Organspende: Bundesrat will Widerspruchslösung

Berlin (pag) – Der Bundesrat macht sich für die Widerspruchslösung bei Organspenden stark. Die Länderkammer folgt damit einem Entschließungsantrag auf Initiative von Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg. Die Widerspruchslösung besagt, dass alle Bürgerinnen und Bürger, die zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprechen, potenzielle Organspender sind. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, ein Gesetz in die Wege zu leiten.

In Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach haben die Länder einen Mitstreiter. Bereits in der vergangenen Legislatur machte sich der Sozialdemokrat für die Widerspruchslösung stark. Ein Gesetzentwurf scheiterte aber. Die Mehrheit im Hohen Haus votierte für die erweiterte Zustimmungslösung. Diese habe sich in der Praxis aber nicht bewährt, meinen die Länder im beschlossenen Antrag. „Die Zahl der Organspenderinnen und -spender stagniert seit beinahe zehn Jahren auf niedrigem Niveau. Folge des Organmangels ist der Tod auf der Warteliste beziehungsweise unzumutbar lange Wartezeiten auf ein Organangebot“, heißt es darin.

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Der Bundesrat bezieht sich unter anderem auf Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Ihr zufolge konnten von Januar bis Oktober 2023 2.480 Organe aus Deutschland und dem Eurotransplant-Verbund hierzulande transplantiert werden, immerhin rund 200 mehr als 2022. „Diese Zahlen sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade in Deutschland immer noch ein eklatanter Mangel an Spenderorganen herrscht“, sagt der Medizinische Vorstand der DSO, Dr. Axel Rahmel, im November auf dem Jahreskongress der Stiftung. Derzeit stünden rund 8.500 Menschen auf den Wartelisten.
Die Bundesärztekammer (BÄK) stellt sich hinter die Länderforderung. „Die Widerspruchslösung kann helfen, die große Lücke zwischen der hohen grundsätzlichen Spendebereitschaft in der Bevölkerung und den tatsächlichen niedrigen Spendezahlen zu verringern“, glaubt BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt.

Organspende: Was bringt die Widerspruchslösung?

Berlin (pag) – Nierenpatienten warten zum Teil acht Jahre und länger auf eine neue Niere. Die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) plädiert daher für tiefgreifende Reformen: Die Widerspruchslösung sei eine effektive und nachhaltige Lösung für den Organmangel.

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Im Jahr 2022 wurden insgesamt 1.966 Nierentransplantationen durchgeführt, 1.431 Nieren wurden nach postmortaler Organspende übertragen, 535 Nieren nach einer Lebendspende. Demgegenüber gab es 2.407 Anmeldungen auf die Warteliste. Rund 6.700 Patientinnen und Patienten warteten Ende 2022 auf eine Nierentransplantation. Die Nephrologen sprechen mit Blick auf die Zahlen der vergangenen zehn Jahre von einer auf niedrigem Niveau stagnierenden Spendebereitschaft. Kampagnen und persönliche Informationsbriefe der Krankenkassen führten keine Trendwende herbei. Auch die Umstrukturierungsmaßnahmen in den Kliniken und die Besserstellung der Transplantationsbeauftragten ließen einen nennenswerten Erfolg vermissen.

Die DGfN fordert daher die Widerspruchslösung, welche zügig zu einer „nachhaltigen Verbesserung“ führen könne. Dabei ist jeder per se ein Organspender, es sei denn, er widerspricht. Derzeit ist es in Deutschland umgekehrt: Wer seine Organe nach seinem Ableben spenden möchte, muss das dokumentiert beziehungsweise den Angehörigen mitgeteilt haben. Doch die Diskrepanz zwischen der Zahl der Menschen, die pro Organspende sind, und der, die das auch tatsächlich dokumentiert haben, sei hoch. „Von insgesamt circa 4.000 Menschen, die einen Hirntod erleiden, spendet im Endeffekt nur circa jeder vierte“, sagt DGfN-Pressesprecherin Prof. Julia Weinmann-Menke.

Fortschritt kommt nicht an

Sie verweist auf das Beispiel Niederlande, wo die Widerspruchslösung seit einigen Jahren praktiziert wird. Laut einer Auswertung aus 2022 haben 31 Prozent der Bürgerinnen und Bürger bisher widersprochen und möchten ihre Organe nicht spenden. 45 Prozent seien mit der Organspende explizit einverstanden. „Wenn bei uns der Anteil der Spenden nach Hirntod allein durch die Widerspruchslösung von 25 auf 40 Prozent steigen würde, kämen wir in den Bereich, dass wir fast so viele Spenderorgane haben, wie benötigt werde“, erläutert Weinmann-Menke.

