Neue Versorgungswege von Ärzten für Ärzte

Dr. Annegret Elisabeth Schoeller über Impfen außerhalb der Praxis

Berlin (pag) – Wie sieht es mit Impfungen außerhalb der klassischen Arztpraxis aus? Was tut sich bei Betriebsärzten und beim Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD)? Über Neuerungen berichtet die zuständige Bereichsleiterin der Bundesärztekammer, Dr. Annegret Elisabeth Schoeller.

Dr. Annegret Elisabeth Schoeller © privat
Dr. Annegret Elisabeth Schoeller © privat

Impfungen werden nahezu ausschließlich von niedergelassenen Ärzten durchgeführt. Wie sieht es mit Ärzten aus anderen Versorgungssektoren aus?

Dr. Annegret Elisabeth Schoeller: Es stimmt, traditionell impfen heutzutage weitestgehend die niedergelassenen Ärzte. Damit aber das Impfen aus ärztlicher Hand umfassend in Lebenswelten und Arbeitswelt durchgeführt werden kann, sollen auch Ärztinnen und Ärzte aus anderen Versorgungssektoren allgemeine Impfungen durchführen – wie Betriebsärztinnen und Betriebsärzte in der Arbeitswelt und Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst in Lebenswelten.

Das scheint bisher kaum der Fall zu sein.

Schoeller: Bis zu den 1990er-Jahren impften auch Ärzte im ÖGD flächendeckend Kinder, Jugendliche, Erwachsene und ältere Menschen. Aufgrund von Einsparmaßnahmen im Öffentlichen Gesundheitsdienst wurde es immer weniger. Die Situation bei Betriebsärzten ist dagegen so, dass sie schon immer auf Veranlassung der Arbeitgeber Impfungen durchführen, um die Beschäftigten vor Gefahren durch die Tätigkeit schützen zu können. Aber nun gibt es eine wichtige Neuerung.

Und zwar?

Schoeller: Erst jetzt können Verträge nach Paragraph 132e SGB V zur Durchführung von allgemeinen Impfungen mit den Gesetzlichen Krankenkassen geschlossen werden. Damit erübrigt sich das Ansinnen von Apotheker-Berufsverbänden, ebenfalls impfen zu wollen.

Was sind das für Verträge?

Schoeller: Der Paragraph 132e SGB V sieht vor, dass Krankenkassen oder Kassenverbände mit Kassenärztlichen Vereinigungen, geeigneten Ärzten, wie Betriebsärzten sowie „Einrichtungen mit geeignetem ärztlichen Personal“ oder auch mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst Verträge zur Durchführung von Schutzimpfungen schließen können. Diese Regelung stammt aus dem Präventionsgesetz.

… das in seinen wesentlichen Teilen im Juli 2015 in Kraft getreten ist. Warum wird diese Regelung erst jetzt umgesetzt?

Schoeller: Es mussten noch redaktionelle Folgeänderungen in Paragraf 140a SGB V „Besondere Versorgung“ und Paragraph 295a SGB V „Abrechnungsstellen“ vorgenommen werden. Das ist im Rahmen des Terminservice- und Versorgungsgesetzes geschehen. Dennoch waren die Ärzte nicht untätig: Es wurden in den letzten Jahren neue Versorgungswege von Ärzten für Ärzte geschaffen. Sie sind nun bereit, zu starten.

Also kommt etwas in Bewegung?

Schoeller: Die DGAUM, die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin, hat bereits Selektivverträge mit einzelnen Krankenkassen geschlossen. Für die Abrechnung von (betriebs-)ärztlichen Impfleistungen und Impfstoffen hat die Gesellschaft eine Abrechnungsstelle vorgesehen. In diesem Rahmen wird den Betriebsärzten unter dem Namen „DGAUM-Selekt“ ein geschütztes Onlineportal zur Verfügung gestellt, das die Verwaltung und Abrechnung von Leistungen für die GKV, für die Selbstzahler im Kostenerstattungsverfahren sowie für PKV-Versicherte aus einer Hand ermöglichen kann. Auch der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte im ÖGD loten derzeit aus, wie sie den gesetzlichen Rahmen des Präventionsgesetzes mit Leben füllen können.

.

