Berlin (pag) – Eine Umfrage im Auftrag der Siemens Betriebskrankenkasse (SBK) offenbart ein zwiespältiges Bild: Die meisten Menschen sind mit der medizinischen Versorgung in Deutschland zufrieden, doch ein nicht unerheblicher Teil erlebt Defizite. Vorständin Dr. Gertrud Demmler mahnt weitreichende Reformen an, die die Ressourcen des Gesundheitswesens entlasten. Ein Problem: Aktuell sei das System auf Menge und nicht auf Qualität ausgerichtet.
Geld, Fachkräfte und Materialien fließen Demmler zufolge vor allem in aufwendige Therapien und Angebote, die einen hohen Ressourcenverbrauch aufweisen. Dieser Mechanismus schaffe keine Anreize, nachhaltig zu handeln. Die Kassenchefin fordert: „Dieser mengenbasierte Verteilungsmechanismus sollte zu einem qualitätsbasierten weiterentwickelt werden.“ Profitieren sollten insbesondere Therapien, die aus Patientensicht einen hohen und langfristigen Nutzen haben. Voraussetzung dafür sei, die Qualität von Behandlungen über die Erfahrungen der Versicherten zu messen und die Ergebnisse transparent zur Verfügung zu stellen. Demmler ist überzeugt, dass auf diese Weise eine neue Qualitätsorientierung erreicht werde, welche wirksamere Therapien fördert. „Zudem sparen wir wertvolle Ressourcen ein und entlasten das medizinische Personal.“
Probleme beim Zugang
Die repräsentative Untersuchung, die das Marktforschungsinstitut YouGov im Auftrag der SBK unter 2.022 Teilnehmenden ab 18 Jahren durchgeführt hat, zeigt ein geteiltes Bild: Die meisten Menschen geben der Versorgung ein gutes Zeugnis. So bewerten 77 Prozent ihre letzten Erfahrungen mit einer Arztpraxis positiv. Doch: Jeder Vierte (24 Prozent) sieht die Notfallversorgung in der eigenen Region als nicht vollständig gesichert. 35 Prozent der Menschen, die schon einmal pflegebedürftig waren oder einen Menschen gepflegt haben, waren nicht zufrieden mit den Erfahrungen, die sie mit ambulanten oder stationären Pflegeeinrichtungen gemacht haben. 28 Prozent der Eltern mit Kindern bis 12 Jahren hatten Schwierigkeiten, eine Kinderarztpraxis zu finden.
Beim Zugang zur ärztlichen Versorgung schwankt die Zufriedenheit laut Umfrage: 80 Prozent können eine haus- oder allgemeinärztliche Praxis in angemessener Entfernung zu ihrem Wohnort besuchen. Allerdings haben 30 Prozent trotz dringendem Bedarf keinen Facharzttermin in angemessener Zeit erhalten. 37 Prozent der Menschen mit Erfahrungen mit ambulanter oder stationärer Pflege konnten in einer Pflegesituation nicht ausreichend schnell einen Platz im Heim oder einen Pflegedienst finden.
Die wichtigste Ressource
„Die Gesundheitsversorgung ist in einer angespannten Lage, das zeigen auch die Ergebnisse dieser Umfrage“, betont Gertrud Demmler. Auf absehbare Zeit werde die Überlastung aufgrund des demographischen Wandels eher größer. „Das heißt Arzttermine, Pflegeeinrichtungen oder Zeit für die Patientinnen und Patienten im Krankenaus werden eher knapper.“ Das sei nicht nur für die Patientinnen und Patienten eine schlechte Nachricht. Auch die Menschen, die sie versorgen, stehen zunehmend unter Druck. „Wir brauchen jetzt weitreichende Reformen, die die Ressourcen des Gesundheitswesens insgesamt entlasten. Und die wichtigste dieser Ressourcen sind die Menschen, die im System arbeiten.“
Berlin (pag) – Gesundheitsausgaben von jährlich über 400 Milliarden Euro wecken Begehrlichkeiten. Abrechnungsbetrug und Korruption schädigen das Sozialsystem schätzungsweise um 14 Milliarden Euro pro Jahr. Das Problem ist bekannt, von Kranken- und Pflegekassen eingerichtete Stellen gehen gegen Fehlverhalten vor – aber das Ganze ist äußerst mühselig. Dabei gibt es einige Ideen für neue Formen der Bekämpfung.
