Forderungen der Industrie nach AMNOG-Reform werden lauter
Berlin (pag) – Ist das AMNOG für Innovationen wie Gen- und Zelltherapien noch das geeignete Bewertungsverfahren? Wie passend ist es für zunehmend personalisierte Behandlungsansätze, deren Evidenzgrundlagen nicht mehr ins bisher übliche Schema passen? Die Industrie verlangt nach einer grundlegenden AMNOG-Reform. Das Argument: Medizinischer Fortschritt dürfe nicht durch systemische Hürden ausgebremst werden.

2025 wird in Sachen Health Technology Assessment (HTA) ein spannendes Jahr. Am offensichtlichsten ist der Start des europäischen HTA-Verfahrens im Januar. Dieses sieht unter anderem eine Synchronisation mit dem europäischen Zulassungsprozess vor, eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für die Beteiligten, gilt es doch zum Teil recht sportliche Fristen miteinander zu verzahnen.
Fest steht schon jetzt: Das AMNOG wird vom europäischen Pendant auf Dauer nicht unbeeinflusst bleiben. Im Januar legt das Bundesgesundheitsministerium etwa einen Last-Minute Änderungsentwurf für die Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung vor. Grundsätzlich gilt: Wertungs- und Preisentscheidung bleiben zwar auf nationaler Ebene, gleichzeitig soll Doppelarbeit vermieden werden. Ein schwieriger Spagat, deshalb vermögen auch Experten die Relevanz des neuen Verfahrens noch nicht so richtig abzuschätzen. Das europäische Verfahren startet mit neuen Krebstherapien und ATMPs – ein besonders innovatives Feld, auf dem sich momentan viel tut. Ist man hierzulande dafür mit dem AMNOG gerüstet?
Grundsatzfragen zur Evidenz
Der FDP-Gesundheitspolitiker Prof. Andrew Ullmann ist skeptisch. Im Dezember stellt er auf einem parlamentarischen Frühstück der LAWG (Local Area Working Group), einem Verein, dem 17 weltweit agierende, forschungsorientierte Arzneimittelunternehmen angehören, klar, dass das AMNOG für ihn zwar ein wertvolles Werkzeug sei, aber er sieht auch deutliche Limitationen – etwa bei Schrittinnovationen. Ullmann fragt außerdem: „Wie sieht es bei der Personalisierten Medizin aus, wie sieht es aus bei der Gentherapie, bei der wir sehr individuelle Therapieformen haben und die klassische Evaluation des AMNOG-Verfahrens gar nicht funktionieren kann?“ Für ihn steckt dahinter die Grundsatzfrage, was medizinische Evidenz bedeutet. Er plädiert für eine differenzierte AMNOG-Weiterentwicklung: Im klassischen Verfahren sollten herkömmliche Medikamente wie etwa Bluthochdruckarzneimittel bewertet werden. Im Rahmen eines zweiten Moduls – Ullmann nennt es AMNOG innovativ – wird über den Zusatznutzen von neuartigen Therapieformen geurteilt.
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Von Kalle plädiert für flexible Methodik
Ähnlich äußert sich Prof. Christof von Kalle auf der LAWG-Veranstaltung. Der Onkologe, der (zu diesem Zeitpunkt noch) das gemeinsame klinische Studienzentrum von der Charité und dem Berlin Institute of Health leitet, spricht sich für eine flexible AMNOG-Methodik aus. Darunter subsummiert er unter anderem eine Beschleunigung der Prozesse sowie eine Optimierung durch internationale Zusammenarbeit und Harmonisierung internationaler Verfahren – Stichwort EU-HTA. Außerdem betont er: „Ich würde sehr stark dafür plädieren, dass wir wirklich alle verfügbaren Daten verwenden und überlegen, wie wir den Nutzen neu bewerten.“ Sehr wichtig sei in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Konditionalität der Zulassung und der Datenerhebung nach der Zulassung.
