Rückfall in die Bedeutungslosigkeit?

Widersprüchliche Signale – die Zukunft des ÖGD ist ungewiss

Berlin (pag) – Mit der Corona-Pandemie ist der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) von seinem Schattendasein in den Mittelpunkt des öffentlichen Bewusstseins gerückt. Die Politik hat einen milliardenschweren Förderpakt auf den Weg gebracht, ein Institut für öffentliche Gesundheit wurde angekündigt. Doch die Euphorie scheint mittlerweile verflogen. Droht dem ÖGD die Rückkehr in die „graue Normalität der Bedeutungslosigkeit“?

Die Hoffnungen, die viele in das im Koalitionsvertrag angekündigte Institut für öffentliche Gesundheit gesetzt haben, waren nicht nur in der Public-Heath-Szene groß. Umso herber fällt dann die Enttäuschung aus, als Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) im Herbst vergangenen Jahres die Grundzüge des Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin, kurz BIPAM, vorstellt. Diese sehen unter anderem eine Zerschlagung des Robert Koch-Instituts vor. Von einem Rückfall und einem „nach hinten gerichteten Blick“ sprechen beispielsweise der KLUG-Vorstandsvorsitzende Dr. Thomas Götz und Prof. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes, in ihrer auf Gerechte Gesundheit veröffentlichten Grundsatzkritik an der Konzeption des neuen Instituts (Link am Ende des Beitrags).

© istockphoto.com, FG Trade
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Kein einseitiger Abschied

Mittlerweile scheint auch klar, dass der Bund den Pakt für den ÖGD nicht weiter finanzieren wird. Bei der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) im Juni erinnert Lauterbach vor Journalisten an die vier Milliarden Euro, die bereits seitens des Bundes ausgegeben wurden. 4.500 Stellen seien bezahlt worden, „aus der Perspektive des Bundes ist die Aufgabe jetzt bei den Ländern angekommen“, so der Minister.
Ähnlich klingt es in einem Bericht des Bundesrechnungshofs aus dem vergangenen Frühjahr, in dem angemahnt wird, dass der Bund die Länder und Kommunen auf ihre eigene Zuständigkeit für den ÖGD verweisen müsse. Dies schließe aus, weitere Mittel aus dem Umsatzsteueraufkommen für Personal in den Gesundheitsämtern ohne klare Ziele und wirksame Kontrolle der Zielerreichung zur Verfügung zu stellen.
Die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin und GMK-Vorsitzende Prof. Kerstin von der Decken (CDU) betont dagegen, dass die Bemühungen um einen zukunftsfähigen und krisenresilienten ÖGD nicht mit Ablauf des Paktes Ende 2026 beendet sein dürften. Es sei nicht akzeptabel, wenn sich der Bund davon einseitig verabschieden möchte. Die GMK hat ihrerseits beschlossen, dass das Bundesgesundheitsministerium und die Länder den Dienst über das Jahr 2027 hinaus weiterzuentwickeln haben. Beschluss 8.2 sieht dafür eine gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Abteilungsleiterebene vor.

Nur ein Strohfeuer?

Begrüßt wird der GMK-Beschluss vom Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Dessen Vorsitzende Dr. Kristina Böhm befürchtet angesichts der auslaufenden Förderung durch den Bund und der desolaten Haushaltslage in den Kommunen, dass Stellen in den Gesundheitsämtern wieder auslaufen beziehungsweise abgebaut werden. Dabei brauche Deutschland eine nachhaltige und dauerhafte Verbesserung der Personalsituation im ÖGD. „Die Förderung für den ÖGD darf kein Strohfeuer bleiben“, appelliert sie.
Eine nachhaltige Stärkung und zukunftssichere Finanzierung des ÖGD verlangt auch Dr. Klaus Reinhardt auf einer Fachtagung der Bundesärztekammer (BÄK). Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Umbrüche, die mit Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung einhergehen, werde der ÖGD als dritte Säule des Gesundheitssystems zunehmend wichtiger, ist der BÄK-Präsident überzeugt. Der ÖGD müsse resilienter werden, um den künftigen Krisen – wie der Verschärfung sozialer Ungleichheit, dem Klimawandel und der befürchteten Zunahme von Epidemien – Stand halten zu können.

