepläne weiter präzisieren und noch passgenauere Therapien ermöglichen werden. „KI kann Ärztinnen und Ärzte zudem bei Routineaufgaben wie der Dokumentation, der Abrechnung und der Terminplanung unterstützen.“ Nach Auffassung der Kammer kann gut in den ärztlichen Alltag eingebundene KI mehr Zeit für die medizinische Behandlung der Patienten verschaffen.

 

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KI unterstützt Pathologen

Unterdessen hat der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur die erste Qualifizierungsmeinung zu einer innovativen Entwicklungsmethodik auf KI-Basis herausgegeben. Das Tool namens AIM-NASH unterstützt Pathologen bei der Analyse von Leberbiopsien, um den Schweregrad von MASH (Metabolische Dysfunktion assoziierte Steatohepatitis; früher bekannt als nichtalkoholische Steatohepatitis NASH) in klinischen Studien zu bestimmen. MASH ist eine Erkrankung, bei der sich Fett in der Leber ansammelt und im Laufe der Zeit Entzündungen, Reizungen und Vernarbungen verursacht, ohne dass signifikanter Alkoholkonsum oder andere Gründe für eine Leberschädigung vorliegen.

Schneller wirksame Behandlungen

Das Tool soll die Zuverlässigkeit und Effizienz klinischer Studien für neue MASH-Therapien verbessern, indem es die Variabilität bei der Krankheitsmessung reduziert. Nach einer öffentlichen Konsultation hat der CHMP eine Stellungnahme zur Qualifizierung dieser Methode abgegeben. Dies bedeutet, dass der Ausschuss die mit dem Werkzeug generierten Erkenntnisse in zukünftigen Anwendungen als wissenschaftlich valide akzeptieren kann. CHMP zufolge kann AIM-NASH die Reproduzierbarkeit und Wiederholbarkeit bei der Bewertung neuer Behandlungen verbessern. 
Es unterstütze Forscher, in klinischen Studien mit weniger Patienten klarere Belege für den Nutzen neuer Behandlungen zu erhalten. Dies könne letztendlich dazu führen, dass Patienten schneller wirksame Behandlungen erhalten.

AIM-NASH ist ein KI-basiertes System, das ein maschinelles Lernmodell verwendet, das mit über 100.000 Annotationen von 59 Pathologen trainiert wurde, die in neun großen klinischen Studien über 5.000 Leberbiopsien ausgewertet haben.

Neuer Anlauf Registergesetz

Mögliche Inhalte, Herausforderungen und Chancen

Berlin/Köln (pag) – Inhalte des schon lange erwarteten Registergesetzes skizziert kürzlich Jana Holland, Bundesgesundheitsministerium (BMG), bei einer Veranstaltung von Pharma Deutschland. Durch das Ampel-Aus im vergangenen Jahr konnte der „fast fertige Referentenentwurf“ nicht mehr auf die Straße gebracht werden, berichtet sie.

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Zur Erinnerung: Bereits 2020 veröffentlichte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) einen Rapid Report, der sich mit der Thematik befasst („Konzepte zur Generierung versorgungsnaher Daten und deren Auswertung zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a SGB V“). Für Holland ein Paradigmenwechsel. Ein Jahr später folgt das „Gutachten zur Weiterentwicklung medizinischer Register zur Verbesserung der Dateneinspeisung“, das die Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF) und das BQS Institut für Qualität & Patientensicherheit im Auftrag des Ministeriums erstellen. Der Koalitionsvertrag der Ampel verspricht dann ein Medizinregistergesetz. 2022 finden Stakeholderprozesse wie Fachgespräche und Workshops mit Registerbetreibern, Datennutzenden etc. statt, berichtet Holland, BMG-Referatsleiterin Medizinische Datenbanken und Register. 2023 werden im BMG Eckpunkte des Gesetzes formuliert, im vergangenen Jahr dann der nahezu fertige Referentenentwurf. „Dieses Thema ist schon sehr lang in unserem Haus in der Überlegung“, fasst sie die Vorgeschichte zusammen. Die Ausgangslage ist noch immer nahezu unverändert: Die Registerlandschaft zeichnet sich durch fehlende Transparenz aus, die circa 400 medizinischen Register sind äußerst heterogen, das ebenso heterogene Normengeflecht sorgt bei den nicht spezialgesetzlich geregelten Registern für Rechtsunsicherheiten.

Kein Korsett

„Wir wollen keines der Register in ein Korsett zwingen“, betont Jana Holland vom BMG. © privat

Der Fokus des künftigen Gesetzes soll daher auf diesen Registern liegen. Die Kernelemente lauten: Transparenz, Qualität, Datenverarbeitung und -nutzung. Zur Qualifizierung der Register sind nach derzeitigem Stand Mindestkriterien vorgesehen, deren Erfüllung allerdings nur auf freiwilliger Basis vorgesehen ist, wie Holland betont. „Wir wollen keines der Register in ein Korsett zwingen.“ Sie spricht von einem Angebot, sich unter den „Schirm der Bundesgesetzgebung“ zu begeben – mit der Maßgabe, dann einen Qualifizierungsprozess zu durchlaufen. Es solle allerdings kein neues Qualifizierungsverfahren eingeführt werden, sondern man wolle bei bisher bereits stattfindenden Prüfungen ansetzen.

Auf diesen Mindestkriterien könnten für bestimmte Zwecke weitere Zusatzkriterien aufgesattelt werden – beispielsweise für das Thema Nutzenbewertung. Diese Zusatzkriterien werden aber nicht Teil des Registergesetzes sein, stellt die BMG-Vertreterin klar. Durch die Mindestkriterien werden die Register allerdings bereits für weitere Verfahren vorbereitet. Holland stellt als einen Vorteil der Qualifizierung die erleichterte Datenverarbeitung dar.

„Nicht nur an eine Daten-, sondern auch an eine Forschungsinfrastruktur denken“, lautet der Appell von IQWiG-Leiter Dr. Thomas Kaiser. © IQWiG

Nach bisherigen Überlegungen soll das Gesetz außerdem eine Zentralstelle für medizinische Register als „Kümmerer“ etablieren. Diese soll ausdrücklich nicht selbst Register betreiben, sondern Prozesse wie das Registerverzeichnis begleiten oder das Qualifizierungsverfahren durchführen. „Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, den Schwerpunkt des Kümmerns auf die Forschung zu legen“, sagt später IQWiG-Leiter Dr. Thomas Kaiser in seinem Vortrag. „Nicht nur an eine Daten-, sondern auch an eine Forschungsinfrastruktur denken“, lautet sein Appell auf der Veranstaltung.

