„Die Bedrohung nimmt zu“

Stefanie Matthys über klimaresiliente Krankenhäuser

Berlin (pag) – Ein wachsendes Bewusstsein für die Notwendigkeit, Krankenhäuser und Pflegeheime an klimatische Änderungen anzupassen, nimmt die Architektin Stefanie Matthys wahr. „Inzwischen sehen wir in den Ausschreibungen zu neuen Bauvorhaben immer öfter das Wort ‚klimaresilient‘“, sagt die Geschäftsführerin des European Network Architecture for Health. Im Interview beschreibt sie, wie Gesundheitseinrichtungen an das sich wandelnde Klima angepasst werden können und welche Herausforderungen dabei bestehen.

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Wie können sich Krankenhäuser, Pflegeheime & Co. auf den Klimawandel vorbereiten? Jeder für sich allein oder wie können Synergien gehoben werden?

Matthys: Dafür sollten wir uns zunächst fragen, welche Risiken für Krankenhäuser und Pflegeheime der Klimawandel mit sich bringt.

Und welche sind das?

Matthys: Die Hauptrisiken entstehen aus Extremwetterereignissen wie Stürmen und Starkregen, wie wir sie gerade dieser Tage wieder in Deutschland erleben, und aus Hitzewellen. Die Folgen daraus sind vielfältig. Durch Extremwetterereignisse können Betriebsabläufe gestört oder sogar unterbrochen werden, indem zum Beispiel Gebäudeteile beschädigt oder unter Wasser gesetzt und Lieferketten
oder die Energieversorgung unterbrochen werden. Die Folgen von Hitzewellen und dem daraus resultierenden Phänomen des Heat-Island-Effekts in den Städten bedrohen vor allem Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Patienten und Personal. Und diese Bedrohung nimmt zu. Schon in den Rekordsommern der vergangenen Jahre stöhnten viele Krankenhäuser über die Belastung durch extreme Hitze. Bis Ende 2100 prognostiziert der Lancet Countdown Report für Deutschland bis zu 30 Hitzewellen pro Jahr und bis 2030 über 30.000 zusätzliche hitzebedingte Todesfälle in Europa. Wir haben uns in dem Webinar „Klimaresiliente Krankenhäuser“ daher vor allem auf Maßnahmen zur Hitzeresilienz konzentriert und bauliche wie verhaltensbasierte Anpassungsmaßnahmen besprochen.

Wie können solche Anpassungsmaßnahmen aussehen?

Matthys: Diese müssen sowohl innerhalb jedes Hauses also auch auf kommunaler und bundesweiter Ebene stattfinden. Jedes Haus muss seine baulichen Gegebenheiten auf Stand bringen. Wie sieht es aus mit außenliegendem Sonnenschutz und der Isolierung der Gebäudehülle? Sind auf dem Gelände ausreichende Verdunstungsflächen und verschattete Aufenthaltsbereiche im Freien vorhanden? Können begrünte Dachflächen oder sogar Grünfassaden geschaffen werden? Sind energie- und ressourcenschonende Kühlsysteme vorhanden? Dazu kommen Möglichkeiten zu verhaltensbasierten Anpassungsmaßnahmen. Diese reichen von internen Schulungen über Patientenmonitoring besonders vulnerabler Gruppen bis hin zur Verlegung von Patienten und veränderten bzw. flexibleren Betriebsabläufen, in denen Aktivitäten mit erhöhter körperlicher Belastung in die Morgen- und Abendstunden verlegt werden.

Welche sind die größten Hürden?

Matthys: Viele Häuser stehen vor der Herausforderung, entsprechende Anpassungsmaßnahmen in die Fassaden oder in die Gebäudekühlung in teilweise veralteten, teilweise sogar denkmalgeschützten Bauten im laufenden Betrieb umzusetzen. Dabei fehlt es an verlässlichen Regelwerken und Daten, welche Maßnahmen sich wie auswirken. Der schlimmste zu erwartende Effekt wäre, dass mit wenig Weitsicht gehandelt wird und stromfressende, außenliegende Klimageräte an den Fassaden angebracht werden, die wiederum noch mehr zum Klimawandel beitragen.