Seit 20 Jahren haben die gesetzlichen Krankenkassen die Aufgabe, gegen Fehlverhalten im Gesundheitswesen vorzugehen. Die Bundesregierung hat mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz alle Kranken- und Pflegekassen verpflichtet, Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen einzurichten. Ende 2023 nimmt der GKV-Spitzenverband das Jubiläum zum Anlass, das Thema bei einer Veranstaltung grundsätzlich zu diskutieren. Feierstimmung herrscht nicht, von einer eindeutigen Erfolgsgeschichte mag niemand so recht sprechen. Verbandsvorstand Gernot Kiefer stellt klar: „Es ist eine mühsame Angelegenheit.“ Man sei bei Weitem nicht auf dem Gipfel angekommen, sondern sei lediglich ein Stück des Weges gegangen. Besonders brisant: Durch Abrechnungsbetrug entsteht nicht nur ein finanzieller Schaden, sondern die Patienten erhalten als Folge nicht die Leistungen, die sie eigentlich benötigen. Die gemeinschaftlich von Arbeitgebern und Versicherten finanzierten Beitragsmittel werden statt für Kuration, Prävention und Rehabilitation für andere Zwecke verwendet, führt Kiefer aus und warnt vor einem Vertrauensverlust.
Mehr Zusammenarbeit
Er appelliert an die Anwesenden, einzelkassenorientierte Strategien kritisch zu reflektieren. Gebraucht werde außerdem ein gesetzlicher Rahmen, um stärker vernetzt zu arbeiten. Zwischen den Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen sollten Verbünde, Datenaustausch und ein gemeinsames Vorgehen organisiert werden. „Wenn sich diejenigen hochprofessionell organisieren, die das Gesundheitswesen systematisch schädigen wollen, dann kann die Antwort nicht sein, dass wir bei den Methoden bleiben, die sich traditionell ergeben haben.“ Kiefer wirbt dafür, neue Methoden und Techniken wie Datamining und Künstliche Intelligenz so einzusetzen, dass ein adäquates Gegengewicht und nachhaltiger Aufklärungsdruck erzeugt werden.
Stichwort KI: Der Digitalausschuss des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) hat sich bereits 2021 mit KI-Systemen zur Bekämpfung und Verhinderung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen beschäftigt – etwa mit statistischen Modellen und Machine-Learning-Algorithmen, die Unregelmäßigkeiten etwa in Abrechnungsdaten erkennen und verfolgen können. Das BAS ist überzeugt, dass diese zu einer „neuen Qualität und Quantität der Fehlverhaltensbekämpfung“ führen. Aber ist das unter den bestehenden gesetzlichen Grundlagen zulässig?
Vom Einzelfall zum Muster
Die Bekämpfung und Verhinderung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen ist in § 197a SGB V geregelt. Diese Vorschrift enthält die leistungsrechtliche Grundlage wie auch die datenschutzrechtliche Verarbeitungsbefugnis, erläutert das BAS. Es vertritt die Auffassung, dass diese Befugnis relativ weit gefasst sei. Der Verarbeitungsansatz werde jedoch grundlegend verändert: „von einer Kontrolle im Einzelfall nach Anzeigen Dritter hin zu einer Analyse der eigenen Bestände aufgrund von kassenübergreifend erstellten Verdachtsmustern“. Dies eröffne bei der Rechtsauslegung weite Beurteilungsspielräume. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte jedoch mit einer expliziten klarstellenden Erweiterung die gesetzliche Verarbeitungsgrundlage neu gestaltet werden, empfiehlt das Amt. Neben dem BAS beschäftigen sich mittlerweile auch Wissenschaftler mit dem Thema (siehe Infokasten).
KI ist nicht der einzige Hebel für eine effektivere Bekämpfung von Fehlverhalten. Von Kassenseite wird der wirksame Schutz von Hinweisgebern, sogenannten Whistleblowern, als wichtiger Baustein angesehen. Auch der Aufbau einer Betrugspräventionsdatenbank sei dringend notwendig. Diese soll personenbezogenen Betrugsfälle speichern, hat etwa Frank Firsching bereits vor zwei Jahren verlangt. „Es sollte zum Beispiel endlich zentral erfasst werden, wenn Pflegedienstbetreibern wegen Abrechnungsbetrug die Zulassung entzogen wurde“, so der Verwaltungsratschef der AOK Bayern. Es sei nicht tragbar, dass Betrüger einfach ein Bundesland weiterziehen und dort eine neue Zulassung beantragen oder in einer verantwortlichen Tätigkeit eingesetzt werden können, ohne dass die Kranken- und Pflegekassen über die kriminellen Vorgänge informiert sind. Voraussetzung für eine solche Datenbank ist nach Auffassung des GKV-Verwaltungsrates, dass die Bundesregierung sozialgesetzlich klarstellt, dass der Austausch von personenbezogenen Daten zur Verhinderung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen auch unter Verwendung von Datenbanken zulässig ist, die von Dritten im Auftrag betrieben werden. So heißt es im Bericht des Vorstandes an den Verwaltungsrat über „Arbeit und Ergebnisse der Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen“ für den Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2021.
Dunkelfeldstudie – ein Muss?