Stichwort Datenzusammenführung und Datennutzung: Dafür sei die Einführung eines Unique Identifiers wichtig. 
Man brauche eine Nummer oder eine Kennziffer in den Registern, um Daten personengenau zusammenführen zu können. „Hier ist die Überlegung, allen Registern, auch denjenigen, die nicht qualifiziert sind, die Erhebung der Krankenversichertennummer zu ermöglichen.“ Dies sieht Holland als Einstieg in die sukzessive Einführung einer Forschungskennziffer, um derzeitige Datensilos verknüpfbar zu machen.

Für die Datenzusammenführung und Datennutzung ist die Einführung eines Unique Identifiers wichtig. Man brauche eine Nummer oder eine Kennziffer in den Registern, um Daten personengenau zusammenführen zu können. © iStock.com, 4zevar

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Dr. Beate Wieseler, Leiterin des IQWiG-Ressorts Arzneimittelbewertung, verlangt „wirksame Anreize, damit die Hersteller regelhaft vergleichende Daten erstellen“. © pag, Fiolka

Unterdessen hat das IQWiG das Ergebnis einer Workshop-Reihe europäischer Zulassungsbehörden und HTA-Agenturen zusammengefasst. Dr. Beate Wieseler, Leiterin des Ressorts Arzneimittelbewertung, verlangt „wirksame Anreize, damit die Hersteller regelhaft vergleichende Daten erstellen“. Ziel der Workshop-Reihe in 2024 als Vorbereitung auf das europäische HTA-Verfahren: ein gemeinsames Verständnis für methodische Herausforderungen und Lösungen bei der Bewertung neuer Arzneimittel zu entwickeln. In einem Positionspapier fassen die Beteiligten folgende Kernpunkte zusammen, die den gemeinsamen Evidenzbedarf besser decken sollen:

  • Bei der Bewertung von Nutzen/Risiko und Zusatznutzen von Arzneimitteln bevorzugen Zulassungsbehörden und HTA-Agenturen randomisierte Studien.
  • Randomisierte Studien in Registern und in der Routine-
versorgung bieten erhebliche Chancen, Daten aus klinischen Studien vor der Zulassung zu ergänzen, um Entscheidungen zur Zulassung und im Rahmen von HTA zu unterstützen.
  • Die Verbesserung der Erfassung, Analyse und Berichterstattung eines weiteren Spektrums von Endpunkten – über primäre Studienendpunkte hinaus – kann die Unsicherheit bei der Entscheidungsfindung erheblich verringern.
  • Bei der Verwendung von Beobachtungsdaten aus der Routineversorgung zur Schätzung von Effekten durch indirekte Vergleiche gibt es erhebliche ungelöste Probleme.

Neuartige Studiendesigns

Für herausfordernde Situationen wie kleine Patientenpopulationen werden neuartige randomisierte Studiendesigns als vielversprechende Alternative zu einarmigen Studien angesehen. Als Beispiele nennt Wieseler: nahtlose Phase-I-II-Designs in der frühen klinischen Entwicklung, mehrarmige Plattformstudien in Indikationen mit sich entwickelnden Behandlungsoptionen und andere flexible, adaptive Designs, die die Randomisierung beibehalten und gleichzeitig die Anforderungen an den Stichprobenumfang und die Entwicklungszeit verringern können. Sie betont außerdem das Potenzial, Daten aus klinischen Studien vor der Zulassung durch „randomisierte Studien in Registern und in der Routineversorgung zu ergänzen“, um Informationen für die Entscheidungsfindung bei der Zulassung und für HTA zu gewinnen.

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Zukunftsperspektive Registerbasierte Interventionsstudien
Aufbauend auf dem Fundament des Medizinregistergesetzes könnten weitere Bausteine – Stichwort Zusatzkriterien – entwickelt werden. Wer diese festlegt? An dem Punkt sei man noch nicht, so Holland. Sie persönlich sehe dies aber lieber in den Händen von denjenigen, die an den Verfahren näher dran seien. Derzeit fördert das BMG noch bis Anfang 2026 das Forschungsvorhaben „Registerbasierte Interventionsstudien in Deutschland – Anforderungen, Möglichkeiten, Limitationen und Perspektiven“ (REGINT). Dort sollen Anknüpfungspunkte gefunden werden, die in das Registergesetz einfließen können.

Herausforderung Record Linkage
Auf das Thema Record Linkage geht auch PD Dr. Anne Regierer, RABBIT-SpA, ein. Sie berichtet vom BMG-geförderten Kooperationsprojekt LinKR. Dabei sollen Daten von drei medizinischen Registern – RABBIT-Register, Multiple Sklerose (MS)-Register, Deutsches Mukoviszidose-Register – mit Daten der klinischen Krebsregister deutschlandweit über einen Kohortenabgleich und ein Datenlinkage verknüpft werden. Bisher gebe es keine Unique Identifier. „Das bedeutet, der Prozess ist ziemlich kompliziert“, so Regierer. Ein halbes Jahr habe es allein gedauert, das Datenschutzkonzept zu entwerfen.

 

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Weiterführender Link:
Heads of HTA Agencies Group, European Medicines Agency: „Joint HTAb-regulatory perspectives on understanding evidence challenges, managing uncertainties and exploring potential solutions“ vom 1. April 2025, PDF, 7 Seiten

Digitale Gesundheit für alle

Hemmoor (pag) – Digitale Gesundheitsangebote wie Telemedizin oder Gesundheits-Apps bieten enorme Möglichkeiten. Sie können die Versorgung effizienter machen und Zugänge erleichtern. Doch in einem Positionspapier warnt die Deutsche Gesellschaft für Public Health: Wenn vulnerable Gruppen – wie ältere Menschen oder sozial Benachteiligte – bei der Entwicklung solcher Lösungen nicht mitgedacht werden, droht die digitale Kluft zu wachsen.