Besteht bei Bauherren und Trägern ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, bestehende oder neue Bauten an klimatische Änderungen anzupassen?

Matthys: Ich würde sagen, das Bewusstsein wächst. Die Hitzesommer der vergangenen Jahre sind nicht ohne Effekt an den Bauherren vorbeigegangen und auch die öffentliche Wahrnehmung der Problematik ist ja in den letzten Jahren gewachsen. Inzwischen sehen wir in den Ausschreibungen zu neuen Bauvorhaben immer öfter das Wort „klimaresilient“ auftauchen und an vielen größeren Häusern gibt es inzwischen einen Klimamanager, der nicht nur für die oben beschriebenen baulichen und verhaltensbasierten Maßnahmen, sondern auch zum Beispiel für klimafreundliche Warenkreisläufe und Abfallmanagement zuständig ist. Das Bundesumweltministerium hat zudem seit 2020 mit dem Förderprogramm „Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen“ einen Fördertopf geöffnet, der Krankenhäuser und Pflegeheime bei Beratung, Investitionen und auch Schulungsmaßnahmen unterstützt. Dieses Programm wird sehr gut angenommen, was deutlich macht, dass das Bewusstsein und der Bedarf auf jeden Fall vorhanden sind.
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Architektin Stefanie Matthys © privat

ZUR PERSON
Die Architektin Stefanie Matthys war unter anderem wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin im Fachgebiet „Entwerfen von Krankenhäusern und Bauten des Gesundheitswesens“ von Prof. Christine Nickl-Weller. Dort initiierte sie diverse Forschungsprojekte, Tagungen und Workshops zu „Healing Architecture“. 2014 trat Matthys in die Nickl & Partner Architekten AG ein. Seit 2017 ist sie Geschäftsführerin des European Network Architecture for Health.
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„Gesundheit braucht Klimaschutz“


Ärzte müssen aktiv werden, verlangt Dr. Susanne Balzer  

Berlin (pag) – Möglichst rasch sollten die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise als Thema in Lehre und Fortbildungen für alle Gesundheitsberufe etabliert werden. Das fordert die niedergelassene Internistin Dr. Susanne Balzer, die auch bei der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) die Herausforderung Klimaschutz vorantreibt. Im Interview beschreibt sie Auswirkungen des Klimawandels auf die Versorgung, drängende Gegenmaßnahmen und die Bereitschaft der Ärzteschaft, sich mit alledem auseinanderzusetzen.

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Sind die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels bereits in Kliniken und Praxen konkret spürbar? Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen?

Balzer: Die Folgen der Klimakrise sind bereits in der ärztlichen und pflegerischen Versorgung unserer Patientinnen und Patienten spürbar. Am prägnantesten und aktuellsten sicherlich durch zunehmende Hitze. Es gibt mehr, längere und intensivere Hitzeperioden. Im „Lancet Countdown Policy Brief for Germany“ wurde bereits 2019 deutlich gewarnt, dass Gesundheitsrisiken durch die zunehmende Hitze in Deutschland häufiger und schwerwiegender werden. Insbesondere unsere hochbetagten und multimorbiden Patienten sind gefährdet. Der August 2020 beispielsweise hatte Gebietsmittel von 20 Grad Celsius. Es war für Deutschland – nach dem August 2003 – der zweitwärmste August seit 1881 und 3,6 Grad wärmer als die mittleren Augusttemperaturen der internationalen Referenzperiode 1961. Daraufhin kam es zu circa 4.200 hitzebedingten Todesfällen. Hierbei sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die maßgeblich angeführte Todesursache.

Wie wirkt sich das in der Versorgung konkret aus?