Bei der Veranstaltung des GKV-Spitzenverbandes Ende 2023 nimmt vor allem die Diskussion zu einer möglichen Dunkelfeldstudie breiten Raum ein. Gegenüber der Presseagentur Gesundheit fasst der dort anwesende Rechtswissenschaftler Prof. Kai-D. Bussmann, der bereits mehrere Erhebungen dieser Art durchgeführt hat, deren Vorteile knapp zusammen: „Erstens Aufhellung des Dunkelfelds durch repräsentative Erhebung von Daten zu Verbreitung, Schadensvolumen und Begehungsmuster, zweitens Screening der eingesetzten Ressourcen zur Aufdeckung bei den Stellen für Fehlverhalten und der Ermittlungsbehörden, Analyse der Aufklärungserfahrungen und -quoten und drittens Schaffung einer breiten fachinternen und öffentlichen Awareness.“
Johanna Sell vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) klingt bei der Debatte nicht überzeugt. Sie will vor allem mehr Effizienz in der Fehlverhaltensbekämpfung durch verbesserte gesetzliche Regelungen. Eine Dunkelfeldstudie sieht sie erst als zweiten Schritt. Sell kündigt bereits im November an, dass im geplanten Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz einige neue Regelungen untergebracht werden sollen. Details sind zwei Monate später im Referentenentwurf nachzulesen. Vorgesehen ist etwa, die Landesverbände der Krankenkassen ausnahmslos in der Fehlverhaltensbekämpfung einzubeziehen, um „insbesondere kleinere Krankenkassen bei dieser Aufgabe zu unterstützen“. Datenübermittlungsbefugnisse sollen zudem erweitert und die Voraussetzungen für eine KI-gestützte Datenverarbeitung gesetzlich klargestellt werden. Der Gesetzgeber will außerdem den GKV-Spitzenverband verpflichten, auf Grundlage eines externen Gutachtens ein Konzept für eine bundesweite Betrugsdatenbank vorzulegen.
Immerhin, es bewegt sich etwas.
Berlin (pag) – 2023 soll es in Deutschland mit den Gesundheitskiosken konkret werden. Deren flächendeckende Einführung plant Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach im Rahmen eines Versorgungsgesetzes. Doch das Vorhaben ist nicht unumstritten.
Gleich zwei Versorgungsgesetze will Lauterbach auf den Weg bringen. Im ersten ist die Etablierung von 1.000 Gesundheitskiosken vorgesehen. Dass viele Vertragsärztevertreter keine Freunde von flächendeckenden Gesundheitskiosken sind, geben sie gerne lautstark zu Protokoll. Eine Kostprobe lieferte Ende des vergangenen Jahres Dr. Stephan Hofmeister. „Das klingt ja auch so bequem, nach dem Motto: Wer morgens die Zeitung kauft, kriegt noch ein bisschen Gesundheit mit dazu. Und wozu brauchen wir überhaupt noch Ärzte?“, fragt der stellvertretende Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung auf der Vertreterversammlung seiner Organisation.
Für die Gesundheitskioske als niedrigschwelliges Angebot sieht das Bundesgesundheitsministerium folgende Aufgaben vor: Vermittlung von Leistungen der medizinischen Behandlung, Prävention und Gesundheitsförderung und Anleitung zu deren Inanspruchnahme, allgemeine Beratungs- und Unterstützungsleistungen zur medizinischen und sozialen Bedarfsermittlung und Durchführung von einfachen medizinischen Routineaufgaben.
Politischer Spielball
Vorbild für das neue Versorgungsangebot ist der vom Innovationsfonds geförderte Gesundheitskiosk in Hamburg-Billstedt. Das Vorzeigeprojekt ist 2022 zum Spielball politischer Auseinandersetzungen geworden, als die Ersatzkassen im September ihren Ausstieg verkünden. Dieser Rückzug wird als Reaktion auf Lauterbachs GKV-Finanzstabilisierungsgesetz gewertet, das vom Kassenlager heftige Kritik erfährt. Den Ersatzkassen zufolge haben sich außerdem die Leistungen des Kiosks mit bereits bestehenden Angeboten der Krankenkassen und anderen Akteuren gedoppelt – Stichwort Doppelstrukturen. Dr. Andreas Philippi (SPD), seinerzeit Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags und mittlerweile Gesundheitsminister in Niedersachen, mahnt daher bei einer Fachtagung eine grundsätzliche Strukturreform der Gesundheitsversorgung an. Dazu gehörten auch Gesundheitskioske – an „ganz spezifischen“ Standorten. „Auch wenn es am Ende des Tages nicht unbedingt 1.000 solcher Einrichtungen sein müssen.“
Hamburg jedenfalls bekommt einen zweiten Kiosk, im Stadtteil Lurup. Das teilen die AOK Rheinland/Hamburg und die Mobil Krankenkasse mit, die bereits die Einrichtung in Billstedt finanzieren. Solche unterstützenden Angebote seien wichtig für Menschen, die sich alleine nicht oder nur schlecht im Gesundheits- und Sozialsystem zurechtfinden, meint Matthias Mohrmann, Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg.