ZUR PERSON
Dr. Annegret Elisabeth Schoeller ist als Bereichsleiterin in der Bundesärztekammer für Arbeitsmedizin, öffentlicher Gesundheitsdienst, Rehabilitation sowie für Impfungen, Hygiene und Pandemieplanung zuständig. Zuvor arbeitete sie unter anderem im Öffentlichen Gesundheitsdienst und am Institut für Hygiene und Arbeitsmedizin, Gelbfieberimpfstelle der Universität-Essen-Gesamthochschule. Die Fachärztin für Arbeits- und Umweltmedizin ist unter anderem Mitglied des Expertenbeirats Influenza des Robert Koch-Instituts und der Nationalen Lenkungsgruppe Impfen der Gesundheitsministerkonferenz.

„Es muss einfacher werden, geimpft zu werden“

Prof. Cornelia Betsch über Verbesserungsbedarf im Versorgungssystem

Berlin (pag) – Wie lassen sich Impfraten steigern? Die Gesundheitskommunikationsexpertin Prof. Cornelia Betsch sieht viele Möglichkeiten, das Versorgungssystem zu verbessern und macht konkrete Vorschläge. Über eine Impfpflicht sollte erst nachgedacht werden, wenn diese Optionen ausgeschöpft sind, findet sie – nicht zuletzt, weil eine Pflicht unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben könnte.

Prof. Cornelia Betsch © Marco Borggreve

Wie impffreundlich ist das hiesige Versorgungssystem, wo sehen Sie den größten Verbesserungsbedarf?

Prof. Cornelia Betsch: Praktische Barrieren sind ein wichtiger Grund für fehlende Impfungen. In der Arztpraxis können zahlreiche Maßnahmen ergriffen werden, um die Abläufe zu vereinfachen. Ich denke an das Impfen ohne Termin und an Impfsprechstunden am Abend oder am Wochenende. Erinnerungs- oder Recallsysteme durch Praxen gelten als sehr wirksam. In der Praxis aufgehängte Poster können den Patienten einladen, mit dem Arzt zu dem Thema ins Gespräch zu kommen. Im nächsten Schritt ist dann eine vertrauensvolle Gesprächsführung von großer Bedeutung.

Und über die Arztpraxis hinausgedacht?

Betsch: Ganz grundsätzlich muss es unser Versorgungsystem einfacher machen, geimpft zu werden. Neben fachübergreifendem Impfen sind ein aufsuchendes Impfen oder Impfen an anderen Orten wie in Apotheken wichtige Stichwörter. Sinnvoll können auch einfache Verhaltensanstöße, sogenannte Nudges, sein.

Was können diese bewirken?

Betsch: Eine Studie aus den USA hat gezeigt, dass die Impfrate signifikant stieg, wenn Patienten einen vordefinierten Impftermin erhielten. Möglich ist auch der Versand von Impfaufrufen, bei denen direkt ein Termin – z.B. auf Postkarten – eingetragen wird. Solche Verhaltensanstöße können von einzelnen Praxen, aber auch auf größerer kommunaler oder nationaler Ebene angewendet werden. In den Niederlanden registriert ein nationales Datenbanksystem gegebene und verpasste Impfungen, sodass individualisierte Erinnerungsbriefe verschickt werden.

Hierzulande wird dagegen über eine Impfpflicht gegen Masern diskutiert.

Betsch: Das erleben wir nicht zum ersten Mal. Politiker sagen Impfpflicht in die Kamera, die Medien rotieren – und am Ende passiert nichts. 2015 wurde die Beratungspflicht vor dem Kindergarteneintritt eingeführt. Mir ist allerdings keine Evaluation dieser Maßnahme bekannt, möglicherweise liegen da einfach noch keine Daten vor. Wichtig ist aber, auch die Erwachsenen im Blick zu behalten, denn auch sie sind zum Beispiel von Masern-Ausbrüchen betroffen.

Warum raten Sie von einer Impfpflicht ab?

Betsch: Über eine Impfpflicht sollte erst ernsthaft geredet werden, wenn die vielen Möglichkeiten, das System zu verbessern, ausgeschöpft sind. Und dazu gehört, sehr genau zuzuhören, warum Menschen sich nicht impfen lassen. Genau dort muss man dann ansetzen. Außerdem ist bei einer teilweisen Impfpflicht zu erwarten, dass freiwillige Impfungen weniger wahrgenommen werden, insbesondere von unsicheren oder skeptischen Menschen. Somit kann sich zwar die Impfquote für die Pflichtimpfung erhöhen, andere Impfquoten könnten aber leiden. Last but not least: Wie sollen die Ärzte argumentieren, wenn die Masern-Impfung Pflicht ist und der Rest jetzt bitte freiwillig genauso erfolgen sollte? Die Gespräche zwischen Ärzten und Patienten werden dadurch sicher nicht einfacher.