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Das im Bundesgesundheitsblatt erschienene Papier des Fachbereichs Digital Public Health zeigt auf, wie digitale Gesundheitslösungen flächendeckend und sozial gerecht umgesetzt werden können. Die Autorinnen und Autoren fordern Strategien, die alle Bürgerinnen und Bürger erreichen – unabhängig von Alter, Einkommen oder technischer Affinität. „Wir müssen Gesundheitskompetenz fördern und die digitale Spaltung überwinden, sonst verlieren wir das Potenzial der Digitalisierung für Prävention und Versorgung“, sagt Dr. Laura Maaß, Sprecherin des Fachbereichs und Postdoc am Leibniz-WissenschaftsCampus Digital Public Health Bremen.

Als eines der Kernprobleme adressieren die Autorinnen und Autoren die digitale Gesundheitskompetenz: Viele Menschen könnten Apps oder andere digitale Tools nicht richtig nutzen. Dabei sei gerade die Fähigkeit, solche Anwendungen zu verstehen und anzuwenden, entscheidend, um Gesundheitsangebote wirklich zugänglich zu machen. Interaktive und partizipative Ansätze könnten helfen, Patienten besser einzubinden und so die gesundheitliche Eigenverantwortung zu stärken.

Nachhaltige Digitalisierung

Das Positionspapier kritisiert außerdem, dass Digital Public Health in Deutschland noch in den Kinderschuhen stecke. Studiengänge griffen das Thema nur selten auf, und in der Forschung liege der Fokus zu stark auf klinischen Anwendungen. Prävention und Gesundheitsförderung blieben oft außen vor – sowohl in der Forschung und Lehre als auch in der Gesundheitspolitik, die sich fast ausschließlich auf die Digitalisierung der medizinischen Gesundheitsversorgung konzentriere. Die Experten fordern daher, Digitalisierung breiter und nachhaltiger zu denken. Es gehe darum, gesundheitliche Ungleichheiten zu verringern, Prävention zu stärken und die Versorgung effizienter zu machen – ohne dabei jemanden auszuschließen. „Dafür braucht es den Schulterschluss von Politik, Wissenschaft und Praxis“, lautet ihr Appell.

Zwischen Versorgungszukunft und Science-Fiction

Berlin (pag) – Die Anamnese übernimmt der Avatar, die KI schreibt den Arztbrief, die 
Behandler haben mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten. Auf der Digital Health 
Conference des Verbandes Bitkom schwärmen Vertreter der Ärzteschaft, der Krankenkassen und der Industrie von den Möglichkeiten neuer Technologien. Doch sie thematisieren auch die Kostenfrage und die Hürden, die noch überwunden werden müssen.

BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt (im Foto links) und Dr. Christian Lenz, Medizinischer Direktor bei Pfizer © Bitkom, Caroline Wittig

Montags kann man Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt noch regelmäßig in seiner Praxis in Bielefeld antreffen. Und montags ist in deutschen Hausarztpraxen bekanntlich Großkampftag. Wie schön wäre es da, wenn sich die Behandler die Anamnese sparen könnten, die stattdessen per Künstlicher Intelligenz (KI) ein Avatar übernimmt.

„Dann bekomme ich von der KI einen Summary, bevor der Patient kommt.“ Diese Vision skizziert Reinhardt auf der Konferenz. Er hofft, dass sich durch KI und digitale Tools das Verhältnis zwischen Arzt und Patient intensiviere – im Sinne eines Shared Decision Making. Der Patient wird zum gleichberechtigten Partner. „Geteilte Entscheidungen sind die, die am tragfähigsten sind“, lautet Reinhardts Überzeugung.

KI gibt’s nicht zum Nulltarif

Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (im Foto links) und Dr. Andreas Gassen, Vorstandschef der KBV © Bitkom

Auch Dr. Christian Lenz, Medizinischer Direktor bei Pfizer,
glaubt an eine Entlastung des Arztes durch KI-Einsatz, wie er im Bühnengespräch mit Reinhardt sagt. Dokumentation und Administration werde den Medizinern abgenommen. Diese bekämen dadurch mehr Zeit für die Patienten. Die Arbeit werde „erfüllender und besser“. 
Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, geht in eine ähnliche Richtung. Behandlungskapazitäten könnten freigesetzt werden, zum Beispiel wenn eine KI während des Arzt-Patientenkontaktes den Arztbrief schreibt. Die „Gesamteffizienz des Systems“ werde durch KI erhöht, sagt er in einem weiteren Bühnengespräch, das er mit Dr. Andreas Gassen, Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), führt. „Natürlich wird KI einen festen Platz in Therapie und Diagnostik haben“, ist dieser überzeugt. Das sei ohnehin bereits in einigen Bereichen der Fall. Aber es gebe sie nicht zum Nulltarif. Chips seien sehr kostenintensiv. Und: „Der Energiehunger von KI ist gigantisch.“ Gassen glaubt auch nicht – und da geht Reinhardt mit ihm d’accord –, dass digitale Tools den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen lösen. „Das ist Science-Fiction“.

Wie ein „Land voller Nobelpreisträger“

Lenz wünscht sich in Deutschland mehr Mut beim Einsatz von KI. „Wir spielen die Risiken unverhältnismäßig hoch und verbauen uns dadurch die Chance.“ Andere Länder seien enthusiastischer. Er hofft, dass die Skepsis gegenüber Unternehmen abgebaut werde und träumt von Public Private Partnerships. Davon könnten alle Stakeholder profitieren. Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz mit der Weiterentwicklung des Forschungsdatenzentrums begrüßt der Pharmavertreter sehr. Es eröffne die Chance zu Expansionen und Investitionen. Innovationen seien im Grunde ohne KI nicht mehr denkbar, meint er. Ein einzelnes KI-System sei bereits heute mit einem „Land voller Nobelpreis-träger“ vergleichbar.

Wider die Scheinpartizipation

Digitale Gesundheitsforschung mit Patienten gestalten

Berlin/Hamburg (pag) – Ist in einer Legislatur, in welcher der Bundestag ein Digital-Gesetz, ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz und ein Medizinforschungsgesetz verabschiedet hat, die Patientenbeteiligung in der digitalen Gesundheitsforschung ein blinder Fleck geblieben? Ein kürzlich vorgestelltes Positionspapier rückt dieses vernachlässigte Thema in den Mittelpunkt.