Ähnlich argumentiert Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, der dem deutschen Gesundheitssystem mangelnde Sozialkompetenz attestiert. Er wirbt dafür, Gesundheitskioske auch für psychisch kranke Menschen zu erproben. „Gerade Menschen in Armut, mit geringer Bildung, in Arbeitslosigkeit und mit ungenügender sprachlicher oder gesellschaftlicher Teilhabe könnte entscheidend dabei geholfen werden, Angebote zur psychischen Gesundheit zu nutzen.“
Bonn (pag) – Der Bundesrechnungshof kritisiert den Umgang der Krankenkassen mit der Hilfsmittelbranche. So seien die Kontrollen unzureichend. Die Prüfbehörde hält deswegen gesetzliche Anpassungen für erforderlich. Speziell für Hörhilfen seien die Mehrkosten für Versicherte unverhältnismäßig hoch.
Die Mehrheit der geprüften Krankenkassen habe im Jahr 2021 die notwendigen Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen unterlassen. „Bei Kontrollen weigerten sich Anbieter, Unterlagen zu übermitteln“, teilt der Rechnungshof anlässlich eines aktuellen Berichts mit. Im Ergebnis könnten die Krankenkassen nicht beurteilen, ob die Hilfsmittel geeignet waren, den Behandlungserfolg zu erreichen. So könnten sie ihre Versicherten auch nicht vor Mehrkosten schützen, die diese in Kauf nähmen, um Hilfsmittel in der erforderlichen Qualität oder Menge zu erhalten. „Fehlende Kontrolle birgt die Gefahr von qualitativ minderwertigen Hilfsmitteln oder ungerechtfertigten Mehrkosten. Beides hat der Bundesrechnungshof wiederholt festgestellt“, heißt es in einer Pressemitteilung. Die Behörde macht sich für gesetzliche Änderungen stark: „Gemeinsame Kontrollen der Leistungserbringer durch die Krankenkassen mit einer Verpflichtung, Unterlagen zu übermitteln; flankiert mit einer übergreifenden Kontrolle der Versorgungsqualität durch den Medizinischen Dienst als unabhängigem Akteur.“
Gesondert geht der Rechnungshof auf seiner Meinung nach ungerechtfertigte Mehrkosten für Hörhilfen ein. In mehr als der Hälfte der geprüften Versorgungsfälle hätten die Versicherten diese gezahlt. Das liege an der unzureichenden Beratung der Hörakustiker. „So hatten sie häufig nicht darauf hingewiesen, dass für die Versorgung mit einer bedarfsgerechten Hörhilfe grundsätzlich keine Mehrkosten anfallen“, so der Rechnungshof. Die Kassen kämen hier ihren Informations- und Obhutspflichten nicht nach. „Der Bundesrechnungshof empfiehlt daher, die Versorgung mit Hörhilfen künftig unter einen generellen Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen zu stellen.“
Weiterführende Links:
Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2021, Nr. 52,Krankenkassen kontrollieren Hilfsmittelversorgungunzureichend, 5. April 2022, PDF, 7 Seiten https://bit.ly/3Fcufx1
Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2021, Nr. 53,Krankenkassen schützen Versicherte nicht genugvor unnötigen Mehrkosten für Hörhilfen, 5. April 2022, PDF, 6 Seiten/einzelplanbezogene-pruefungsergebnisse/bundesministerium-fuer-gesundheit/2021-53 https://bit.ly/3LKXpWu
Essen (pag) – Die Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen und Kliniken binden sehr viel Geld, Personal und Zeit bei den Sozialgerichten in Nordrhein-Westfalen. Das beklagt die Spitze des Landessozialgerichts (LSG) im Jahrespressegespräch 2022 und fordert deswegen politisches Handeln.