.

ZUR PERSON
Prof. Cornelia Betsch hat an der Universität Erfurt eine DFG-Heisenberg-Professur für Gesundheitskommunikation. Zu ihren Forschungsinteressen zählen: evidenzbasierte Gesundheitskommunikation, individuelle und soziale Aspekte bei Gesundheitsentscheidungen, die Psychologie des Infektionsschutzes vor allem im Bereich Impfen und umsichtigem Gebrauch von Antibiotika sowie Risikowahrnehmung und -kommunikation im Gesundheitsbereich. Sie berät und arbeitet mit der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung, dem Robert Koch-Institut und der Weltgesundheitsorganisation zusammen.

 

„Patientenwohl muss höchste Priorität eingeräumt werden“

Prof. Wolf-Dieter Ludwig zur Arzneimittelsicherheit in Deutschland

Berlin (pag) – Eine Task Force hat den Fall Lunapharm genau durchleuchtet, Versäumnisse ebenso benannt wie daraus zu ziehende Konsequenzen. Ein Mitglied dieser Gruppe ist der Onkologe Prof. Wolf-Dieter Ludwig. Im Interview erklärt er, warum Deutschland das Zielland Nummer eins für gefälschte Arzneimittel ist und welche Gegenmaßnahmen zu ergreifen sind.

Prof. Wolf-Dieter Ludwig © pag, Fiolka
Prof. Wolf-Dieter Ludwig © pag, Fiolka

Wenn Sie die gegenwärtige Arzneimittelsicherheit hierzulande mit einer Schulnote bewerten, welche Note würden Sie vergeben?

Ludwig: Im Prinzip eine zwei – trotz der besorgniserregenden Vorkommnisse im vergangenen Jahr.

Nach der Lektüre des Task Force-Berichts zu Lunapharm mutet das auf den ersten Blick etwas über-
raschend an …

Ludwig: …aber die Task Force hat mit Lunapharm einen hoffentlich eher singulären Fall betrachtet, der sich nicht verallgemeinern lässt.

In dem Bericht haben Sie Schwachstellen beim zuständigen brandenburgischen Ministerium und der Landesaufsichtsbehörde benannt: etwa Unterbesetzung, mangelnde Kompetenz, unzureichende Kommunikation mit den Bundesoberbehörden. Ist Brandenburg die Ausnahme oder ticken in anderen Bundesländern ähnliche Zeitbomben?

Ludwig: Ich glaube, dass es sich in Brandenburg um eine außergewöhnliche Situation gehandelt hat: In der für die Überwachung des legalen Arzneimittelmarktes zuständigen Behörde in Brandenburg fehlte es an Personal und das vorhandene Personal hat auf eindeutige Hinweise, dass ein illegaler Import von Arzneimitteln nach Deutschland stattfindet, nicht richtig beziehungsweise viel zu spät reagiert. Und vor allem hat die Kommunikation nicht funktioniert – sowohl mit den Bundesoberbehörden, im konkreten Fall vor allem mit dem für biomedizinische Arzneimittel zuständigen Paul-Ehrlich-Institut, als auch mit den für die Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen verantwortlichen Institutionen der Strafverfolgung.

Es besteht also keine Wiederholungsgefahr in anderen Bundesländern?

Ludwig: Als Mediziner habe ich keinen genauen Einblick in die personelle Ausstattung der Landesaufsichtsbehörden in den verschiedenen Bundesländern. Ich gehe aber davon aus, dass sie generell über sehr gut geschultes Personal verfügen – ob in ausreichendem Maße weiß ich aber nicht. Ich hoffe sehr, dass Brandenburg in dieser Hinsicht eine Ausnahme war.
(Hinweis der Redaktion: Eine Übersicht zur von uns recherchierten personellen Ausstattung der Landesaufsichtsbehörden finden Sie im Beitrag „Weckruf Lunapharm“ in dieser Ausgabe).