© PT DLR/BMBF, Manfred Wigger

Im Positionspapier „Einbeziehung von Patientenorganisationen in die digitale Gesundheitsforschung“ sind auf 19 Seiten Empfehlungen und Lösungsansätze formuliert, um die Beteiligung von Patientinnen und Patienten zu unterstützen. Deren Forderungen lauten unter anderem:

  • Um Erfolg zu gewähren und ein Mindestmaß an Kooperation zwischen Patienten und Forschenden herbeizuführen, müssen Patienten und ihre Vertretungen aktiv in digitale Transformationsprozesse von Anfang an eingebunden werden.
  • Die Partizipation von Patientenorganisationen, Betroffenen und Angehörigen bei der Anwendung von digitalen Forschungsprozessen muss von allen Beteiligten realistisch gestaltet werden.
  • Eine fachliche, monetäre, personelle, strukturelle und technische Ausstattung ist die Grundbedingung für die Einbindung von Patientenorganisationen.
  • Es bedarf einer erhöhten Aufmerksamkeit für vulnerable Gruppen. Stigmatisierung und Diskriminierung müssen verhindert werden.

Erarbeitet haben die Betroffenen das Papier in einem konsensorientierten Prozess, der im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbundes PANDORA begleitet wurde.

Startpunkt war eine Stakeholder-Konferenz, die im Juni 2024 in Hamburg stattgefunden hat und an der über 30 Vertreter von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen aus ganz Deutschland – sowohl vor Ort als auch digital – teilgenommen haben. Zwei Tage diskutierten sie über Aufklärungs- und Einwilligungsprozesse, Forschungsdatenmanagement, Partizipation an Forschung, digitale Teilhabe und relevante ethische Werte für eine Forschungsbeteiligung. Das Ziel: einen Konsens für das Positionspapier zu erarbeiten. Am Ende des zweiten Tages steht der erste vorläufige Entwurf des Positionspapiers. Fertiggestellt wird dieser von einem Redaktionsteam, das aus vier Vertreterinnen und Vertreter von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen besteht. Einer von ihnen ist Thomas Duda von der Pro Retina Stiftung Deutschland. Bei der Vorstellung des Positionspapiers auf einer Pressekonferenz im Rahmen der PANDORA-Abschlusskonferenz sitzt er mit auf dem Podium. Er betont dort: „Es gibt ein hohes Potenzial durch Patientenbeteiligung, was leider nicht erkannt wird.“ Ihm ist es wichtig, dass das Positionspapier die momentanen Zustände nicht nur kritisch beschreibt, sondern auch konkrete Verbesserungsvorschläge formuliert. Durch informierte Patienten wie auch durch den Input aus ihrem Erfahrungsschatz werden Daten- und Forschungsergebnisse bedarfsorientierter ver- beziehungsweise angewendet, ist Duda überzeugt.

Scheinpartizipation entgegenwirken

© PT DLR/BMBF

Für Prof. Silke Schicktanz, Universitätsmedizin Göttingen, ist das Positionspapier ein wichtiges Instrument, um „reflektierte und selbstbestimmte Position einer Vielzahl von Patientenverbänden in die deutsche Debatte einzubringen“, sagt sie bei der Pressekonferenz. Ihre Forschungskollegin und PANDORA-Leiterin Prof. Sabine Wöhlke von der HAW Hamburg adressiert in ihrem Statement die Wissenschaftscommunity. Die Forschenden sollten reflektieren, wie eine langfristige, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Patientenvertretenden aussehen könne. Für diese Organisation seien Reflexion der eigenen Erwartungen und Ziele, Umgang mit Macht, Transparenz in der Kommunikation aber auch Anerkennung von Erfahrungsexpertise wichtig. Wöhlke appelliert: „Eine intensivere Auseinandersetzung mit Machtasymmetrien und der oft fehlenden Transparenz über Forschungsprozesse ist geboten, um der bisher noch zu oft existierenden Scheinpartizipation in der partizipativen digitalen Gesundheitsforschung entgegenwirken zu können.“

Wie es weiter geht

Die Botschaft ist mehr als deutlich, doch um den angemahnten Umdenkungsprozess einzuleiten, müssen äußerst dicke Bretter sowohl in der Politik als auch in der Wissenschaftsszene gebohrt werden. Dass keiner der von PANDORA angefragten Gesundheitspolitiker bereit gewesen ist, an der Pressekonferenz teilzunehmen, spricht Bände. Umso drängender die Frage, wie es mit dem Positionspapier weitergehen soll. Wöhlke kündigt an, die wichtigen Ergebnisse der Stakeholder-Konferenz wissenschaftlich zu publizieren und das Positionspapier relevanten Ministerien, Gremien und Entscheidungsträgern zuzuschicken. An dieser Stelle ende der Einfluss als Forschende. Wöhlke: „Aber es kann dann niemand im Forschungsministerium sagen, man wisse ja gar nicht, dass die aktuellen Partizipationsinitiativen nicht wirklich gut im Sinne einer Teilhabe laufen und ob die Patientenorganisationen sich wirklich beteiligen wollen und was es dafür aus deren Sicht bedarf.“

Was ist PANDORA?
PANDORA (Patient*innenorientierte Digitalisierung) ist ein Verbundprojekt unter der Leitung der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg). Kooperationspartner sind die Universitätsmedizin Göttingen und die Medizinische Hochschule Hannover. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysieren ethische Fragestellungen, die mit der Einführung und Nutzung von Digitalisierungsprozessen und E-Health-Technologien im Gesundheitswesen einhergehen. Im Fokus stehen die Perspektiven von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen, die an solchen digitalen Entwicklungen partizipieren. Das Ziel von PANDORA ist die Entwicklung und Bereitstellung von Unterstützungsinstrumenten, die es diesen Organisationen ermöglichen sollen, ihre Interessen bei der Beteiligung an Digitalisierungsprojekten zu wahren und ethische Prinzipien zu respektieren.

