Berlin (pag) – Zwei neue Berichte zu Mindestmengen hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vorgelegt. Kurz zuvor hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) mit Datenanalysen zu Mindestmengen beauftragt.
Das IQTIG soll die Auswirkungen verschiedener Mindestmengenhöhen darlegen beziehungsweise die Folgen abschätzen. „Die Darstellung soll zeigen, wie viele Krankenhausstandorte bei verschiedenen Mindestmengenhöhen von der Versorgung ausgeschlossen werden“, heißt es in dem Beschluss. Dem G-BA geht es um die Umverteilung der betreffenden Patienten auf die restlichen Kliniken und die veränderten Entfernungen und Fahrtzeiten. Der unparteiische G-BA-Vorsitzende Prof. Josef Hecken fragt bei der Sitzung, ob die Datenanalysen Auswirkungen auf das Ziel haben, in diesem Jahr drei bis vier Mindestmengenverfahren erfolgreich zum Abschluss zu bringen – wie Ende 2019 vereinbart. „Mir geht es darum, dass der Beschluss des Plenums nicht aus dem Auge verloren wird.“ „Ich gehe davon aus, dass wir die vereinbarten drei, hoffentlich auch vier Mindestmengenentscheidungen schaffen können“, antwortet Prof. Elisabeth Pott, Vorsitzende des Unterausschusses Qualitätssicherung. IQTIG-Leiter Dr. Christof Veit kündigt bis Ende Juni Gutachten und Vorschlag zu Mindestmengen bei sehr kleinen Frühgeborenen an.
Streit um die Evidenz
Inzwischen hat das IQWiG von den insgesamt acht Mindestmengen-Aufträgen des G-BA den fünften und sechsten abgearbeitet. Danach gibt es bei komplexen Eingriffen am Organsystem Ösophagus einen positiven Zusammenhang zwischen der Leistungsmenge und der Qualität des Behandlungsergebnisses: In Krankenhäusern mit höheren Fallzahlen seien die Überlebenschancen für die operierten Patientinnen und Patienten insgesamt größer. Zudem kommt es dort seltener zu Komplikationen, schreibt das IQWiG. Die Wissenschaftler sehen auch bei Nierentransplantationen einen Zusammenhang zwischen der Leistungsmenge und der Qualität des Behandlungsergebnisses. In Kliniken mit größeren Fallzahlen seien die Überlebenschancen bis zu ein Jahr nach Transplantation größer. Für die Zielgröße Transplantatversagen lasse sich kein Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und Behandlungsqualität ableiten.
Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie, die Deutsche Transplantationsgesellschaft und der Bundesverband Niere kritisieren die Einführung der Mindestmengen in der Transplantationsmedizin als „Schritt in Richtung Zwangsökonomisierung“. Die nötige wissenschaftliche Evidenz dafür fehle nach wie vor. Die Fachgesellschaften monieren, dass Studien aus den USA mit nicht vergleichbaren Rahmenbedingungen bei der IQWiG-Analyse berücksichtigt worden seien, neue deutsche Daten jedoch außen vor blieben. „Wir plädieren dafür, erst einmal das 2016 vom Bundestag beschlossene Transplantationsregister umzusetzen und Daten zu erheben, bevor politische Entscheidungen ohne valide Basis getroffen werden“, sagt Prof. Christian Hugo, Generalsekretär der Deutschen Transplantationsgesellschaft.
Berlin (pag) – Mindestmengen im Krankenhaus, ein seit Jahren kontrovers diskutiertes Thema der Selbstverwaltung, stehen bei einer Veranstaltung des AOK-Bundesverbandes auf der Agenda. Dort kritisiert Prof. Thomas Mansky, Technische Universität Berlin, dass Deutschland der internationalen Entwicklung hinterherhinkt.
Der Mediziner und Informatiker stellt in seinem Vortrag dar, dass die verlässliche Umsetzung der Mindestmengenregelung die Behandlungsqualität signifikant erhöhe. So setze etwa Holland seit 2011 insbesondere bei komplizierten aber planbaren Eingriffen wie OPs an der Bauchspeicheldrüse, der Speiseröhre oder bei Brustkrebs auf die konsequente Einhaltung von Mindestmengen. Gleichzeitig legten die Niederlande die Latte bei Mindestmengen auch höher als in Deutschland. Die Folge: Die Sterblichkeitsrate sei mit vier Prozent nur halb so hoch wie in deutschen Kliniken. Diesen Zusammenhang zeigten auch Analysen aus Großbritannien. Deutlich weniger Patienten sterben, wenn sie in einer Klinik operiert werden, wo die Eingriffe den Mindestmengen entsprechen, betont Manky. „Diese Daten sind evidenzbasiert.“ Eine verlässliche Umsetzung der Mindestmengenregelung hält der Experte daher für zwingend, überfällig sei auch eine Erhöhung bestehender Mindestmengen sowie eine Ausweitung auf andere Bereiche.
Für den Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, sind Mindestmengen eines von vielen Instrumenten der Qualitätssicherung – und noch dazu eines, das unter rechtsstaatlichen Bedingungen „nur verkrampft einsetzbar“ sei. Damit spielt er auf erfolgreiche Klagen der Krankenhäuser gegen Mindestmengen vor den Sozialgerichten an. Ausnahmen und Flexibilität sind für ihn unbedingt notwendig. Er propagiert einen „Korridor“, der es einer Klinik erlaubt, um zehn Prozent nach unten von der Mindestvorgabe abzuweichen. Die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml hebt bei der Diskussion hervor, dass Krankenhausplanung in Länderhand bleiben solle und nicht über Qualitätsindikatoren ausgehebelt werden dürfe. Auch sie plädiert für Flexibilität bei den Mindestmengen, während Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, mehr Rechtssicherheit und Verbindlichkeit verlangt. Kassen würden gerne restriktiver bei der Vergütung vorgehen, wenn ein Krankenhaus die Mindestmenge reißt, den Eingriff aber dennoch vornimmt. „Aber wenn wir die Leistung verweigern, landen wir ständig vor Gericht.“ Der von Baum vorgeschlagene Korridor bedeutet Litsch zufolge de facto eine weitere Absenkung der festgelegten Mindestmenge. Das dürfe allenfalls die Ausnahme sein. Ausdrücklich gegen Ausnahmeregelungen wendet sich Wolf Dietrich Trenner, ehemaliger Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). „Wir haben uns keine Ausnahmen gewünscht.“ Wenn es sie gebe, würden sie auch genutzt, die Kreativität kenne kaum Grenzen, sagt Trenner, der außerdem moniert, dass man sich im G-BA nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen könne. Eine Ausweitung der Mindestmengenregelung werde damit verhindert.