Die Bestände bewegten sich mit knapp 100.000 Verfahren weiterhin auf Rekordniveau, teilt das Landessozialgericht in Essen mit. Das liege an den Klagewellen aus 2018 und 2019, gegen den die Gerichte immer noch ankämpften. Die in diesem Bereich immer weiter steigenden Eingänge seien Ausdruck einer Fehlentwicklung im System der gesetzlichen Krankenversicherung. „Mit den Kosten der gerichtlichen Auseinandersetzung in zigtausenden Verfahren (Gerichts-, Anwalts- und Sachverständigenkosten) werden Beiträge der Versicherten in Milliardenhöhe verbrannt“, kritisiert LSG-Präsident Martin Löns. Denn diese Ausgaben würden ganz oder anteilig aus den im Kern beitragsfinanzierten Haushalten mindestens eines der Beteiligten erbracht, egal wer gewinne oder verliere. Eine sinnvolle Weiterentwicklung der Vergütungsstrukturen finde offensichtlich nicht statt. „In NRW sind mittlerweile rund zehn Prozent aller eintausend Angehörigen der Sozialgerichtsbarkeit in Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern eingesetzt“, heißt es von Seiten des LSG. „Eine gründliche Revision durch den Gesetzgeber ist längst überfällig.“
Bis dahin sieht das Landessozialgericht mittelfristig keine Entspannung: „Bei Rückkehr zu normalen Arbeitsbedingungen wird die Zahl der Klagen steigen, voraussichtlich auf das Niveau vor der Pandemie.“
Gertrud Demmler setzt auf die Erfahrungen der Versicherten
Berlin (pag) – Dr. Gertrud Demmler, Vorständin bei der Siemens Betriebskrankenkasse (SBK), setzt sich dafür ein, dass die Erfahrungen von Versicherten eine wichtige Rolle bei der Bewertung der Krankenkassenqualität spielen. Dafür müsse die Politik die Rahmenbedingungen schaffen, fordert sie.
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Die SBK engagiert sich seit Jahren für mehr Transparenz. Welche Hürden verhindern, dass Patienten mehr über Leistungen und Qualität der GKV erfahren?
Demmler: Heute fußen Krankenkassenvergleiche fast ausnahmslos auf dem Vergleich des Zusatzbeitrags sowie einiger weniger meist eher theoretischen Leistungen. Diese Art des Krankenkassenvergleichs ist für die Versicherten für die Wahl der passenden Krankenkasse – wenn überhaupt – nur von minimalem Wert. Denn was für den Versicherten zählt, ist doch die Frage, wie kundenzentriert eine Krankenkasse agiert und vor allem, ob sie im Leistungsfall zuverlässig einspringt. Derartige Fragestellungen können nur durch die Versicherten selbst beantwortet werden. Die Erfahrungen der Versicherten müssen daher der zentrale Baustein einer Transparenzinitiative werden, die auf die Qualität der gesetzlichen Krankenkassen fokussiert. Dafür setzt sich die SBK seit Jahren ein. Basis für diese Qualitätstransparenz wäre eine über alle Krankenkassen einheitliche und verpflichtende Kundenbefragung, deren Ergebnisse dann in vergleichbarer Form veröffentlicht werden müssen. Um dies zu erreichen, muss die Politik die Rahmenbedingungen schaffen, die bisher fehlen.
Gibt es weitere Hürden?
Demmler: Eine weitere Hürde für mehr Transparenz über die Krankenkassenqualität ist das Fehlen einer Veröffentlichungspflicht von Qualitätsindikatoren. Als solche Indikatoren eignen sich zum Beispiel die Anzahl der Widersprüche oder auch die Anzahl der Beschwerden, die bei der Krankenkasse selbst oder bei unabhängigen Stellen wie der UPD eingehen. Einige Krankenkassen veröffentlichen solche Qualitätsindikatoren bereits auf freiwilliger Basis. Diese lassen sich bisher jedoch nicht untereinander vergleichen, da auch hier der einheitliche Rahmen, wie diese Zahlen zu dokumentieren und zu veröffentlichen sind, fehlt. Zusammenfassend kann man festhalten: Die wichtigste Hürde, die es auf dem Weg zu echter Qualitätstransparenz zu überwinden gilt, ist eine Veröffentlichungspflicht. Dafür brauchen wir einen gesetzlichen Rahmen.
Initiativen für mehr Gesundheitskompetenz gibt es einige. Kommt dabei die Systemkompetenz zu kurz? Parallelstrukturen etwa in der Notfallversorgung lassen die Versicherten verwirrt zurück.
Demmler: Nach meiner Überzeugung sollte unser Fokus darauf liegen, ein Gesundheitssystem zu schaffen, in dem man sich auch ohne Weiterbildung leicht zurechtfindet. Die dringend notwendige Weiterentwicklung des sektoralen Systems muss auch die „Nutzerfreundlichkeit“ der Strukturen unter die Lupe nehmen und reformieren. Die ePA sowie die Telematikinfrastruktur, die den Austausch von Daten über sektorale Grenzen hinweg und vor allem auch mit dem Patienten oder der Patientin selbst deutlich erleichtern werden, werden einen wichtigen Beitrag zur Verringerung von Komplexität im System leisten. Eine mindestens ebenso wichtige Rolle für die Förderung von Gesundheits-(System-)Kompetenz spielen individuelle Beratungsrechte der Krankenkassen.
Warum?