Weiterführender Link:
Positionspapier: Einbeziehung von Patientenorganisationen in die digitale Gesundheitsforschung

Heilendes Kapital

Berlin (pag) – Die Private Krankenversicherung (PKV) startet mit „Heal Capital 2“ die zweite Runde ihres Wagniskapitalfonds für digitale Gesundheitsinnovationen. Rund 100 Millionen Euro sollen investiert werden. Laut dem Direktor des PKV-Verbandes, Dr. Florian Reuther, soll es ein Fonds der gesamten Gesundheitswirtschaft werden.

„Heal Capital 2“ soll ein Fond der gesamten Gesundheitswirtschaft werden, so PKV-Verbandschef Dr. Florian Reuther © © iStock, sorbetto
„Heal Capital 2“ soll ein Fond der gesamten Gesundheitswirtschaft werden, so PKV-Verbandschef Dr. Florian Reuther © © iStock, sorbetto

Anders als beim Vorgänger sind bei „Heal Capital 2“ neben der PKV auch weitere Investoren wie der European Investment Fund (EIF) beteiligt. Die PKV will ihre Rolle als „Innovationsmotor“ ausspielen. Man unterstütze Start-ups, die in einer frühen Phase am Markt seien. „Diese werden nicht nur mit Kapital ausgestattet. Sie erhalten Know-how beim Zugang in die klinische Versorgung und bei Fragen der Erstattung“, betont Reuther den „einzigartigen“ Charakter des Fonds. „Heal Capital 1“ prüft seit 2019 über 5.000, vor allem europäische Start-ups aus Diagnostik, Therapie oder Infrastruktur. Der Aufbau des ersten Fonds ist mittlerweile abgeschlossen. Er wird wohl rund 25 Unternehmen fördern und eine Größe von 150 Millionen Euro erreichen. Mit „Heal Capital 2“ startet jetzt eine neue Förderrunde.

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, Katja Hessel (FDP), lobt den Vorstoß: „Wir brauchen Wagniskapital für die digitale Gesundheitsversorgung.“ Es brauche bessere Rahmenbedingungen für den Einsatz von privatem Kapital, um Investitionen zu fördern. Johannes Virkkunen, Bereichsleiter Life-Science
und Healthcare beim EIF, erläutert: „Wir sehen in Europa eine sehr hochwertige Wissenschaft mit vielen Talenten und einer ähnlichen Zahl an Veröffentlichungen und Patenten wie in den USA.“ Trotzdem werde vier bis fünfmal weniger in die Kommerzialisierung von Innovationen im Gesundheitsbereich investiert. Die bayerische Gesundheits- und Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) ergänzt, dass die Refinanzierung letztlich durch Gelder der Krankenkassen erst am Ende einer für Start-up-Verhältnisse langen Reise stehe. Aber auch das Ökosystem um die Gründer müsse stimmen: „Es geht eben nicht nur um Geld, sondern auch oft einfach darum, überhaupt erst Zugang zum Markt zu bekommen.“

Zi informiert über DiGA

Mit digitalen Gesundheitsinnovationen setzt sich auch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) auseinander. Es hat sein Informationsportal kvappradar zu Gesundheits-Apps um zwei weitere Gutachten zu Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) erweitert. Unter www.kvappradar.de stehen wissenschaftliche Bewertungen der beiden DiGA „HelloBetter Stress und Burnout“ und „Selfapys Online-Kurs bei Depression“ zum Abruf bereit. Gegenstand der Begutachtung sind unter anderem Wirkevidenz und Versorgungsbedarf. Das Informationsportal ist seit Dezember 2021 online. Im Unterschied zu App-Stores bietet das Zi dort unter anderem Informationen, ob eine App ein Medizinprodukt ist und wie häufig die referenzierten Diagnosen vorkommen beziehungsweise welche Kriterien für die Diagnosevergabe zugrunde gelegt werden.

Aktuell verfügt die Datenbank über 3.400 Gesundheits-Apps, die mehrheitlich aus der Gesundheitsförderung und Prävention stammen. Darunter befinden sich auch alle 64 derzeit im offiziellen DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelisteten Digitalen Gesundheitsanwendungen.

„KI in all Policies“

Ein fundamentaler Wandel steht bevor

Berlin (pag) – Aufbruchsstimmung liegt im April bei der Digitalmesse DMEA in der Luft. Über 800 Aussteller geben Einblicke in Innovationen, mehr als 300 Speaker beleuchten aktuelle Themen, vieles dreht sich um Künstliche Intelligenz (KI). Experten wissen: KI macht neue Strategien erforderlich. Ein Anpassungsprozess beginnt.

Der Publizist und Keynote-Speaker Sascha Lobo sagt auf der DMEA voraus, dass generative KI zukünftig in fast alle Arbeitsprozesse des Gesundheitssystems integriert werde. Allerdings sei die KI-Debatte hierzulande noch immer von einer kontraproduktiven Angst beherrscht.
Bei Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach ist indes keine Überzeugungsarbeit notwendig. „KI in all Policies“ lautet das von ihm auf der Messe verkündete Motto. Der Politiker ist davon überzeugt, dass die Künstliche Intelligenz es beispielsweise möglich mache, viele Krankheiten durch Mustererkennung präziser vorherzusehen. Eine bessere Versorgung durch KI hält er etwa in der Onkologie und im demenziellen Bereich für möglich. Weitere Chancen sieht er bei administrativen Prozessen, die durch KI vereinfacht und qualitativ erhöht werden könnten.

 

© Messe Berlin
Sascha Lobo © Messe Berlin

KI und Arzneimittelforschung

Die Plattform Lernende Systeme erkennt unterdessen viel Potenzial beim Einsatz von KI in der Arzneimittelforschung. Im März hat das Expertennetzwerk dazu ein Weißbuch veröffentlicht. Zu den Autorinnen und Autoren gehört Prof. Dagmar Krefting. Der Direktorin des Instituts für medizinische Informatik an der Universitätsmedizin Göttingen zufolge gibt es weltweit nur etwa 700 Unternehmen, die KI-gestützte Lösungen in der Arzneimittelentwicklung anbieten – insbesondere im präklinischen Bereich. „Ein Einsatzbereich ist die Vorhersage von geeigneten Einflussmöglichkeiten auf Krankheitsentwicklungen, den sogenannten Targets.“ Dabei werden zum Beispiel genetische Daten mit wissenschaftlicher Literatur verknüpft, um Wirkstofftargets vorherzusagen. Auf Basis eines Targets könnten KI-Ansätze die Wirkstoffstrukturen vorhersagen, teilweise bereits auch wichtige Eigenschaften wie Toxizität und Herstellbarkeit abschätzen, so Krefting. „Die Wirkstoffstruktur kann anschließend KI-gestützt weiterentwickelt werden.“ Damit ist der Herstellungsprozess gemeint, aber auch Wechselwirkungen mit dem menschlichen Stoffwechsel könnten in virtuellen Experimenten erprobt und optimiert werden. Bisher wenig eingesetzt werde KI bei der Durchführung der klinischen Studien bis zur Zulassung eines Arzneimittels, so die Expertin. Dabei machten diese zwischen der Hälfte und zwei Drittel der Gesamtentwicklungskosten aus und stellten zudem besonders kritische Phasen dar.