Kritik kommt auch von Prof. Rainer Blasczyk, Kongresspräsident der 56. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie. Ihm zufolge werden die Tests für die Verträglichkeitsbewertungen von Organspenden immer präziser und moderner. Dennoch bringen sie den Patientinnen und Patienten hierzulande keinen Fortschritt. „Denn in Deutschland müssen Patienten nehmen, was sie kriegen können, egal wie schlecht die Verträglichkeit ist.“

Organspenden in der Pandemie

Berlin (pag) –Die Zahl der Organspender ist 2020 in Deutschland trotz Pandemie stabil geblieben. Gleiches gilt für Gewebespenden. Außerdem ist bekannt geworden, dass das neue Organspenderegister fristgerecht am 1. März kommenden Jahres an den Start gehen kann. Das teilt das Bundesgesundheitsministerium Grünen-Chefin Annalena Baerbock mit.

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Laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) haben 2020 in Deutschland 913 Menschen nach dem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. Das entspricht 11,0 Spendern pro eine Million Einwohner. Damit liegen die Zahlen in etwa auf dem Niveau von 2019 (932 Organspender; 11,2 Spender pro Million Einwohner).

Die DSO nennt mehrere Gründe dafür, dass Organspende und Transplantationen hierzulande ohne große Einbrüche fortgeführt werden konnten. Einer davon sei das Engagement der Kliniken. Dieses lasse sich auch an der Zahl der organspendebezogenen Kontakte ablesen – also der Fälle, in denen sich die Entnahmekrankenhäuser an die DSO gewendet haben, um über eine mögliche Organspende zu sprechen. Diese Kontakte haben 2020 im Vergleich zu 2019 um 2,5 Prozent zugenommen und lagen bei 3.099 (2019: 3.023). Für Dr. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, ist das ein „wichtiges Zeichen“.

Außerdem verweist die Stiftung auf das im April 2019 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende. Die beschlossenen Maßnahmen hätten bewirkt, dass sich in den Kliniken die Voraussetzungen für das Erkennen und Melden möglicher Organspender verbesserten. Insbesondere die Rolle der Transplantationsbeauftragten sei gestärkt worden.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) hat die Jahreszahlen 2020 veröffentlicht: 3.029-mal stimmten Spender beziehungsweise Angehörige im vergangenen Jahr der Spende von Geweben wie Augenhornhaut und Herzklappen zu. Trotz eines Spendeneinbruchs während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr konnte das „hohe Spendenniveau aus dem Vorjahr“ gehalten werden, so die Fachgesellschaft. Insgesamt vermittelte die DGFG 6.268 Gewebetransplantate deutschlandweit.

Überfällig oder überflüssig?

Pro und Contra zur Widerspruchslösung

Berlin (pag) – Das Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende ist in Kraft getreten. Doch die Organspende lässt die Politik nicht los. Jetzt geht es um die Widerspruchslösung – ein Thema, das polarisiert. Prof. Claudia Schmidtke befürwortet diese, Prof. Peter Dabrock lehnt sie ab. Beide haben ihre Position für Gerechte Gesundheit dargestellt.

Eine fraktionsübergreifende Gruppe um Jens Spahn (CDU) und Prof. Karl Lauterbach (SPD) hat im April einen Gesetzentwurf zur doppelten Widerspruchslösung vorgelegt. Mitgearbeitet daran hat auch die CDU-Bundestagsabgeordnete Prof. Claudia Schmidtke. Sie ist überzeugt: „Die Gesellschaft ist bereit für die Annahme einer allgemeinen Organspendebereitschaft.“ Der Theologe Prof. Peter Dabrock lehnt dagegen eine Widerspruchslösung ab, denn: „Ausgerechnet in einer höchstpersönlichen Frage, in der es um Leben und Tod geht, sollen die auch in der Medizin bewährten Rechtsgrundsätze der informierten Einwilligung und der Verhältnismäßigkeit missachtet werden“ – das schaffe kein Vertrauen ins Transplantationssystem. Lesen Sie im Folgenden die Positionen von beiden.