Balzer: In der Hausarztpraxis stellt eine Hitzeperiode durch gegebenenfalls vermehrte Hausbesuche und eine intensive Beratung unserer Patienten mit Anpassung der Medikation und Monitoring der Nierenfunktion etc. eine zusätzliche zeitliche Herausforderung dar. Im Krankenhaus führt Hitze über 30 Grad zu circa 3 Prozent mehr Krankenhauseinweisungen bei den über 65-Jährigen. Aber nicht nur Hitze, sondern auch Allergien, welche durch den menschengemachten Klimawandel zunehmen, sind bereits in häufigeren Beratungsanlässen spürbar. Genauso wie eine vermehrte psychische Belastung insbesondere der jüngeren Generation. In der Umfrage „Zukunft! Jugend fragen“ von 2017 wurden 1.000 junge Menschen zwischen 14 und 22 Jahren befragt, wobei jeder Dritte Zukunftsängste angab! Da müssen wir als Ärzte aktiv werden und sowohl unsere Mitmenschen entsprechend beraten als auch politisch darauf hinwirken, dass Klimaschutzmaßnahmen mit aller notwendigen Priorisierung durchgesetzt werden.

Was sind die schwierigsten Herausforderungen, die ein sich wandelndes Klima für Ärztinnen und Ärzte mit sich bringt?

Balzer: Bewusstsein für die Klimakrise schaffen, entsprechend handeln und akut – auch wenn teils mit mehr Treibhausgasemissionen verbunden – Hitzeschutzmaßnahmen für unsere vulnerabelsten Patientinnen und Patienten schaffen: kühle Räume in Pflegeheimen, Krankenhäusern und soweit möglich in Praxen, Begrünung, Verschattung und flächendeckende kommunale Hitzeschutzpläne etablieren.
 
Wie können sich die Gesundheitsberufe darauf vorbereiten? Wo besteht der drängendste Handlungsbedarf?

Balzer: Es braucht eine rasche Etablierung des Themas in der Lehre und Fortbildungen für alle Gesundheitsberufe. Der Gesundheitssektor in Deutschland sollte sich darüber hinaus auf klare Klimaziele festlegen.

Besteht in der Ärzteschaft Interesse und Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen?

Balzer: Das denke ich schon. Im DGIM Talk Klimawandel und Gesundheit Ende Juni haben sich zumindest 95 Prozent der Beteiligten dafür ausgesprochen, das Thema Klimawandel und Gesundheit weiter zu vertiefen oder Klimaschutz im eigenen Wirkungsfeld zu betreiben. Denn Gesundheit braucht Klimaschutz! Es gibt eine große Anzahl an Kolleginnen und Kollegen, die sich sehr intensiv engagieren und inzwischen gibt es tolles Informationsmaterial für Patienten und auch für Ärzte.
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Dr. Susanne Balzer © privat

ZUR PERSON
Dr. Susanne Balzer ist hausärztliche Internistin in Köln. Im April vergangenen Jahres hat sie sich niedergelassen. Balzer ist Mitglied der AG hausärztliche Internisten der DGIM, in der sie das Ressort Klimaschutz betreut. Sie ist über die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) vernetzt und setzt sich für Klimaschutz in der Primärversorgung und die Reduktion von Treibhausgasemissionen in der Arztpraxis ein.
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Ein klima-gerechtes Gesundheitssystem

Warum der Klimawandel ein grundsätzliches Umdenken erfordert

Berlin (pag) – Die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise waren bis vor einiger Zeit noch ein Nischenthema in der Gesundheitspolitik, aber das hat sich mittlerweile gründlich geändert. Viele Expertinnen und Experten sind überzeugt: Die größte Gesundheitsbedrohung des 21. Jahrhunderts ist der Klimawandel. Wie wird darauf reagiert?