Mangelnde rechtliche Vorgaben

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Dass die Potenziale von KI in der Evidenzgenerierung und der Prozessoptimierung bei klinischen Studien aktuell noch nicht genutzt werden, führt Krefting auch auf mangelnde rechtliche Vorgaben zurück. Selbst ein wissenschaftlich fundiertes und vertrauenswürdiges KI-gestütztes System könne nur in klinischen Prüfungen eingesetzt werden, wenn die Zulassungsbehörden dieses als geeignetes Verfahren akzeptieren. „Inwieweit hier EU-weite Regelungen wie der European Health Data Space, die Medical Device Regulation oder der AI Act für Planungssicherheit sorgen können oder weitere Hürden im internationalen Vergleich darstellen, muss sich in der Praxis zeigen“, meint die Professorin.

Es wird konkreter

Unbestritten ist jedoch, dass das Thema in den vergangenen Monaten enorm an Fahrt aufgenommen hat. Neben dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz, das bereits in Kraft getreten ist, wird es auch beim Europäischen Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space, EHDS) immer konkreter. An den Vorarbeiten beteiligt sich auch das beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelte Forschungsdatenzentrum (FDZ). Dessen Leiter, Dr. Steffen Heß, berichtet gegenüber der Presseagentur Gesundheit, dass das Zentrum als Teil des internationalen Projektes TEHDAS2 Guidelines und Spezifikationen für den Datenraum ausarbeite. Relativ konkret sei auch der Health Data@EU-Pilot, in dessen Rahmen bereits Kernaspekte des EHDS technisch aufgebaut werden. „Daran hat mir gut gefallen, dass man nicht darauf wartet, bis das Konzept zu 100 Prozent fertig gestellt ist, sondern dass man bereits mit einem Teil loslegt und sich zum Beispiel mit konkreten Fragen beschäftigt“, so Heß weiter. Dabei geht es unter anderem darum, wie die Daten europäisch gefunden werden können. Und: Wie bekomme ich den Zugang zu ihnen? Heß zufolge wird eine dezentrale Infrastruktur für diese Anfragen geschaffen. „Das muss aufgebaut werden und damit möchte man nicht erst anfangen, wenn die Verordnung bereits beschlossen wird.“

Beneidenswerter Datenschatz

Das Forschungsdatenzentrum, das voraussichtlich im Herbst online gehen wird, dürfte hierzulande bald eine Schlüsselrolle in Sachen versorgungsnahe Daten spielen. Es führt die Abrechnungsdaten aller gesetzlich Versicherten aus dem ambulanten und stationären Bereich als Quer- und Längsschnitt zusammen. Dazu sollen die Daten aus der elektronischen Patientenakte sowie die Daten der Krebsregister kommen. Auch die Digitalen Gesundheitsanwendungen enthalten bereits Schnittstellen. BfArM-Präsident Prof. Karl Broich spricht auf einer Tagung im Februar von einem „extrem großen Datenschatz“, um den die Food and Drug Administration (FDA) in den USA das BfArM beneide.
Und natürlich hat das FDZ auch das Thema KI auf dem Schirm. Bereits seit zwei Jahren beschäftige man sich damit, so Zentrumsleiter Heß. Insbesondere mit AI-Readiness, denn viele der Prozesse seien mit KI nicht besonders kompatibel. Als Stichwort nennt er Datensparsamkeit. Im regulären Prozess erhielten die Wissenschaftler nur jene Daten, die sie für ihre Forschungsfrage benötigten. Fragt man KI-Forscher, welche Daten sie benötigen, laute die Antwort: alle. Die Schlussfolgerung von Heß: „Das sind Knackpunkte, bei denen manche Konzepte aus dem konventionellen Verfahren nicht mehr greifen. Deshalb sind andere Strategien gefragt.“

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Leitplanken für den KI-Einsatz
Gegenwärtige KI-Modelle für die Krebsbehandlung werden nur für bestimmte Zwecke trainiert und zugelassen. Im Gegensatz dazu können GMAI-Modelle ein breites Spektrum medizinischer Daten verarbeiten, darunter verschiedene Arten von Bildern und Text. GMAI steht für Generalist Medical Artificial Intelligence. Bei Erkrankten mit Darmkrebs könnte ein einziges GMAI-Modell beispielsweise Endoskopievideos, pathologische Gewebeschnitte und Daten aus der elektronischen Patientenakte interpretieren. Solche Mehrzweck- oder Generalistenmodelle stellen einen Paradigmenwechsel weg von den bisherigen, eng definierten KI-Modellen dar, betonen Prof. Stephen Gilbert und Prof. Jakob N. Kather, in einem Kommentar für Nature Reviews Cancer. Den Professoren für Digitale Gesundheit der TU Dresden zufolge stellen GMAI-Modelle eine Herausforderung für die Validierung und Zuverlässigkeitsbewertung dar. Gleichzeitig werde es unmöglich sein, Patienten und medizinisches Fachpersonal davon abzuhalten, generische Modelle oder nicht zugelassene Unterstützungssysteme für medizinische Entscheidungen zu verwenden. Ärzte sollten daher als befähigte Übersetzer von Informationen gestärkt werden. Gilbert und Kather schlagen außerdem einen flexiblen Regulierungsansatz vor, der die einzigartigen Merkmale von GMAI-Modellen berücksichtigt und gleichzeitig die Patientensicherheit gewährleistet sowie die Entscheidungsfindung von Medizinern unterstützt. Ein starrer regulatorischer Rahmen könnte den Fortschritt in der KI-gestützten Gesundheitsversorgung behindern. Notwendig sei daher ein nuancierter Ansatz, der Innovation und Patientenwohl gleichermaßen berücksichtige.