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Prof. Claudia Schmidtke
Widerspruchsregelung stellt Bekenntnis zur Organspende fest

© pag, Fiolka
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Als Ärztin ist es meine Profession, Leben zu retten, als Politikerin habe ich die Möglichkeit, dies auf gesamtgesellschaftliche Weise zu tun. Aktuell warten circa 10.000 Patientinnen und Patienten auf ein lebenswichtiges Organ. Auch heute sterben wieder drei von ihnen. Ich sehe es als meine Pflicht an, diesen Menschen zu helfen.
Gemeinsam mit Jens Spahn und weiteren Parlamentskolleginnen und -kollegen kämpfe ich deshalb überfraktionell für einen Systemwechsel. Wir haben viele Monate an dem Gesetzentwurf zur Einführung der Widerspruchslösung gearbeitet, am 1. April wurde das Ergebnis vorgestellt: Jede Person ab 16 Jahren soll als Organspender gelten, es sei denn, sie hat zu Lebzeiten aktiv widersprochen oder ihre Angehörigen können den mutmaßlichen Willen gegen eine solche Spende glaubhaft machen. Der Systemwechsel wird eng von einer intensiven Aufklärungskampagne begleitet, in der alle Bürgerinnen und Bürger dreimal kontaktiert und über die neuen Rechtsfolgen informiert werden. Das gab es bisher bei keiner Gesetzesänderung. Zudem wird es ein Register geben, in dem jederzeit barrierefrei und ohne Angabe von Gründen die Entscheidung persönlich hinterlegt und geändert werden kann. Die Freiwilligkeit der Spende bleibt damit in jeden Fall erhalten. Das ist uns wichtig. Grundsätzlich stellt die Widerspruchsregelung das Bekenntnis zur Organspende fest. Und dennoch wird selbstverständlich niemand zur Organspende gezwungen! Der Widerspruch ist jederzeit möglich, auch durch die Angehörigen.

In unserem Land stehen laut Umfrage der BZgA 84 Prozent der Organspende positiv gegenüber, über 70 Prozent würden selbst spenden und ganze 90 Prozent im Ernstfall ein Organ annehmen. Für uns steht damit fest: Die Gesellschaft ist bereit für die Annahme einer allgemeinen Organspendebereitschaft.

Unverantwortlich wäre es dagegen, weiterhin die trauernden Angehörigen der Entscheidung über eine Organspende in einer höchst belastenden Situation auszusetzen. Unethisch ist es auch, Organe aus Ländern zu importieren, in denen die Widerspruchslösung gilt, aber im eigenen Land diese Regelung abzulehnen.

Wir im Deutschen Bundestag sollten auf der Seite der Patienten stehen, die ohne ein rettendes Organ verloren wären. Jeder von uns und jeder unserer Angehörigen kann plötzlich auf ein Spenderorgan angewiesen sein, das dürfen wir nicht vergessen. Gesundheit ist ein Geschenk, das nicht nebensächlich ist. Die Betroffenen haben bereits unerträglich viel Geduld bewiesen – doch noch länger warten, das können sie nicht.

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Zur Person
Die Herzchirurgin wurde im September 2017 als Direktkandidatin in den Deutschen Bundestag gewählt. Sie ist Mitglied im Gesundheitsausschuss und in der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“. Vor ihrer politischen Tätigkeit arbeitete Schmidtke zuletzt als leitende Oberärztin und stellvertretende Chefärztin am Herzzentrum Bad Segeberg. Im Januar 2019 wurde sie zur Patientenbeauftragten der Bundesregierung ernannt.

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Prof. Peter Dabrock
Die Widerspruchslösung ist unnötig und schädlich

© pag, Fiolka
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Die Debatte um die Steigerung der Organspendezahlen ist zu wichtig, um sie mit nicht erfüllbaren Versprechungen und Erwartungen zu belasten. Hören wir deshalb auf, den Menschen ein schlechtes Gewissen zu machen, indem man behauptet: Da sind auf der einen Seite 80 Millionen Bürger:innen und auf der anderen Seite „nur“ 955 Organspender:innen. Die Gesamtbevölkerung ist aber nicht die richtig gewählte Vergleichsbasis. Denn wenn wir 80 Millionen eingetragene Organspendewillige hätten, aber nur 50 Organspender medizinisch identifizieren, können wir nur von diesen die Organe nutzen. Deshalb ist die Vergleichsbasis für die Organspender:innen die Zahl der potentiellen Spender:innen ohne medizinische Kontraindikation. Laut DSO-Jahresbericht 2018 standen den 955 Organspendern „nur“ 1317 potentielle Spender gegenüber. Das ist immerhin eine Organspendequote von über 72 Prozent! Bei 340 gab es keine Zustimmung, 123 Personen wollten explizit nicht spenden. Das bedeutet: Nur bei 217 (!) hätte eine Widerspruchslösung einen „Zugriff“ ermöglicht, der unter dem jetzigen Gesetz nicht erlaubt wäre.