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Bereits vor der verheerenden Flutkatastrophe im Juni hat der Klimawandel und dessen Folgen für die menschliche Gesundheit die (gesundheits-)politischen Akteure zunehmend alarmiert. Gesundheitsminister Jens Spahn geht auf das Thema Mitte Juni beim Krankenhausgipfel ein. „Wir müssen mit Blick auf die Versorgung in Krankenhaus und Pflegeheim über Hitze reden“, sagt er. Über das, was sie mit dem menschlichen Körper mache und wie das Gesundheitssystem darauf vorzubereiten sei. Spahn verweist auf erhöhte Todeszahlen im August, die auf Hitze zurückzuführen seien. „Das zeigt, dass es jenseits der Pandemie weitere wichtige Aufgaben für die 20er Jahre gibt.“

Infoportal geht online

Einige Tage zuvor ist ein neues Infoportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung online gegangen. Unter www.klima-mensch-gesundheit.de finden Bürgerinnen und Bürger Informationen, wie sie Hitzebelastungen vorbeugen können. Weitere Themen sollen das Portal künftig noch ergänzen.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen wird den Klimawandel und seine gesundheitlichen Folgen in seinem nächsten Gutachten behandeln, heißt es ebenfalls im Juni auf einem Symposium des Rates. Und auch auf europäischer Ebene gewinnt das Thema an Bedeutung. Derzeit ist beispielsweise auf EU-Ebene eine Stelle im Aufbau, die Daten dazu sammelt, berichtet ein Vertreter des Bundesumweltministeriums im Bundestagsausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.

Dringender Handlungsbedarf

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Viele Daten, Studien und Experteneinschätzungen wurden bereits in der Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 (KWRA) für Deutschland zusammengestellt. Untersucht werden über 100 Wirkungen des Klimawandels und deren Wechselwirkungen. Bei rund 30 besteht sehr dringender Handlungsbedarf. Die Studie wurde im Auftrag der Bundesregierung durch ein wissenschaftliches Konsortium und unter Einbindung von Expertinnen und Experten aus 25 Bundesbehörden und -institutionen aus neun Ressorts erarbeitet. Der Teilbericht 5 widmet sich Klimarisiken in den Clustern Wirtschaft und Gesundheit. Bei der menschlichen Gesundheit unterscheiden die Experten zwischen indirekten und direkten Folgen. Extremereignisse wie Hitze, Starkwinde oder Starkniederschläge können Körper und Psyche direkt belasten, beispielsweise indem sie zu Beschwerden, schweren Erkrankungen, Verletzungen oder zum Tod führen. Die katastrophalen Ausmaße solcher Extremereignisse haben wir jüngst in Westdeutschland erfahren. Auf vielfältige Weise beeinflussen Wetter und Witterung auch die UV-Strahlung, welche Haut und Augen schädigen kann und Hauptursache von Hautkrebs sein kann, heißt es.

Gefährliche Hitze

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Es sind insbesondere die steigenden Temperaturen, die als klimatischer Einfluss eine wesentliche Rolle für die Gesundheit der Menschen spielen. Hitze belastet das Herz-Kreislaufsystem und kann zu aggressivem Verhalten führen. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass selbst die Suizid-Rate mit zunehmenden Temperaturen ansteigt, warnen die Experten in der Klimawirkungs- und Risikoanalyse.
Alarmierende Zahlen enthält der kürzlich veröffentlichte Versorgungsreport Klima und Gesundheit zu den Folgen steigender Temperaturen. In der vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) vorgestellten Publikation untersucht das Klimaforschungsinstitut MCC, wie viele Krankenhauseinweisungen in den Jahren 2008 bis 2018 auf Hitze zurückzuführen waren. Jeder vierte AOK-Ver-sicherte über 65 Jahre ist demnach überdurchschnittlich gefährdet, an heißen Tagen gesundheitliche Probleme zu bekommen und deshalb ins Krankenhaus zu müssen. An Hitzetagen mit Temperaturen über 30 Grad Celsius kam es hitzebedingt zu drei Prozent mehr Krankenhauseinweisungen in dieser Altersgruppe. Schreitet die Erderwärmung ungebremst voran, könnte sich bis zum Jahr 2100 die Zahl der hitzebedingten Klinikeinweisungen versechsfachen, heißt es in der Analyse.

