Berlin (pag) – Eine gesetzliche Verpflichtung der Industrie, finanzielle Beziehungen zu Ärzten offenzulegen, fordert die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Die bisher freiwilligen Veröffentlichungen hält das Gremium für unzureichend.
In einer Stellungnahme begründet die Kommission ihren Vorstoß für eine gesetzliche Transparenzverpflichtung. Nach einem Vergleich zwischen der momentan in Deutschland existierenden Transparenzinitiative des Vereins „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“ und dem Physician Payments Sunshine Act (PPSA), einem seit 2011 in den USA geltenden Gesetz, kommt die AkdÄ zum Schluss: Der Weg, über den die FSA für Transparenz sorgen will, „funktioniert nicht“, sagt deren Vorsitzender Prof. Wolf-Dieter Ludwig gegenüber „Gerechte Gesundheit“. Das liege zum einen daran, dass bei der FSA nur die Mitglieder des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller ihre Zahlungen offenlegen. Die Unternehmen, die im Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie zusammengeschlossen sind, veröffentlichten dagegen keine Daten, ebenso wenig Hersteller von Generika, Homö-
opathiemitteln oder Medizinprodukten. In den USA dagegen seien durch den PPSA alle Pharmaunternehmen und Medizinproduktehersteller strafbewehrt verpflichtet, alle finanziellen Zuwendungen an Ärzte und Lehrkrankenhäuser ab zehn US-Dollar zu melden.
Transparenz ohne Namen
Ein weiteres Manko in Deutschland ist aus Sicht der AkdÄ, dass Daten nur dann individuell veröffentlicht werden dürfen, wenn die Ärzte damit einverstanden sind. Deren Zahl nimmt allerdings stetig ab: 2015 waren 31 Prozent der Mediziner, die Zuwendungen von der Industrie erhalten hatten, mit einer Offenlegung ihres Namens einverstanden, 2017 ist ihr Anteil auf 20 Prozent gesunken. „Erschreckend“ findet das Ludwig. Nicht zuletzt aufgrund des Rückgangs dieser Quote fordert die Arzneimittelkommission eine gesetzliche Transparenzverpflichtung. Daneben sei es nötig, Ärzte für das Thema weiter zu sensibilisieren und einen Fonds einzurichten, damit herstellerunabhängige Fortbildungsveranstaltungen und klinische Studien durchgeführt werden können.
In einer Reaktion auf die AkdÄ-Stellungnahme erklärt der Verein „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“, dass seine Arbeit eine weitreichende Selbstkontrolle ermögliche. Deshalb bedürfe es darüber hinaus „keiner weiteren gesetzlichen Einschränkungen im ohnehin komplexen und streng regulierten Markt für pharmazeutische Produkte“. Der Verein weist außerdem darauf hin, dass er jüngst in der Ärzteschaft für die individuelle Veröffentlichung geworben habe. In der entsprechenden Broschüre lautet der Appell: „Pioniere müssen sich nicht verstecken!“
Prof. Claudia Spies über Interessenkonflikte, Evidenz und Verantwortung
Berlin (pag) – Prof. Claudia Spies engagiert sich dafür, Interessenkonflikte bei der Erstellung von Leitlinien stärker zu berücksichtigen. Transparenz allein reicht nicht aus, findet sie, die sekundären Interessen müssen durch andere bewertet werden. Spies ist auch der kommunikative Austausch der Kollegen ein Anliegen, anstelle von „Blame and Shame“ sollten Prozesse auf den Prüfstand gestellt werden.
Sind Interessenkonflikte bei Ärzten noch immer ein Thema für Exoten oder ist es mittlerweile im Mainstream angekommen?
Spies: Ich glaube, es ist im Mainstream angekommen, immer mehr Kollegen sind sich bewusst, Interessen zu haben. Der wichtigste Fortschritt beim Umgang damit ist, sich zu vergegenwärtigen, dass jeder Mensch Interessen hat, sonst kann er gar nicht existieren und seinen Bedürfnissen nachgehen.