Zur Entzauberung falscher Erwartungen gehört auch: Wir müssen uns nicht mit den hohen Zahlen aus Spanien und Belgien vergleichen. Dort wird auch nach Herztod explantiert. Das will aber bei uns fast niemand. Schließlich, die gestiegene Bedeutung der Patientenverfügungen bringt weniger Menschen in die Situation, überhaupt als potenzieller Organspender identifiziert werden zu können. All das sollte gegen unnötige Moralisierung nüchtern mitbedacht werden.

Vor diesem Hintergrund kann man nur festhalten: Der Plan einer Widerspruchsregelung – auch einer erweiterten – ist unnötig und schädlich. Unnötig, weil – wie alle Erfahrungen zeigen – die eigentlichen Zugewinne bei Spendenzahlen durch Struktur- und Organisationsverbesserungen erfolgen. Deshalb begrüße ich selbstverständlich das kürzlich verabschiedete Gesetz zur Verbesserung der Strukturen und Finanzierung der Organspende – wobei sicher im Vergleich zu anderen Ländern noch mehr getan werden könnte. Schädlich: Ausgerechnet in einer höchstpersönlichen Frage, in der es um Leben und Tod geht, sollen die auch in der Medizin bewährten Rechtsgrundsätze der informierten Einwilligung und der Verhältnismäßigkeit missachtet werden – und das ohne, dass der erhoffte Effekt der Strukturverbesserungen abgewartet wird. Das kann nicht richtig sein, das schafft kein Vertrauen, welches das Transplantationssystem so bitter nötig hat.

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Zur Person
Prof. Peter Dabrock ist evangelischer Theologe und seit 2010 Professor für Systematische Theologie (Ethik) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 2016 ist er Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, dessen Mitglied er seit 2012 ist. Dabrock ist außerdem Mitglied in zahlreichen Fachgesellschaften wie der Societas Ethica und der Akademie für Ethik in der Medizin.

Schlagzeilen und Missverständnisse zur Organspende

Die Widerspruchslösung löst keine Strukturprobleme

Berlin (pag) – Trauriger Rekord und Weckruf zugleich: 2017 wurde hierzulande der niedrigste Stand von Organspenden seit 20 Jahren erreicht. Die Parole „Weiter so“ gilt nicht mehr, umfassende Reformen sind überfällig. Seit aber Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Debatte zur Widerspruchslösung angestoßen hat, ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, dass mit deren Einführung alle Probleme gelöst seien. Das stimmt nicht.

© iStock.com, THEPALMER
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Die Vielschichtigkeit des Problems zeigt sich am Beispiel Spanien. Das Land ist bei der Zahl der gespendeten Organen Spitzenreiter. Das liegt jedoch nicht nur, wie es fälschlicherweise oft kolportiert wird, an der dort praktizierten Widerspruchslösung. Die sei bereits Ende der 1970er Jahre eingeführt worden, habe jedoch nicht automatisch zu vielen Spenden geführt, stellt Dr. Solveig Hansen klar. Angestiegen seien die Zahlen erst infolge einer 1989 angegangenen, Organisationsreform, so die Wissenschaftlerin der Universitätsmedizin Göttingen, die Einstellungen zur Organspende erforscht.

Organspende – die klinikinternen Hürden

Dass es mit der Widerspruchslösung allein nicht getan ist, weiß auch Prof. Paolo Fornara. Der Urologe ist Direktor des Nierentransplantationszentrums des Landes Sachsen-Anhalt. Er ist davon überzeugt, dass ein ganzes Maßnahmenpakt nötig sei, um hierzulande eine positive Trendwende einzuleiten. Der Arzt schildert den aufwendigen, mehrere Tage andauernden Prozess, der in den Kliniken stattfindet, sobald ein Organspender identifiziert wird: Viele Personen und verschiedene Fachdisziplinen sind involviert, zahlreiche Untersuchungen – unter Umständen sogar Computertomografien um Tumorerkrankungen auszuschließen – müssen gemacht und in Ablaufpläne untergebracht werden; Operationsräume und Intensivbetten werden blockiert. All das geschieht vor dem Hintergrund eines zum Teil erheblichen Personalmangels und enormer Arbeitsverdichtung. Und: Vergütet wird nur die reine Organentnahme. „Das führt dazu, dass die Kliniken die zusätzliche Belastung nicht gerade enthusiastisch mittragen“, sagt Fornara. Diesen zurückhaltenden Enthusiasmus illustrieren folgende Zahlen, die er nennt: 43 Prozent der Uniklinika realisierten weniger als sechs Organspenden pro Jahr. Der gesamte Prozess der Organspende müsse aufwandsgerecht und gestaffelt entschädigt werden, fordert er.