Demmler: Krankenkassen sind wichtige Begleiter von Patientinnen und Patienten insbesondere dann, wenn sie in komplexen Leistungsfällen Rat suchen. Um dieser Rolle umfassend im Sinne der Versicherten gerecht zu werden, benötigen die Krankenkassen aber noch weitreichendere proaktive Beratungsrechte und aktuelle Diagnosedaten. Denn der Schlüssel für einen wirksamen Gesundheitskompetenzaufbau liegt darin, die Versicherten im richtigen Moment mit zur individuellen Situation passenden Informationen zu erreichen. Ziel einer solchen intelligenten gegebenenfalls KI-gestützten Beratung ist es, dem Patienten oder der Patientin die Behandlungsalternativen sowie deren Chancen und Risiken verständlich aufzuzeigen, sodass er oder sie eine selbstbestimmte und informierte Entscheidung über den individuell besten Weg treffen kann. Anlasslose Kompetenzschulungen wie ein generischer „IT-Führerschein“ oder „So-funktioniert-App-XY-Schulungen“ bringen dagegen nicht viel – sowieso sollte man eine App nicht schulen müssen. Ist sie nicht selbsterklärend, funktioniert sie nicht.
Berlin (pag) – In der Coronakrise zahlt das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) über den Gesundheitsfonds finanzierte Rettungsschirme aus. Allerdings können sich auch Versicherte bei Problemen mit ihrer Krankenkasse an die Aufsichtsbehörde wenden. Im jüngst veröffentlichten Tätigkeitsbericht für 2019 ist nachzulesen, um welche Schwierigkeiten es sich dabei meistens handelt.
Durch Eingaben von Versicherten und Leistungserbringern wird das BAS auf „zahlreiche Rechtsprobleme im Verwaltungshandeln von Krankenkassen“ aufmerksam, heißt es im Bericht. Die Eingaben der Versicherten hätten sich mit 3.411 in 2019 auf hohem Niveau stabilisiert. Laut Amt betreffen sie alle wesentlichen Bereiche der Krankenversicherung, besonders hervorgehoben werden: Leistungen, Beitragsbemessung bei Pflicht- und freiwillig Versicherten, rückständige Beiträge (Vollstreckung), Verwaltungsverfahren sowie Mitgliedschaft. Außerdem hätten sich viele Versicherte darüber beschwert, dass ihre Krankenkasse keine Haushaltshilfe gewährt oder finanziert. Gesetzlich Versicherte haben in bestimmten Fällen bei Krankheit Anspruch auf Haushaltshilfe. Zu zahlreichen Eingaben führen auch Probleme beim Krankengeld sowie mit Hilfsmitteln, zum Beispiel Rollstühlen.
Hilfsmittelversorgung: Kassen sind sensibilisiert
Apropos Hilfsmittel: Die Umsetzung des Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung war ein Prüfungsschwerpunkt des BAS. Dem Bericht zufolge sind Kassen für ihre Aufgabe, die Qualität der Hilfsmittelversorgung sicherzustellen, „sensibilisiert“. Moniert wird aber, dass es häufig an einer institutionalisierten, kontinuierlichen Überprüfung der Qualität der Leistungserbringung fehle. „Zwar sind die Kassen verpflichtet, Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen durchzuführen, genutzt wird dieses Instrument von ihnen bislang aber nur selten.“
Der Prüfdienst Kranken- und Pflegeversicherung (PDK) des Amtes hat sich außerdem im vergangenen Jahr ausführlich mit sogenannten Satzungsleistungen beschäftigt. Das sind zusätzliche Angebote der Kassen, die über den GKV-Leistungskatalog hinausgehen und von den Kassen intensiv zu Marketingzwecken genutzt werden, erläutert das BAS. Insbesondere die Art, die Dauer und der Umfang der Leistungen sowie Qualitätsanforderungen müssen von den Kassen in ihrer Satzung bestimmt werden. Die Aufsichtsbehörde hat jedoch häufig beanstandet, dass die von ihnen selbst festgelegten Voraussetzungen nicht sorgfältig kon-trolliert werden. Außerdem seien die Kosten nicht auf den korrekten Konten verbucht worden. Satzungsleistungen müssen nämlich aus Eigenmitteln finanziert werden und dürfen nicht von den Zuweisungen des Gesundheitsfonds bezahlt werden.
Last but not least ist dem Bericht zu entnehmen, dass die Digitalisierung mittlerweile auch bei der Sozialversicherung eine wichtige Rolle spielt. „Vieles wird dadurch besser, aber nicht immer unkomplizierter“, hält BAS-Präsident Frank Plate dazu in seinem Vorwort fest.
Bonn (pag) – Bei Nutzern sogenannter Fitnesstracker steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Solidarprinzip der Krankenversicherung ablehnen. Das zeigt eine Studie der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und der Universität zu Köln.