Der Bericht attestiert den Verantwortlichen eine „ungenügende Verinnerlichung des obersten Gebots der Risikoabwehr“ und damit des Patientenschutzes. Wenn das Grundverständnis für diese Aufgabe nicht vorhanden ist, lässt sich das überhaupt von oben verordnen?

© pixabay, Bearbeitung: pag, Anna Fiolka
© pixabay, Bearbeitung: pag, Anna Fiolka

Ludwig: Ich kann nicht beurteilen, inwieweit das Grundverständnis, eine Gefährdung von Patienten durch gefälschte Arzneimittel unter allen Umständen zu verhindern, vorhanden war. Die Verpflichtung der Landesaufsichtsbehörden ist eindeutig: Sie müssen die Patienten vor nicht wirksamen, gestohlenen und/oder illegal importierten Arzneimitteln schützen. In dieser speziellen Situation wurde auf handfeste Hinweise aus dem Ausland, dass Arzneimittel von einer Apotheke in Griechenland, die über keine Großhandelserlaubnis verfügte, illegal nach Deutschland exportiert wurden, nicht adäquat reagiert.

Wie steht es mit der ministeriellen Fachaufsicht? Auch dort legte Ihr Bericht gravierende Schwachstellen offen: beispielsweise zu stark verzahnte Verfahrensabläufe zwischen Ministerium und Landesbehörde, fehlende Klarheit über Entscheidungsspielräume und -abläufe. Es werden ferner fehlende Grundsätze zur Ausübung der Fachaufsicht bemängelt.

Ludwig: Es ist richtig, dass auch das für die Überwachung der Landesaufsichtsbehörde zuständige Ministerium in Potsdam nicht rasch und adäquat reagiert hat. Ob auch dort zu wenig Personal vorhanden und insgesamt die Kommunikation zwischen diesen Einrichtungen gestört war, konnten die Mitglieder der Task Force anhand der uns vorliegenden Akten allerdings nicht endgültig beurteilen. Wir wissen mittlerweile, dass es bereits 2013 einen klaren Hinweis von der nationalen Arzneimittelaufsichtsbehörde in Griechenland gab, dass die griechische Apotheke in Athen keine Arzneimittel in andere Länder hätte exportieren dürfen. Diese Tatsache wurde Ende 2016 der Landesaufsichtsbehörde erneut mitgeteilt. Warum darauf nicht sofort reagiert und der illegale Import sowie Vertrieb der Arzneimittel gestoppt wurde, ist für mich schwer nachvollziehbar. Dies halte ich für ein klares Versagen – ich hoffe, vor allem auf einer persönlichen Ebene und nicht im System der Arzneimittelüberwachung.

In Griechenland hat der Diebstahl dazu geführt, dass Patienten nicht mit den geeigneten Arzneimitteln behandelt werden konnten. Eine Verletzung des Prinzips der gerechten Verteilung heißt es im Bericht. Das ist nicht der erste Fall: Vor einigen Jahren gelangten aus italienischen Krankenhäusern gestohlene Medikamente nach Deutschland. Sehen Sie einen Zusammenhang mit der Importquote und dem Parallelvertrieb von Arzneimitteln in der Europäischen Union?

Ludwig: Auf jeden Fall. Ein aktuelle Übersichtsarbeit, erschienen 2018 in Lancet Oncology (DOI (ges. Beitrag kostenpflichtig): https://doi.org/10.1016/S1470-2045(18)30101-3), verdeutlicht, dass insbesondere Krebsmedikamente mittlerweile im Fadenkreuz von kriminellen Netzwerken auf europäischer Ebene stehen. Als Zielland Nummer eins für gefälschte beziehungsweise gestohlene Arzneimittel wird Deutschland genannt.

Warum steht Deutschland an erster Stelle?

Ludwig: Die Hauptursache ist, dass bei uns die Preise für Krebsarzneimittel mit am höchsten in Europa sind und deshalb hierzulande sehr hohe Profite mit illegalen Importen von Krebsmedikamenten erzielt werden können.

Ist angesichts dieser Umstände die Importquote nicht ein gefährlicher Anachronismus?