Aber wenn bei Ärzten die Interessen kollidieren, wird es schwierig…
Spies:Das primäre ärztliche Interesse, das Patientenwohl zu verbessern, ist auch sekundären Interessen ausgesetzt. Diese können abhängig von dem Rahmen, in dem man sich bewegt – ob Versorgung oder Forschung – variieren. Das Problem ist, dass wir immer stärker mit geteilten Verantwortlichkeiten konfrontiert sind.
Was bedeutet das?
Spies: Heutzutage wenden die Forscher ihr Wissen nicht mehr selbst am Patienten an. Aufgrund der fragmentierten Prozesse sind diejenigen, die Forschung generieren, nicht mehr dieselben, die Forschung am Patienten anwenden. Diese Bereiche haben keine Berührungspunkte mehr und damit werden Interessenkonflikte stärker relevant als früher, weil auch die Verantwortlichkeiten fragmentieren. Verantwortlichkeit entsteht, wenn ich den gesamten Prozess übersehe, ansonsten stößt sie immer wieder an Grenzen.
Wie sieht die Lösung aus?
Spies: Wir müssen wieder zu einem kommunikativen Austausch kommen – zwischen denjenigen, die Wissen generieren, denjenigen, die es verbreiten, sowie denen, die es implementieren. Peer Reviews sind meiner Ansicht nach ein geeignetes Instrument, mit dem man Verständnis und kollegialen Austausch auf Augenhöhe schafft, ohne dass sich Kollegen beschuldigt fühlen. Wenn man sich offen austauschen kann, fällt es auch leichter, Dinge anzunehmen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Weg.
Den kollegialen Austausch auf Augenhöhe auch über so unangenehme Dinge wie die eigene Befangenheit, das stellt man sich nicht ganz reibungslos vor.
Spies:Leider funktioniert unsere Gesellschaft oft nach dem Muster „Blame and Shame“. Lange Zeit wurden Schuldige gesucht und wir haben uns nicht die Frage nach dem dahinter stehenden Prozess gestellt. Es geht darum, die Interessen zu identifizieren. Und im zweiten Schritt müssen die sekundären Interessen bewertet werden – und zwar nicht von einem selbst.
Das heißt, Transparenz allein reicht nicht aus?
Spies: Nein, wir müssen einen Schritt weiter gehen und die sekundären Interessen von jemand anderem bewerten lassen. Wichtig ist auch, dass die Bewertung zu Beginn eines Prozesses stattfindet, wie beispielsweise vor der Erstellung einer Leitlinie, und nicht erst dann, wenn bereits alles stattgefunden hat. Bevor Interessenkonflikte negative Auswirkungen haben können, müssen sie bereits im Ansatz minimiert werden. Das spiegelt sich auch in den neuen Empfehlungen der AWMF zum Umgang mit Interessenkonflikten wider.
Diese neuen Empfehlungen befinden sich momentan im Praxistest. Was müssen Leitlinienautoren neu beachten?
Spies:Wir gehen zum ersten Mal von der Selbst- in die Fremdbewertung von Interessenkonflikten. Das bedeutet, jemand anders beurteilt, ob das, was ich tue, schädlich im Kontext mit der Leitlinienerstellung ist. Danach wird die Auswahl der Kollegen gesteuert. Vom Ausmaß des Interessenkonfliktes – gering, moderat oder gravierend – sind die Einschränkungen bei der Mitarbeit abhängig. Kollegen mit einem moderaten Interessenkonflikt dürfen beispielsweise an den Beratungen teilnehmen, aber sie dürfen nicht mit abstimmen. Dass sie an der Beratung teilnehmen, finde ich gerechtfertigt, weil sie so ihre Expertise miteinbringen, aber sie sollten eben nicht das Abstimmungsergebnis beeinflussen können.
Wo sehen Sie bei der Leitlinienerstellung noch Verbesserungsbedarf?
Spies: Die Beteiligung von anderen Interessengruppen – unter anderem von Pflegenden, Patienten und Angehörigen – ist ein wesentlicher Punkt. Auch wenn mehrere Kollegen anderer Fachrichtungen vertreten sind, wie bei den evidenz- und konsensusbasierten S3 Leitlinien der AWMF, kann der einzelne mit seinem Interesse nicht so frei agieren, sondern muss sich automatisch in den Gruppenprozess einordnen. Und schließlich muss die Anwendbarkeit klarer sein, um sekundäre Interessen stärker auszuschließen.