Fitnessbezogene digitale Anwendungen werden in ihren Einsatzmöglichkeiten immer vielfältiger. Gut die Hälfte der Bevölkerung nutzt bereits diese elektronischen Hilfsmittel für Gesundheitszwecke – Tendenz stark steigend. Die Forscher kommen in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Nutzung fitnessbezogener Apps langfristig die Einstellung zur Solidarität in der Krankenversicherung verändern kann. Bei den Anwendern steige die Wahrscheinlichkeit deutlich, das Solidarprinzip in der Krankenversicherung abzulehnen, heißt es. Offenbar reduzierten das zunehmende Wissen und die vermeintliche Kontrolle über individuelle gesundheitliche Vitalwerte die Akzeptanz der Menschen für solidarisch finanzierte Gesundheitssysteme.
Belohnung erwünscht
Zwar stimmen etwa 75 Prozent der Bevölkerung dem Grundprinzip einer solidarisch finanzierten Krankenversicherung zu. Dennoch sieht Studienleiter Prof. Remi Maier-Rigaud von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg Anzeichen dafür, „dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen einen langfristigen gesellschaftlichen Wertewandel hin zu mehr Eigenverantwortung verursacht“. Denn die Studie konnte zeigen, dass Nutzer eher für gesundheitsbewusstes Verhalten belohnt werden wollen als Nicht-Nutzer. Sie stimmten der Aussage eher zu, dass Versicherte, die regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nehmen, geringere Beiträge zur Krankenversicherung zahlen sollten. Ebenso befürworten Nutzer von Fitness-Apps in höherem Maße die Belohnung von Personen, die ihre individuell gesammelten Daten mit ihrer Krankenkasse teilen. Ein weiteres Ergebnis: Beitragsdifferenzierungen auf der Basis verhaltensbedingter Gesundheitsrisiken finden in der Bevölkerung eine deutlich größere Zustimmung als Entsolidarisierungsoptionen bei nichtverhaltensbedingten Gesundheitsrisiken, etwa berufsbedingten oder genetischen Risiken.
Weiterführender Link
Die Ergebnisse beruhen auf einer repräsentativen bundesweiten Umfrage unter 1.314 Bürgern ab 16 Jahren. Die Studie wurde im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt. Link: http://www.fes.de/cgi-bin/gbv.cgi?id=15883&ty=pdf
Berlin (pag) – Die Bundesbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen, Rita Pawelski, und der Verband der Ersatzkassen (vdek) wollen die Sozialwahl modernisieren – und zwar per Online-Abstimmung. Damit das bis zur nächsten Wahl im Jahr 2023 klappt, muss jetzt an den gesetzlichen Stellschrauben gedreht werden. „Die Zeit rinnt uns durch die Finger“, sagt Pawelski.
Schließlich müssen Ausschreibungsfristen gewahrt, die notwendige Technik bereitgestellt werden. Wenn das Anliegen in den kommenden Monaten nicht umgesetzt, sprich ein Vorschaltgesetz auf den Weg gebracht wird, kann frühestens in zehn Jahren bei Sozialwahlen online abgestimmt werden, lautet der Appell der Wahlbeauftragten. Im Koalitionsvertrag haben SPD und Union festgehalten, dass die Sozialwahl zu modernisieren sei. Viel mehr scheint nicht passiert zu sein. Und Pawelski reißt allmählich der Geduldsfaden. „Mein Vorgänger hat das Thema bereits von seinem Vorgänger übernommen.“
Eine aktuelle Umfrage unter 1.002 wahlberechtigten vdek-Versicherten zeigt, dass zwei Drittel für die Einführung der Online-Wahl sind – als zusätzliche Option neben der Briefwahl. In der Altersgruppe der 16- bis 44-Jährigen liegt die Zustimmung sogar bei 75 Prozent. Und auch Befragte im Alter von 60 plus votieren mit 52 Prozent für diese Option. Neben der Umfrage präsentieren vdek und Pawelski auf der gemeinsamen Pressekonferenz ein Working Paper von Prof. Indra Spiecker genannt Döhmann zur rechtlichen Zulässigkeit einer Online-Wahl bei der Sozialwahl. Damit wollen sie das Argument aus dem Bundesarbeitsministerium entkräften, diese Abstimmungsform sei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht machbar. Die Rechtswissenschaftlerin von der Goethe-Universität Frankfurt a.M. konstatiert: „Aus rechtlicher Sicht gibt es keine Hinderungsgründe.“
Die Gründe für die digitale Ergänzungsvariante stellt der vdek-Verbandsvorsitzende Uwe Klemens dar: Er spricht – vor dem Hintergrund einer ausbaufähigen Wahlbeteiligung von 30,5 Prozent in 2017 – von einem „entscheidenden Schritt zur Modernisierung“. Und er hofft, damit mehr junge Menschen zu erreichen. Pawelski ergänzt: „Eine Online-Wahl stärkt die soziale Selbstverwaltung.“
Problem Friedenswahl
Bleibt das Problem der sogenannten Friedenswahl, der Wahl ohne Wahlmöglichkeit. Dabei werden auf den Vorschlagslisten nicht mehr Kandidaten aufgestellt als Mitglieder zu wählen sind. Wie überzeugend sind Modernisierungsbemühungen, die dieses Thema außen vorlassen? Klemens ist zwiegespalten: Auf Nachfrage räumt er ein, dass man „darüber nachdenken müsste“. Allerdings stellt er auch klar: „Das ist aber dann auch einer der Hinderungsgründe, die uns im Weg stehen.“ Denn bei den meisten Sozialversicherungsträgern wird friedlich gewählt. Urwahlen führen verschiedene Betriebskrankenkassen, die meisten Ersatzkassen und die Deutsche Rentenversicherung Bund durch. Auch Pawelski – so sehr sie sich auch über den euphemistischen Begriff der Friedenswahl echauffieren mag – will dieses Fass nicht aufmachen. Zu groß ist ihre Sorge, dadurch den Weg zur Online-Wahl zu verbauen.