Verkümmerte Bereitschaft bei Ärzten?

Erst kürzlich hat der Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands betont, dass die Organspende für Kliniken nicht nur ein ethisches, sondern auch ein wirtschaftliches Thema sei. Gerade kleinere Häuser hätten oft nicht die personellen und finanziellen Kapazitäten, aktiver zu werden.

„Wir haben zu lange auf dieses charitative, selbstlose Konzept der Organspende gesetzt und nicht verstanden, dass in unserer technologisierten Welt auch charitative Dinge strukturiert werden müssen“, betont Fornara. Seine Aussage ist auch vor dem Hintergrund zu verstehen, dass sich Ärzte eine verkümmerte Bereitschaft, nach Organspendern zu suchen, vorwerfen lassen müssen. So formuliert es der Ärztliche Direktor der Charité, Prof. Ulrich Frei, jüngst bei einer Veranstaltung in Berlin.

© iStock.com, Capuski
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Strukturreformen sind nicht sexy

Immerhin geht die Politik jetzt viele Probleme rund um die Organspende in den Kliniken an. Mit dem geplanten „Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende“ (GZSO) will der Gesundheitsminister das Prozedere der Organgewinnung neu organisieren und sicher finanzieren. Die Rolle der Transplantationsbeauftragten soll deutlich gestärkt werden, Entnahmekrankenhäuser werden künftig für den gesamten Prozessablauf einer Organspende besser vergütet. Vorgesehen ist auch ein Berichtssystem zur Qualitätssicherung bei Spendererkennung und -meldung.

Experten begrüßen einhellig dieses Vorhaben, das immens wichtig ist, um den Negativtrend bei der Organspende zu stoppen – doch für Tageszeitungen und Talkshows sind solche Reformen nicht sexy. Jenseits der Fachkreise gibt es dazu kaum Widerhall. In die Schlagzeilen schafft es der Minister mit diesem Thema erst, als er die Debatte zur Widerspruchslösung eröffnet. Viele Politiker bis hin zur Kanzlerin positionieren sich dazu. Die Debatte an sich ist begrüßenswert, doch problematisch ist daran, dass der ausschließliche Fokus auf die Widerspruchslösung nicht nur strukturelle Probleme überlagert, sondern auch tiefgreifende Missverständnisse und Schwierigkeiten beim Umgang mit dem Thema.

„Reine Sachinformation ist nicht alles“

Da wäre beispielsweise der Zielkonflikt bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Diese soll zwar neutral informieren, Ziel der Ausklärungskampagnen ist jedoch, die Zahl der Spender zu erhöhen. Außerdem wird gemeinhin davon ausgegangen, dass die Entscheidung gegen eine Organspende auf Informationsdefiziten beruht oder auf Misstrauen angesichts der Skandale in den vergangenen Jahren zurückzuführen ist. Die Wissenschaftlerin Solveig Hansen hat mit ihren Kolleginnen die in der Bevölkerung verbreiteten Einstellungen zur Organspende näher untersucht und Bürger, die diese ablehnen, interviewt. Heraus kam, dass vor allem tieferliegende kulturelle Vorstellungen von Tod und Körperlichkeit, insbesondere von körperlicher Unversehrtheit, eine wesentliche Rolle spielen. Dieser sehr persönliche und emotionale Aspekt sollte in der Kommunikation berücksichtigt werden, fordert Hansen. „Reine Sachinformation ist nicht alles.“

Tabus müssen aufgearbeitet werden

Ein weiteres Ergebnis der Göttinger Arbeitsgruppe ist, dass die Einstellung zum Hirntod einen nicht zu unterschätzenden Einflussfaktor bei fehlender Spendenbereitschaft darstellt. Die irreversible Hirnschädigung ist übrigens, wie die Wissenschaftlerin anmerkt, nicht nur für Angehörige, sondern auch das Klinikpersonal eine große Belastung, verbunden mit starken Emotionen. Ob es für jene im streng durchgetakteten Klinikalltag genügend Raum gibt, ist fraglich. Das klingt in einer Mitteilung der Deutschen Krankenhausgesellschaft an, in der es heißt: „Wir müssen auch der psychologischen Belastung der Menschen gerecht werden, die an diesem Prozess beteiligt sind.“ Hansen ist überzeugt, dass darüber noch zu wenig gesprochen wird. Ein Tabu, das dringend aufzuarbeiten sei.