Gesundheitsdaten spenden: ein Stimmungsbild


München (pag) – Die elektronische Patientenakte (ePA) ist etwa drei Vierteln (76 Prozent) der hiesigen Bevölkerung bekannt. Die Bereitschaft zum Teilen von Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken ist hoch. Allerdings bevorzugen die Bürger eine aktive Zustimmung. Das sind Ergebnisse einer Studie der Ernst-Abbe-Hochschule Jena.

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Die Befragung untersucht die Einstellungen und Präferenzen der Bevölkerung zur ePA sowie die Bereitschaft, Gesundheitsdaten für medizinische Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen. Zwar erfreue sich die ePA einer hohen Bekanntheit, genutzt wird sie derzeit allerdings lediglich von neun Prozent. Auffällig ist ein heterogenes Interesse in den verschiedenen Altersgruppen. Mit zunehmendem Alter steigt zwar der Bekanntheitsgrad, genutzt wird die Patientenakte allerdings vorrangig von jüngeren Personen unter 40. Grund dafür sei eine höhere Digitalkompetenz in der Altersklasse, folgern die Studienautoren.

Ein großer Teil der Befragten ist dafür, die Gesundheitsdaten aus der ePA zu Forschungszwecken weiterzugeben. Etwa 47 Prozent signalisieren ihre Zustimmung. 28 Prozent sind noch unentschlossen, ein Viertel der befragten Bürger lehnt die Datenspende tendenziell ab. Ein Einwilligungsverfahren wird offensichtlich präferiert: So befürworten knapp vier von fünf Befragten (88 Prozent) eine aktive Datenweitergabe. Einer passiven Einwilligung stimmt hingegen nur knapp die Hälfte zu (48 Prozent).

Ein weiterer Studienaspekt: die Einstellung zur Datenspende von Personen mit chronischer Erkrankung. In dieser Gruppe liege eine etwa zehn Prozentpunkte höhere Akzeptanz für eine Datenspende über das Opt-Out-Verfahren (Widerspruchslösung) als bei Befragten ohne chronische körperliche Erkrankungen vor.

Die telefonische Umfrage fand deutschlandweit statt. Befragt wurden insgesamt 1.004 Personen ab einem Alter von 18 Jahren.

Blick ins Ausland: von digitalen Vorbildern lernen


München (pag) – Von internationalen Vorbildern lernen: Dieser Devise folgt die Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK) in puncto Digitalisierung und Datensicherheit. In einem Whitepaper beäugt die SBK zunächst das dänische und britische Gesundheitssystem. Es gibt Auskunft, von welchen Ideen unseres Nachbarn im Norden hinsichtlich der elektronischen Patientenakte (ePA) wir uns inspirieren lassen können. Und warum Großbritannien in Sachen Cybersicherheit ein Leuchtturm ist.

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Deutschland steht in den Startlöchern für die nächste Stufe der Digitalisierung seines Gesundheitssystems. Andere Länder sind schon Wellenlängen voraus. Seit mehr als zehn Jahren ist die digitale Gesundheitsakte integraler Bestandteil des dänischen Gesundheitssystems. Auch Angehörige können auf die ePA zugreifen, etwa um ältere Verwandte zu unterstützen. „Genauso darf es in Deutschland in Zukunft keine unnötigen Barrieren beim Zugang zur ePA mehr geben“, fordert Dr. Christian Ullrich, SBK-Experte für nutzerzentrierte Digitalisierung. Auch Prof. Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin erkennt beim Blick gen Norden Nachahmungspotenzial. Ihm gefällt die gezielte politische Steuerung der Digitalisierung – beispielsweise über eine Digitalisierungsbehörde. Auch die dänische Fehlerkultur sagt Busse zu: Verfahren im Kleinen testen, evaluieren und nachjustieren. Dafür brauche es in seinen Augen hierzulande allerdings erst eine bessere digitale Infrastruktur.

Zwar lief in Großbritannien nicht immer alles glatt mit dem Datenschutz. Aber ein stetiger Lernprozess sei unverkennbar. So wurden Konsequenzen aus Fehlschlägen gezogen und zentrale Institutionen für eine verbesserte Cybersicherheit eingerichtet. Das NHS Cyber Security Operations Centre kümmert sich um Echtzeit-Schutz für die Akteure im Gesundheitswesen vor verdächtigen Aktivitäten. In Arbeit ist eine einheitliche Cybersicherheitsstrategie, die ab 2030 alle Gesundheitssektoren erfassen soll. Beide Konzepte imponieren Prof. Kipker von der Universität Bremen. Auch hierzulande sollten in seinen Augen zentrale Institutionen eingerichtet und Fehler zum Lernen genutzt werden.

Über die Datennutzung entscheiden britische Versicherte zwar selbst und legen fest, ob und mit wem sie Daten teilen. Möglich ist auch, sich komplett gegen eine Freigabe ihrer Gesundheitsdaten zu entscheiden. In dem Fall sanktioniert das britische Gesundheitssystem den Widerspruch: Elektronische Überweisungen sowie E-Rezept dürfen dann nicht genutzt werden. Auch dieses Konzept könnte Deutschland als Blaupause übernehmen, wünscht sich Kipker.

Weiterführender Link:

Digitale Reisen durch unsere Gesundheitsversorgung“ – Das Whitepaper der SBK zeigt im Rahmen einer fiktiven Reise durch Europa, wie wir von internationalen Vorbildern lernen können. Website und Download des Whitepapers.

„Blended Intelligence“ als Goldstandard

Prof. Alena Buyx über KI in der ärztlichen Versorgung

Berlin (pag) – Die Ethikratsvorsitzende Prof. Alena Buyx ist zuversichtlich, dass in der Medizin die Integration von KI gut gelingen wird. Dennoch sei strategisches Nachdenken darüber notwendig, was Ärztinnen und Ärzte wirklich an Künstlicher Intelligenz benötigen. Bedarf sieht sie vor allem bei administrativ entlastenden Algorithmen.

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Revolutioniert der Einsatz künstlicher Intelligenz in der Medizin den Beruf des Arztes und der Ärztin?