Bonn (pag) – „Die Digitalisierung hat den Bereich der zusätzlichen Satzungsleistungen erreicht.“ Das stellt das Bundesversicherungsamt (BVA) in seinem Tätigkeitsbericht 2018 fest. Darin kommen auch unliebsame Themen der Gesetzlichen Krankenversicherung zur Sprache: Ausschreibungen in der Hilfsmittelversorgung, Sondervereinbarungen zu Krankenhausabrechnungen sowie die Liposuktion.
Zahlreiche Versicherte beschwerten sich, dass Kassen aus ihrer Sicht dringend erforderliche innovative medizinische Leistungen nicht finanzierten, teilt das BVA mit. Darunter auch Versicherte mit einem Lipödem. Dieser Fall zeige exemplarisch ein Spannungsverhältnis – und zwar „zwischen den Wünschen einzelner Versicherter nach zeitnaher Versorgung mit innovativen medizinischen Leistungen einerseits und andererseits den Interessen der Versichertengemeinschaft, dass nur Leistungen von den Krankenkassen finanziert werden, deren Erforderlichkeit umfassend nachgewiesen ist“. Das Amt verweist auf den Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA), der prüfe, ob eine Methode für die ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung erforderlich ist. Zur Erinnerung: Die Liposuktion hat zu einer Machtprobe zwischen gemeinsamer Selbstverwaltung und Gesundheitsminister Jens Spahn geführt. In der Folge hat der G-BA eine Erprobungs-Richtlinie Liposuktion erlassen. Das BVA hebt hervor, dass Kassen nur ausnahmsweise die Kosten für bisher nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden übernehmen könnten. „Dies gilt insbesondere bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankungen.“
Gesetzliche Regelungen „vollständig umgangen“
Zahlreiche Beschwerden lagen dem Amt in 2018 auch gegen die Vertragspraxis der Kassen zur Hilfsmittelversorgung vor. Das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz habe zwar die Anforderungen bei der Berücksichtigung von Qualitätsaspekten in Ausschreibungen deutlich erhöht. Die Kassen hätten dies aber nur unzureichend umgesetzt, heißt es im Bericht. Der Gesetzgeber reagierte mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz: Kassen müssen künftig die Hilfsmittelversorgung auf dem Verhandlungsweg durch Rahmenverträge mit Beitrittsmöglichkeit sicherstellen.
Für Knatsch sorgten ferner Sondervereinbarungen, die einige Kassen mit Krankenhäusern geschlossen haben. Dabei ging es um pauschalierte Kürzung von Klinikrechnungen. Für die Kassen sei die Klärung strittiger Abrechnungsfragen unter Einbeziehung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vielfach aufwändig und kostenintensiv, berichtet die Aufsichtsbehörde. Allerdings hätten einige mit diesen Vereinbarungen die gesetzlichen Regelungen „vollständig umgangen“. Man habe sie daher aufgefordert, darauf zu verzichten. Das Bundesversicherungsamt zieht folgende Bilanz: In „fast allen Fällen“ wurden die Sondervereinbarungen beendet. Eine Krankenkasse klagte jedoch gegen die aufsichtsrechtlichen Mittel.
Der Stand zu digitalen Versorgungsprodukten als Satzungsleistungen: Das BVA hat die rechtlichen Möglichkeiten ausgelotet, größtenteils im positiven Sinne für die Versicherten, wie es betont. An Grenzen stoßen allerdings Produkte, die den Grundsätzen des SGB V nicht genügen. Zum Beispiel sei bei Produkten aus dem Heil- und Hilfsmittelbereich eine ärztliche Verordnung erforderlich.