Festzuhalten bleibt, dass eine breite gesellschaftliche Debatte notwendig ist, die auch vor unangenehmen Fragen keinen Halt macht. Ausschließlich über die Widerspruchslösung zu diskutieren, kratzt bei diesem Thema lediglich an der Oberfläche.

 

Alternativen zur Organspende?
Die Nachfrage nach gespendeten Organen wird vermutlich immer größer bleiben als das Angebot, selbst wenn die Zahl der potenziellen Spender wieder steigen sollte. Der Verband der Krankenhausdirektoren verlangt daher intensives Nachdenken über Lösungen, die Alternativen zu Organspenden darstellen. Diese Forschung müsste gefördert und finanziert werden. Als Themen werden biologische Herzschrittmacher, Herzklappen, Knorpelzell- und Hautzellersatz, Diabetes und sogar die Möglichkeit eines nachwachsenden Herzens genannt. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft mahnt eine offene und ehrliche Informationskampagne an, bei der schwierige ethische Fragen nicht ausgegrenzt werden dürften: „Dazu gehören auch Debatten über alternative Verfahren wie beispielsweise die Erzeugung von Organen aus Stammzellen.“

Organspende: von Körperkonzepten und gerechter Verteilung

Berlin (pag) – „Organtransplantation ist ein Paradebeispiel für ethische Probleme in der Medizin“, eröffnet Prof. Silke Schicktanz von der Universitätsmedizin Göttingen ihren Vortrag beim Kongress des Deutschen Ärztinnenbunds in Berlin. Der Fokus der Debatte liege auch medial vor allem auf der Seite der Empfänger. „Das Schlagwort Organmangel sorgt dafür, dass wir die andere Seite aus den Augen verlieren.“

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Organe zu spenden, sei keine Selbstverständlichkeit, sondern eine für viele Menschen schwere Entscheidung. „Unser Körper ist Teil unserer Identität“, gibt Schicktanz zu bedenken. Die biomedizinische Vorstellung, in der Körper und Geist voneinander getrennt existieren, sei nur eins von vielen verschiedenen Modellen. Körper und Persönlichkeit beeinflussen sich der Medizinethikerin zufolge gegenseitig, bestimmte Organe wie Herz, Augen oder Gehirn empfinden viele Menschen als identitätsstiftend. „Es ist wichtig, diese Körperkonzepte zu verstehen, um dann ins Gespräch zu kommen“, betont Schicktanz.

Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung sei im deutschen Grundgesetz an mehreren Stellen verankert. Hierzulande muss jeder Einzelne explizit zustimmen, bevor ihm Organe entnommen werden dürfen. Diese sogenannte Einwilligungslösung stehe sehr viel mehr im Einklang mit dem Selbstbestimmungsrecht als etwa die Regelungen in Österreich oder Spanien. Dort ist jeder automatisch Organspender, der keinen Widerspruch einlegt. „Vielen Einwohnern der betreffenden Länder ist diese Regelung nicht bewusst“, sagt Schicktanz.

Um in Deutschland die Spenderquoten zu erhöhen, sei es wichtig, den Glauben daran zu stärken, dass die Organe gerecht verteilt würden. Auch mit Blick auf die soziale Anerkennung sieht Schicktanz Verbesserungspotenzial. So seien etwa in Spanien die Lebendspender sehr viel besser sozial abgesichert, sollten sich aus dem Eingriff Komplikationen ergeben. Für einen aus Schicktanz’ Sicht interessanten Weg habe sich Israel entschieden: Wer sich dort als Organspender registrieren lässt, wird im Notfall selbst bei der Organvergabe bevorzugt. „Solidarität – also die Fürsorge für schwache und vulnerable Personen – ist zwar eine Stärke des deutschen Gesundheitssystems“, sagt sie. Dabei handele es sich aber nicht um reinen Altruismus: „Die Bereitschaft zu geben ist gekoppelt an eine gewisse Reziprozität und die Vorstellung, selbst in eine vergleichbare Situation geraten zu können.“ Insofern könne das israelische Modell dazu beitragen, mehr Menschen für die Organspende zu gewinnen, glaubt sie.