Mit Verweis auf eine mangelnde Berücksichtigung von Interessenkonflikten verlangt Transparency International, die Leitlinienerstellung durch öffentliche Gelder zu finanzieren. Der G-BA oder das IQWiG sollten die Mittel allozieren. Wären Sie mit einer solchen Regelung all die Probleme zu Interessenkonflikten los?
Spies: Die AWMF unterstützt eine unabhängige Finanzierung von Leitlinien, zum Beispiel in Form eines Fonds, in den alle Institutionen einzahlen, die von der Erstellung profitieren. Die AWMF wird dafür Sorge tragen, dass die Art der Finanzierung und die Organisation der Leitlinienerstellung mit einem angemessenen Interessenkonfliktmanagement einhergehen.
Und was halten Sie konkret vom Transparency-Vorschlag?
Spies: Die öffentliche Finanzierung von Leitlinien und die Auswahl der Autoren durch Gremien wie den G-BA oder das IQWiG könnten sogar eher das Gegenteil bewirken, weil sich viele Engagierte zurückziehen würden, die dafür nicht mehr bezahlt werden. Für sinnvoller halte ich es, ein System zu installieren, das den kommunikativen Austausch bei der Generierung, der Verbreitung und der Implementierung von Evidenz belohnt. Damit ließe sich in der Forschung etwa die Methodik vieler Studien vor deren Initiierung verbessern, in der Verbreitung edukative Evidenz aus der Bildungsforschung und in der Implementierung Wissen aus der Versorgungsforschung sowie in der Fläche ein „Case-Care-Management“ zur Verbreitung nutzen. Erst dann werden wir robuste Daten generieren, die einem modernen Wissensmanagement und dem Zuwachs an Wissen in der heutigen Zeit gerecht werden. Leitlinienarbeit würde damit viel einfacher und sekundäre Interessen würden per se reduziert werden.
Besteht dort denn bei den Daten großer Verbesserungsbedarf?
Spies: Aber ja, die Exaktheit, Robustheit und Reproduzierbarkeit von Daten ist diskussionswürdig und -fähig. Viele Studien sind wie durch diverse Publikationen belegt, wie von Begley & Ioannidis 2015, methodisch schlecht gemacht, auch wenn sie in High-Impact-Journalen veröffentlicht werden.
Führen Sie schlechte Studien auch auf Interessenkonflikte zurück?
Spies: Das hat indirekt damit zu tun. Wenn ich Evidenz schlecht generiere, egal aus welchem Interesse heraus – weil ich viel produzieren will oder weil ich vom Sponsor Geld dafür bekomme, es gibt ja all diese Schattierungen – dann werden die Studien entsprechend. Nehmen wir diese wiederum als Grundlage, um die Evidenz in einer Empfehlung zusammenzufassen, dann stehen wir vor einem Problem.
Wie lässt sich das ändern?
Spies: Indem man patientenorientierte Outcomes in den Fokus nimmt. Wir müssen beispielsweise lernen, die Domänen der Lebensqualität, also körperlich, kognitiv, psychosozial, zu erfassen. Daran sollte man sich bei der Evidenzgenerierung orientieren, dann entsteht eine andere Evidenz, auf deren Grundlage man besser Empfehlungen vertreten kann. Im Moment können wir uns diese Informationen nur mit harter wissenschaftlicher Arbeit, viel Mühe und Engagement der Beteiligten sowie geringen Ressourcen erarbeiten.
Spielen die Forschungsstrukturen dabei eine Rolle?
Spies: Die Universitäten bewerten Forschungsleistung in Form von Impacts und Drittmitteln, damit werden genau jene Mechanismen gefördert, die wir verändern wollen. Solche retrospektiven Erhebungen der Forschungsleistung ermöglichen es, dass man zuvor nach eigenem Gutdünken verfährt. Wichtig wäre, dass die Nachwuchskollegen lernen, sich zu vernetzen und über Methodikverbesserungen auszutauschen, dann werden auch sekundäre Interessen viel deutlicher und steuerbarer, als wenn man die wissenschaftlichen Leistungen immer nur retrospektiv betrachtet.