Buyx: Im Augenblick gibt es erste Anwendungen, die bereits ziemlich stark in genuin ärztliche Tätigkeiten eingreifen. Einige funktionieren gut, vieles davon ist aber noch gar nicht in der Praxis angekommen, sondern noch experimentell. Das Wichtigste wäre meiner Ansicht nach aber, dass KI die Ärztinnen und Ärzte – und das gilt für die anderen Medizinberufe auch – von administrativen Verpflichtungen entlasten könnte. Es ginge somit darum, Algorithmen in der Klinik einzuführen, die administrativ wirklich mithelfen und nicht so sehr ins Zentrum der ärztlichen Tätigkeit hineingehen.

Aber die bereits existierenden Beispiele kommen eher aus dem bildgebenden Bereich. Bürokratie scheint noch ein Nischenthema zu sein, oder?

Buyx: Ja, davon gibt es zu wenig, wie ich finde. Bei der Befundung von Röntgenbildern bewegt man sich zum Beispiel in einer originär ärztlichen Tätigkeit. Gleichzeitig beklagen die Kolleginnen und Kollegen völlig zu Recht, dass die vielen, vielen administrativen Tätigkeiten sie davon abhalten, die Patienten und Patientinnen optimal zu versorgen. Noch dazu sind sie für die Administration ja eigentlich nicht ausgebildet. Es ist somit an der Zeit, strategischer darüber nachzudenken, was die Kolleginnen und Kollegen wirklich an Künstlicher Intelligenz benötigen.

Kennen Sie ein Beispiel, welches diese Bedürfnisse mitdenkt?

Buyx: Am Bayerischen Forschungsinstitut für digitale Transformation werden Algorithmen für die Pflegedokumentation auf Palliativstationen entwickelt.

Aber auch im psychotherapeutischen Bereich gibt es mittlerweile KI-Anwendungen, was ja auf den ersten Blick etwas überraschend ist.

Buyx: Ich finde es durchaus erstaunlich, dass so etwas sogar halbwegs funktioniert. Einen therapeutischen Chatbot zu haben, ist immerhin besser als gar nichts. Die Wartezeiten für Psychotherapien sind relativ lang. Außerdem sind Personen, die einen therapeutischen Bedarf haben, oft zurückhaltend und kommen erst spät in die Praxis. Chatbots, mit denen auch morgens um drei Uhr interagiert werden kann, ohne dass jemand etwas davon mitbekommt und ohne dass ein Antrag bei der Krankenkasse gestellt werden muss, können ein Einstiegsinstrument sein. In seiner Stellungnahme macht der Ethikrat aber sehr deutlich, dass solche Angebote nur Hilfsinstrumente sein können, um die Menschen überhaupt in die Nähe eines therapeutischen Geschehens zu bringen. In den USA gibt es Kliniken, die ihren Patientinnen und Patienten ausschließlich diese Art von Therapie anbieten, das ist problematisch.

Wenn wir über Hilfsinstrumente oder Dokumentationsassistenten sprechen, klingt das so, als ob die große KI-Revolution in der Medizin erst einmal ausbleibt.

Buyx: Die meisten Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der Goldstandard auf sehr lange Zeit die sogenannte „Blended Intelligence“ sein wird. Das bedeutet: Menschen benutzen künstlich intelligente Instrumente und setzen sie klug ein.

Aber wie kann sichergestellt werden, dass Ärztinnen und Ärzte in der Letztverantwortung bleiben?

Buyx: Es muss eben immer einen Weg geben. Das wird je nach Anwendung unterschiedlich aussehen, aber allen muss gemein sein, den „human in the loop“ zu behalten: keine vollautomatisierten Entscheidungen, ohne dass die Möglichkeit besteht, dass Menschen diese überprüfen. Zwar können einzelne Aspekte einer Aufgabe an Algorithmen delegiert werden, aber das therapeutische Gesamtgeschehen ist nicht abzugeben. Es muss weiterhin in ärztlicher Hand bleiben, das sagen wir ganz klar.

Dafür dürfte sich der Standard in der Chirurgie grundlegend von dem in der Psychotherapie unterscheiden.

Buyx: Es ist ganz wichtig, sich das im Einzelnen wirklich anzugucken. Das ist einerseits ein ziemlich dickes Brett. Auf der anderen Seite werden bei den DIGAs auch die Anwendungen für sich überprüft. Das ist keine Hexerei. Und auch andere Medizintechnologien werden einzeln getestet. Ebenso wenig wie man diese alle über einen Kamm scheren würde, darf man es jetzt auch nicht mit den Anwendungen machen, die auf maschinellem Lernen beruhen.

Würden Sie vor allem die medizinischen Fachgesellschaften in der Pflicht sehen?

Buyx: Diese sollten unbedingt beteiligt sein, damit die ärztliche Expertise in die Entwicklung eingebracht wird. Und selbstverständlich müssen die Programmiererinnen und Programmierer dabei sein. Idealerweise sollten auch Personen an Bord sein, die darauf achten, dass die ethischen und regulatorischen Standards eingehalten werden. Viele Forschungsprojekte setzen das bereits um. Insofern fangen wir nicht bei null an, ganz im Gegenteil: Das läuft bereits seit Jahren. Deswegen bin ich auch zuversichtlich, dass uns in der Medizin die Integration von KI gut gelingen wird. Technologien, die auch mit Risiken behaftet sind, werden schließlich nicht zum ersten Mal aufgenommen. Die Medizin ist technikaffin. Wenn die Ärztinnen und Ärzte die Hand darauf halten, wird es nicht zu irgendeiner Revolution kommen.

Aber in der Ausbildung ist das Thema noch nicht abgebildet, oder?

Buyx: Davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt. Aber mir erscheint die fachärztliche Weiterbildung noch wichtiger: Jedes Fach muss sich auf den Hosenboden setzen und prüfen, wie die Weiterbildungsordnung anzupassen ist. 

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Zur Person
Die Medizinerin Prof. Alena Buyx ist Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, der im vergangenen Jahr eine rund 400 Seiten lange Stellungnahme zu „Mensch und Maschine – Herausforderung durch Künstliche Intelligenz“ veröffentlicht hat. Seit 2018 ist sie Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin sowie Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien an der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität München.
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