Tigermücken, West-Nil-Fieber und Co.

Mehr und mehr rücken neben den direkten auch die indirekten Folgen des Klimawandels für die menschliche Gesundheit in den Fokus. Erläuternd heißt es in der Klimawirkungs- und Risikoanalyse: „Wenn Krankheitserreger, deren Überträger oder auch allergieverursachende Pflanzen oder Tiere von Wetter oder Witterung profitieren oder die Wirkungen von Schadstoffen und Strahlung verstärkt werden, wird von indirekten Folgen für den Menschen gesprochen.“
Auf solche geht der Präsident des Robert Koch-Instituts, Prof. Lothar Wieler, kürzlich beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) ein. Er berichtet unter anderem von Klimaveränderungen, die Einfluss auf das Vorkommen von Mückenarten haben, die wiederum Tropenkrankheiten übertragen können. Die Tigermücke sei bereits in Gebieten von Deutschland heimisch. Bisher seien noch keine Krankheitsübertragungen über sie bekannt. Die Mücken seien aber theoretisch Vektor – also Überträger – für zum Beispiel Dengue, Zika und Chikungunya. Das Vorkommen von Mücken wird daher beobachtet, es besteht eine Meldepflicht für von Stechmücken übertragenen Erkrankungen, um frühzeitig ein Ausbruchsgeschehen zu erkennen. Bereits seit 2018 findet man hierzulande das West-Nil-Fieber. Einzelne schwer verlaufende Fälle und 2020 einen ersten Todesfall gab es bereits, berichtet der RKI-Präsident. Das Virus sei vermutlich über Vögel hierhergekommen und werde vor allem über die heimische Mücke Culex übertragen.
„Der Klimawandel kann auch die Etablierung solcher Krankheitserreger begünstigen, also nicht nur die der Vektoren“, hebt Wieler hervor. Eine Konsequenz dieser Entwicklung sei, dass Ärztinnen und Ärzte zunehmend differentialdiagnostisch Krankheiten in Erwägung ziehen, „die wir bisher eher nur aus der Reisemedizin kennen“.

Teil des ärztlichen Auftrags

Es gibt Stimmen, die von Ärzten angesichts der Klimakrise weit mehr erwarten als ihr diagnostisches Repertoire zu erweitern. Zu ihnen gehört DGIM-Kongresspräsident Prof. Sebastian Schellong. Zwar sieht er den Bereich ärztlicher Verantwortung zunächst auf das Binnenverhältnis Arzt – Patient begrenzt. „Wenn Krankheitskonzepte aber die äußeren Umstände und Lebensverhältnisse als Ursachen benennen, kann es Teil des ärztlichen Auftrags werden, sich auch damit auseinanderzusetzen“ sagt er auf dem Kongress. Mediziner verstehen die zunehmenden Veränderungen der klimatischen Bedingungen als Krankheitsursachen und könnten mit ihrem Expertenwissen darüber aufklären, argumentiert er. Mit Blick auf sogenannte Co-Benefits weist er außerdem darauf hin, dass das Eintreten für eine Lebensstiländerung bei vielen Erkrankungen ohnedies Teil der ärztlichen Beratung sei. Die angeratenen Veränderungen – zum Beispiel bei Ernährung und Bewegung – seien aber qua CO2-Ausstoß in ihrer Gesamtheit auch klimarelevant.
Ärztinnen wie Sylvia Hartmann und Dr. Susanne Balzer, die sich in der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) engagieren, fordern längst, dass die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels als Thema in Lehre und Fortbildung etabliert werden. Erste Schritte in diese Richtung werden bereits unternommen: Die von KLUG organisierte Planetary Health Academy hat bereits mehrfach online eine Vorlesungsreihe zu den Zusammenhängen zwischen Nachhaltigkeit und Gesundheit angeboten. „Bisher waren wir regelmäßig von der hohen Nachfrage nach diesem Thema überrascht“, sagt Hartmann, Gründungsmitglied von KLUG.