Wir haben viel über Forschung und Leitlinien gesprochen – wo sehen Sie außerdem Nachholbedarf bezogen auf Interessenkonflikte?
Spies: Bei der Verbreitung von Evidenz muss viel stärker als bisher offengelegt werden, wo Interessen sind, ich denke konkret an die Beein flussung von Kongressteilnehmern. Es darf nicht mehr sein, dass Kammern CME-Punkte für Industrieveranstaltungen vergeben. Bei großen Kongressen wird das getrennt, Stichwort Satellitensymposium, das halte ich für unproblematisch. Aber bei vielen kleineren Tagungen ist das leider noch nicht der Fall.
Die Kammern argumentieren, dass eine ausführliche Prüfung angesichts der Veranstaltungsfülle nicht machbar sei.
Spies:Zeitprobleme werden immer dann angeführt, wenn man die Dinge nicht verändern will oder kann. Das ist eine Frage der Organisation und der Leidenschaft. Man soll jetzt auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, nach dem Motto: Ab morgen laufen alle Kongresse ohne Industriebeteiligung. Das wird nicht passieren, dafür sind solche Modelle hierzulande viel zu sehr implementiert. Aber das neutrale Wissenschaftsprogramm muss als solches zu identifizieren sein und nur dieses darf mit CME-Punkten zertifiziert werden. Damit will ich nicht negieren, dass es Foren geben muss, wo sich Ärzteschaft und Industrie austauschen können, denn die Entwicklung von Medikamenten und Medizinprodukten haben die Fakultäten längst abgegeben. Umso wichtiger ist es, sich in der Entwicklungsphase möglichst frühzeitig zusammenzusetzen.
ZUR PERSON Prof. Claudia Spies ist Direktorin der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt Operative Intensivmedizin der Charité (Campus Mitte und Campus Virchow-Klinikum). Sie ist außerdem ärztliche Leiterin des Charité-Centrums für Anästhesiologie, OP-Management und Intensivmedizin. Seit 2009 sitzt sie im Präsidium der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), im vergangenen Jahr hat sie den Vorsitz der AWMF-Leitlinienkommission übernommen. Von 2011 bis 2014 war Spies Prodekanin für Studium und Lehre der Charité.
Berlin (pag) – Lange Zeit waren Interessenkonflikte in der Medizin hierzulande unterbelichtet – kein Thema für die Fachöffentlichkeit, sondern eher für Exoten. Das scheint sich momentan zu ändern. Ein Überblick über grundsätzliche Debatten, wichtige Initiativen und weiße Flecken.
Mit den verschiedenen Spielarten des Themas haben sich in den vergangenen Monaten mehrere Veranstaltungen auseinandergesetzt. Transparency International Deutschland informierte im Juli in der Berliner Ärztekammer über Interessenkonflikte und Leitlinien. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) diskutierte auf zwei Tagungen über ihre aktualisierten Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten. Im Frühsommer publizierten darüber hinaus der Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa) und der Verein Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA) zum zweiten Mal die Zahlungen der Industrie an Ärzte und andere Gesundheitsberufe. Erwähnenswert sind außerdem die kürzlich online gegangene „Null-Euro-Ärzte“-Datenbank von Correctiv sowie die im Mai erschienene Schwerpunktausgabe des JAMA-Magazins, die sich ausführlich mit „Conflicts of Interests“ (COI) beschäftigt.
Gesinnungswandel oder alles beim Alten?
„Das Thema ist sehr aktuell geworden, die Leute beschäftigen sich damit“, beobachtet Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Er hat 2011 gemeinsam mit Kollegen ein Buch über Interessenkonflikte publiziert. Seitdem hat sich einiges verändert. Der Experte spricht im Gespräch mit der Presseagentur Gesundheit sogar von einem Gesinnungswandel.
WAS IST EIN INTERESSENKONFLIKT? „Interessenkonflikte bezeichnen Gegebenheiten, die ein Risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen, welches sich auf ein primäres Interesse bezieht, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst wird.“ Zitat aus den AWMF-Empfehlungen „zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Aktivitäten medizinischer Fachgesellschaften“.