vfa: Webfehler des AMNOG
Einen Monat zuvor, im November 2024, hat der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) ein 15-seitiges Reformpapier zum AMNOG mit verschiedenen Handlungsfeldern präsentiert. Unter der Überschrift „Medizinischem Fortschritt gerecht werden“ wird ebenfalls die Frage nach der Evidenzgrundlage thematisiert. Der Verband stellt dar, dass angesichts zunehmend zielgerichteter Therapieansätze für eng definierte, häufig kleinere Gruppen von Patienten die Durchführung von randomisierten kontrollierten Studien nicht in allen Situationen ethisch vertretbar oder praktisch umsetzbar sei. Ein Webfehler des AMNOG sei daher, dass eine Anpassung im Umgang mit nicht-randomisierten Daten noch nicht erfolgt ist. Als Folge werde der therapeutische Zusatznutzen in besonderen Therapiesituationen nicht entsprechend gewürdigt, sodass bei den betroffenen Therapien kein angemessener Erstattungsbetrag vereinbart werden kann. Dies wirke sich negativ auf die Verfügbarkeit und den Einsatz neuer Therapien, wie Gentherapien, in der Versorgung aus, so der vfa. Seine Lösung: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) prüft künftig auf Antrag eines Herstellers, ob eine besondere Therapiesituation vorliegt. In diesen Fällen wird die bestverfügbare Evidenz in der Nutzenbewertung herangezogen.
Wie realistisch ist Pay for Performance?
Der Verband bricht in dem Papier außerdem eine Lanze für erfolgsabhängige Erstattungsmodelle, sogenannte Pay-for-Performance-Ansätze. Sie könnten im Einzelfall helfen, bei limitierter Evidenz dieser „begründbaren Unsicherheit bei höherpreisigen Therapien zu begegnen“ und Patienten einen schnellen Zugang zu diesen Therapien zu ermöglichen, heißt es. Die Forderung ist nicht neu, auch der Gesundheitsökonom Prof. Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld macht sich dafür stark – beispielsweise im März 2024 in einem Beitrag für die „Interdisziplinäre Plattform Nutzenbewertung“. In derselben Ausgabe stellt Dr. Antje Haas, Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel des GKV-Spitzenverbandes, dagegen die Bedenken der Kostenträger dar: Die Preisbildung bei Gentherapien weise weiterhin eine „beträchtliche Diskrepanz“ zur vorhandenen Evidenz auf, konstatiert sie. Ob die Einführung erfolgsorientierter Vergütungssysteme Teil einer effizienten Lösung sein könne, sei fraglich. „Hierzu wären umfangreiche rechtliche und technische Änderungen und die Behebung bestehender Datenlücken erforderlich, die derzeit nicht absehbar sind“, so Haas.
Techniker Krankenkasse: Pay for Performance ist kein guter Weg
„Gentherapeutika – Hoffnungsträger oder Systemsprenger?“ lautet der Titel eines im März 2024 veröffentlichten Reports der Techniker Krankenkasse (TK), der die Arzneimittelpreisgestaltung im internationalen Vergleich – USA, Frankreich und Japan – darstellt. Zur Preisbildung für Gentherapeutika in Deutschland könnten demnach fünf Ansätze zur Anwendung kommen: Budgetierung, geheime Preise, kriterienbasierte Preise, Kostentransparenz sowie Raten- beziehungsweise Rückzahlungsmodelle. Letztere können auch mit einer Performance-Komponente ergänzt werden. Der Kasse zufolge erweist sich deren Umsetzung jedoch als äußerst schwierig. Tim Steimle, Leiter des TK-Fachbereichs Arzneimittel, erläutert gegenüber der Presseagentur Gesundheit: „Pay for Performance bedeutet ja folgendes: Tritt eine gewisse Non-Performance ein und das Medikament funktioniert nicht, dürfen Raten ausgesetzt werden.“ Darauf könnten sich aber die pharmazeutischen Unternehmen und die Krankenkassen fast nie verständigen. Strittig sei zum Beispiel, was wirklich ein guter Non-Performance-Indikator sei und wie dieser sauber erfasst werden könne. „Wer erfasst den? Benötigen wir ergänzende Informationen von Ärzten oder Patienten, um zu beurteilen, ob die Performance eingetreten ist oder nicht?“, fragt Steimle. Darüber streite man sich jedes Mal, wenn solche Verträge abgeschlossen werden. „Auf einen guten Weg einigen wir uns leider nicht.“