Von Einzelfällen zur Selbstverständlichkeit

Wer sich mit Gesundheit und Klimawandel auseinandersetzt, kommt nicht an dem Umstand vorbei, dass der Gesundheitssektor hierzulande zu den Branchen mit dem größten Ressourcenverbrauch gehört. Speziell Krankenhäuser seien einer der sechs größten Energieverbraucher in der Branche Handel, Dienstleistung und Gewerbe, heißt es in einem Anfang des Jahres publizierten Positionspapier des Bündnisses Junge Ärzte. Sie fordern darin die klima-gerechte Umgestaltung von Gesundheitssystemen. Diese Herausforderung nehmen einige Akteure bereits an. Ein Beispiel: Anlässlich der Vorstellung des Versorgungsreports Klima und Gesundheit kündigt der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung des CO2-Fuß-abdrucks an. Es soll in den nächsten drei Jahren umgesetzt werden und reiche von der Umstellung der Stromversorgung auf Grünstrom über das Mobilitätsmanagement bis hin zur Schaffung von mehr Sensibilität für ein klimafreundliches Verhalten in der Belegschaft, so Litsch.
Die Deutsche Röntgengesellschaft und ihr Vorstandsmitglied Dr. Kerstin Westphalen sehen ihr Fachgebiet ebenfalls in der Pflicht, klimabelastende Emissionen zu reduzieren, Ressourcen zu schützen und insgesamt mehr Nachhaltigkeitskonzepte zu entwickeln und umzusetzen. Aus gutem Grund, denn die in der Radiologie eingesetzten medizintechnischen Großgeräte wie Magnetresonanztomografen oder Computertomografen verbrauchen sehr viel Energie und produzieren große Mengen an klimaschädlichem CO2. „Es gibt bereits einige Kliniken, die sich das Ziel ‚Nullemissionen‘ gesetzt haben und mit wenigen Veränderungen schon viel erreicht haben“, sagt Kerstin Westphalen. Auch im ambulanten Bereich gebe es nachhaltige Praxiskonzepte. „Leider sind solche Beispiele aber noch Einzelfälle.“ Die Fachgesellschaft hat deshalb kürzlich die interne Kommission Nachhaltigkeit@DRG gegründet, deren Sprecherin Westphalen ist. Ähnlich wie bei der AOK wurde ein 10-Punkte-Plan für mehr Nachhaltigkeit verabschiedet, ein Gütesiegel für „Nachhaltige Radiologie“ ist außerdem im Gespräch.
So soll aus Einzelfällen in Zukunft eine Selbstverständlichkeit gemacht werden.

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Arzt und Moderator Eckhard von Hirschhausen © pag, Fiolka

Gesunde Erde – Gesunde Menschen
„Von der Krise lernen“ lautet das Motto des DGIM-Kongresses. Die Veranstaltung dreht sich nicht nur um die Pandemie-Folgen, sondern setzt prominent die Krise der planetaren Gesundheit auf die Tagesordnung. Auf der begleitenden Pressekonferenz fordert der Arzt und Moderator Eckhard von Hirschhausen (Foto rechts) ein grundlegendes Umdenken: Es müsse neu entdeckt werden, dass die Grundlagen für jede gute Medizin nicht in der Medizin begründet sind, sondern in den physiologischen Voraussetzungen, in den natürlichen Lebensgrundlagen – und die seien massiv bedroht. „Wir brauchen lange vor Medikamenten, Operationen und Krankenhäusern so basale Dinge wie saubere Luft zum Atmen, Wasser, etwas zu essen und erträgliche Außentemperaturen“, sagt von Hirschhausen. All das auf eine Formel gebracht bedeute „one health“, planetary health oder auf gut Deutsch: Gesunde Erde – Gesunde Menschen.
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Weiterführender Link:

„Das Klima ändert sich – so schützen Sie Ihre Gesundheit.“ – Infoportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung:https://www.klima-mensch-gesundheit.de