Eine umfangreiche Darstellung des Thema bietet „Interessenkonflikte in der Medizin – Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten“, herausgegeben von Klaus Lieb, David Klemperer, Wolf-Dieter Ludwig.
Auch Prof. Claudia Spies, Ärztin an der Charité, erkennt Fortschritte, „immer mehr Kollegen sind sich bewusst, Interessen zu haben“, sagt sie (das vollständige Interview mit Prof. Spies können Sie ebenfalls in dieser Ausgabe lesen). Aber es gibt auch andere Stimmen: Prof. Christoph Stein, ebenfalls Arzt an der Charité, kritisiert auf der Transparency-Veranstaltung, dass es in der Ärzteschaft und an den medizinischen Fakultäten „kein Problembewusstsein“ gebe.
Jeder Arzt macht individuelle Erfahrungen, eine grundsätzliche Einschätzung fällt daher schwer. Möglich, dass das Thema in der Wissenschaft einen anderen Stellenwert hat als im Versorgungsalltag. Unstrittig dürfte dagegen mittlerweile sein, dass niemand ohne Interessenkonflikte ist, sie sind in der Medizin allgegenwärtig, heißt es etwa in dem von Ludwig und Kollegen herausgegebenen Buch. Auch das JAMA-Magazin hebt hervor: „Recognition that each Physician has COIs and that COIs and dishonesty are at different ends of the spectrum is the first step in an thoughtful conversation about how to protect professional judgment and integrity.“
Interessenkonflikt als Risikosituation
Unter einem Interessenkonflikt wird der Konflikt zwischen dem primären ärztlichen Interesse und den persönlichen (sekundären) Interessen des Arztes verstanden. Im Mittelpunkt des primären Interesses steht das Patientenwohl. Dieses ist allerdings sekundären Interessen ausgesetzt; sie können materieller Natur sein (Honorare, Firmenanteile etc.), es gibt aber auch eine nicht-materielle Komponente (Reputation, Karriere). Ein Interessenkonflikt wird als eine Risikosituation für ein verzerrtes Urteil verstanden, sprich der Konflikt besteht unabhängig davon, wie sich der Behandler letzten Endes entscheidet.
Transparenz allein reicht nicht
Manifestieren kann sich das Nebeneinander verschiedener Interessen auf den unterschiedlichsten Ebenen, es geht nicht nur um den Besuch des Pharma-Außendienstes in der Arztpraxis. Vor allem bei Leitlinienerstellung und Fortbildungsveranstaltungen sieht Prof. Ludwig noch eindeutigen Handlungsbedarf. Die inzwischen immer weiter verbreitete Praxis, die eigenen Interessenkonflikte offenzulegen, ist für ihn „absolut unzureichend“. Essentiell sei, die Bewertung der Konflikte durch andere. Ludwig ist überzeugt: „Ein Arzt kann nie selbst erkennen, ob er voreingenommen ist; das muss er anderen überlassen.“
Diesen Ansatz will die AWMF bei der Leitlinienerstellung implementieren. In ihren neuen Empfehlungen ist vorgesehen, dass die Autoren bereits bevor sie mit der Arbeit an der Leitlinie beginnen, ihre Interessen offenlegen und von anderen bewerten lassen. Wird ein Interessenkonflikt erkannt und als moderat eingestuft, darf die Person zwar mitberaten, aber nicht mit abstimmen. Bei gravierenden Konflikten wird der Betreffende auch von den Beratungen ausgeschlossen. Momentan befinden sich die Empfehlungen noch im Praxistest. Sie beschränken sich übrigens nicht auf Leitlinien, sondern regeln auch den Umgang mit Interessenkonflikten im Kontext von Studien und Kongressen.