© pag, Fiolka
© pag, Fiolka

Ludwig: Dies sehen die Mitglieder der Task Force auch so. Wir haben deshalb in unserem Gutachten die Streichung des Paragrafen 129, Absatz 1 Satz 1, Nr. 2 im Sozialgesetzbuch V befürwortet. Wir müssen künftig unbedingt verhindern, dass Arzneimittel minderer Qualität beziehungsweise Arzneimittel, die im Rahmen des Parallelvertriebs nicht korrekt gelagert oder transportiert wurden, nach Deutschland gelangen und hier Patienten Schaden zufügen. Dies gilt in besonderem Maß für den hochempfindlichen Bereich der Krebsmedikamente. Darüber hinaus sind die durch diese Regelung realisierten Einsparpotenziale recht überschaubar.

In dem geplanten „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) ist eine Streichung der Importquote nicht vorgesehen. Der Bundesrat hat sich aber in einer Entschließung dafür ausgesprochen.

Ludwig: Sowohl in der gemeinsamen Stellungnahme von Bundesärztekammer und AkdÄ als auch zusammen mit den Apothekern in der Anhörung zum Referentenentwurf für das GSAV haben wir eine Streichung der Importquote befürwortet.

Die Task Force regt darüber hinaus ein Verbot des Parallelvertriebs von Arzneimitteln in der EU an. Warum?

Ludwig: Ich halte dieses Verbot für besonders wichtig bei empfindlichen Medikamenten, bei denen durch den zum Beispiel nicht gekühlten Transport eine unsachgemäße Lagerung und auch durch mehrfache Umverpackung Probleme auftreten können – auch mechanischer Art. In Deutschland beziehen die meisten großen Krankenhäuser für Krebspatienten nur Originalware aus Deutschland. Es gibt auch Bundesländer wie etwa Bayern, in denen die Beschaffung von Medikamenten über Parallelvertrieb den Kliniken grundsätzlich nicht gestattet ist. Für mich ist schwer verständlich, dass einerseits in Deutschland Patienten im Krankenhaus ziemlich sicher sein können, dass sie den Risiken gefälschter oder gestohlener Arzneimittel nicht ausgesetzt sind, andererseits diese Sicherheit und Qualität der Arzneimittelversorgung aber für Patienten im ambulanten Bereich nicht immer garantiert werden kann. Dort bekommen die Zytostatika herstellenden Apotheken mitunter auf sehr undurchsichtigen Vertriebswegen Arzneimittel, die möglicherweise in ihrer Wirksamkeit und Sicherheit nicht den hohen Qualitätsansprüchen genügen, die aber für Patienten essenziell sind.

Wie schätzen Sie die politische Durchsetzbarkeit dieser Forderung ein?

Ludwig: Wenn es der Politik am Herzen liegt, die optimale Versorgung der Patienten in Deutschland – gerade bei lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs – zu garantieren, dann muss der Parallelvertrieb untersagt werden. Ich selbst war nach gründlichem Studium der Unterlagen zum Lunapharm-Skandal überrascht, wie viele Zwischenhändler, auch für Krebsmedikamente, in der Vertriebskette existieren und wie wenig transparent deshalb die Vertriebswege dieser Medikamente inzwischen sind. Insbesondere bei sehr empfindlichen Arzneimitteln, wie beispielsweise monoklonalen Antikörpern und gewissen Zytostatika, dürfen diese intransparenten Vertriebswege fortan nicht mehr toleriert werden.

Aber lässt sich ein Verbot überhaupt angesichts des freien Warenverkehrs in der Europäischen Union realisieren?

Ludwig: Dieser Einwand ist sicher berechtigt. Aber wenn man in den Krankenhäusern durchsetzen kann, dass diese ausschließlich Arzneimittel direkt vom Originalhersteller aus Deutschland beziehen, dann müsste dies genauso im Bereich der Zytostatika herstellenden Apotheken umsetzbar sein. Es ist an der Zeit, dass hier dem Patientenwohl höchste Priorität eingeräumt wird und nicht ökonomischen Gesichtspunkten.

 

ZUR PERSON

Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig ist Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Der Hämatologe und Onkologe war bis September 2017 Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Tumorimmunologie und Palliativmedizin im Helios Klinikum Berlin-Buch. Gegenwärtig arbeitet er ambulant in der Schwerpunktpraxis „Hämatologie Onkologie Berlin-Mitte“. Er ist Herausgeber des unabhängigen Informationsblattes „Der Arzneimittelbrief“, Mitglied verschiedener nationaler und internationaler Fachgesellschaften und gehört als Vertreter der europäischen Ärzteschaft dem Management Board der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) an.