Streit um CME-Zertifizierungen
Interessenkonflikte spielen auch bei der seit langem geführten Diskussion um pharmagesponserte CME-Fortbildungen für Ärzte eine Rolle. Diese sind Initiativen wie MEZIS (Mein Essen zahl ich selbst) ein Dorn im Auge. Sie warnen, dass dort die Medikamente der Sponsoren verzerrt dargestellt und die fortgebildeten Ärzte in ihrem Verschreibungsverhalten beeinflusst werden. Für die CME-Zertifizierung sind die Ärztekammern zuständig. Ihnen gegenüber müssen alle Akteure einer Fortbildungsveranstaltung – Veranstalter, wissenschaftliche Leitung und Referenten – ihre Interessen in Form einer Selbstauskunft offen legen. Diese Pflicht haben sie auch gegenüber den Teilnehmern, um die Ärzte zu befähigen, die Inhalte kritisch zu reflektieren. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer, Tobias Nowoczyn, stellt auf einer Veranstaltung der AWMF ausdrücklich klar: „Den zweiten Schritt, die Interessen zu bewerten – das machen wir im Kontext Fortbildung und Interessenkonflikte ausdrücklich nicht.“ Schließlich würden bei den Ärztekammern bis zu 400.000 Fortbildungen im Jahr zertifiziert „und ein Interessekonflikt gehört zur beruflichen Biografie fast aller möglichen Referenten“. Doch Nowoczyn räumt auch ein, dass es Fälle gebe, „wo wir durchaus mehr machen müssen“.
Who watches the Watcher?
Das Problembewusstsein scheint zuzunehmen, allerdings gibt es auch Bereiche, die bislang noch wenig im Fokus stehen. In der Schwerpunktausgabe von JAMA werden auch die wissenschaftlichen Journale selbst in den Blick genommen. In einem Artikel fragen die Autoren, ob beispielsweise ein Herausgeber, der ein Patent auf ein Gerät zur Bilderfassung hat, objektiv beurteilen könne, ob eine Studie über eine neue Technologie im Magazin veröffentlicht werden sollte, die direkt mit seiner Erfindung konkurriert. „Who watches the watchers?“, lautet die zutreffende Frage.
„Geht es denn immer nur ums Geld?“, könnte eine weitere berechtigte Frage lauten, denn bei der Diskussion um Interessenkonflikte stehen meist materielle Einflussfaktoren im Vordergrund. „Seid umschlungen, Millionen“, titelte etwa spiegel.de, als die Zahlungen der Industrie an Ärzte im vergangenen Jahr das erste Mal veröffentlicht wurden. Materielle Interessen sind eindeutig zu erfassen, mit immateriellen tut man sich deutlich schwerer. Dabei können sie – wie Reputation, Karriere und der Wunsch nach vielen, möglichst hochrangigen Publikationen oder die Zugehörigkeit zu einer Therapieschule – ebenso wirksam sein. Sie stellen für Ärzte eine wichtige Antriebsfeder dar, problematisch wird es allerdings, wenn sie dominant werden.
Institutionelle Interessenkonflikte contra Patientenwohl
Als zu dominant empfinden inzwischen viele Ärzte die ökonomischen Vorgaben bei der Versorgung ihrer Patienten. Mengenausweitung, Patientenselektion Patientenkarussel, Drehtüreffekt, lauten einige der Stichwörter, die meist unter dem Schlagwort Ökonomisierung subsumiert werden. Fest steht: Jedes Vergütungssystem schafft automatisch sekundäre Interessen, im Kontext von DRGs & Co. sprechen Experten von institutionellen Interessenkonflikten. Doch was, wenn die sekundären Interessen zu primären werden? Dr. Wolfgang Wodarg, Vorstand von Transparency International Deutschland, ist überzeugt, dass sich mit der Transformation des Gesundheitswesens zum Gesundheitsmarkt das primäre Interesse verändert hat. Davor warnt er auf der Veranstaltung in der Berliner Ärztekammer im Juli. Mit dieser Auffassung steht er nicht allein, die Ökonomisierung der Medizin wird inzwischen von vielen Ärztevertretern genau deshalb heftig kritisiert.
Fazit Unsere Recherche zeigt, wie vielschichtig das Thema Interessenkonflikte ist. Vor mehreren Jahren haben Ludwig und seine Kollegen die Hoffnung formuliert, mit ihrem Buch das Thema aus der „Schmuddelecke“ zu holen und einer sachlichen und kritischen Diskussion zuzuführen. Diese hat an einigen Stellen bereits begonnen, dennoch hat der Appel nichts an Aktualität eingebüßt.