„Jeder macht sein eigenes Ding“

Auf der Veranstaltung, die unter dem Motto „Public Health vor Ort: Gegenwart und Zukunft eines krisenfesten Öffentlichen Gesundheitsdienstes“ steht, stellt Dr. Matthias Gruhl diverse Schwierigkeiten des ÖGD dar. Das Grundproblem: Hierzulande gibt es nicht den einen ÖGD, sondern rund 360. „Jedes Gesundheitsamt, jede Kreisbehörde, jede Form, die sich irgendwie mit dem Thema befasst, macht ihr eigenes Ding.“ Aufgabenvielfalt „bis hin zur Aufgabenbeliebigkeit“ lautet seine Diagnose. Diese dürfte auch dadurch bedingt sein, dass der ÖGD verschiedene Rechtsebenen zu bedienen hat. Er sei abhängig vom Bundes- und Landesrecht sowie von kommunalen Strukturen, führt Gruhl aus. Die kommunale Unterordnung führe den ÖGD in finanzielle Konkurrenz zu anderen Ämtern, die vor Ort deutlich wichtiger seien. Gruhl – selbst Arzt für Öffentliches Gesundheitswesen – kritisiert außerdem, dass der Schritt von der ärztlichen Ausrichtung hin zu Interdisziplinarität weitgehend verpasst worden sei. In diesem Zusammenhang erinnert er daran, dass das Faktum Arzt im öffentlichen Gesundheitswesen noch immer ein „Seltenheitsphänomen“ sei. Die Zahl von Ärzten im ÖGD sei konstant niedrig und in den letzten Jahren auch nicht deutlich angestiegen, hält er fest.

Durchbruch in den Köpfen

Den Pakt sieht Gruhl vor diesem Hintergrund durchaus als Durchbruch: Viel sei passiert – „in der Personalausstattung, im digitalen Bereich, in den Köpfen derjenigen, die für den Gesundheitsdienst zuständig sind, und auch im ÖGD selbst.“ Fachgesellschaften haben sich gegründet,  Stiftungsprofessuren wurden ins Leben gerufen. Fraglich ist jedoch, ob diese Aufbruchstimmung angesichts des Paktrückzuges vom Bund und der umstrittenen BIPAM-Installation bestehen bleibt. Wohlweißlich lässt Gruhl die von ihm aufgeworfene Frage, ob der ÖGD die Kraft der Krise nutzen wird oder ob durch Abwarten eine Rückkehr in die „graue Normalität der Bedeutungslosigkeit“ erfolgt, unbeantwortet. 


Weiterführender Link:

„Blick nach hinten“ – Eine Kritik am geplanten BIPAM von Dr. Thomas Götz und Prof. Rolf Rosenbrock

Sozioökonomische Krebsfolgen besser erforschen


Heidelberg (pag) – Viele Krebspatientinnen und -patienten leiden nicht nur unter gesundheitlichen Belastungen, sondern auch unter Einkommensverlusten und Zuzahlungen für medizinische Leistungen. Das gilt selbst in europäischen Ländern mit hohem Einkommen und umfassenden Krankenversicherungssystemen. Dieses Problem soll nun systematischer erforscht werden.

Die finanzielle Belastung vieler Krebspatienten führt zu psychischen Problemen und verminderter Lebensqualität. © iStock.com, Tempura

Bisher ist die europäische Forschung zu dem Thema begrenzt und wird durch heterogene Methoden und das Fehlen einer einheitlichen Terminologie behindert. Um diesen Mangel zu beheben, hat eine von der Organisation der Europäischen Krebsinstitute (OECI) initiierte Task Force 25 Empfehlungen vorgelegt. Diese enthalten eine umfassende Definition der sozioökonomischen Auswirkungen aus der Perspektive der Patienten und ihrer Angehörigen und schlagen eine einheitliche Taxonomie vor. Die Konsenserklärung der Task Force zeigt darüber hinaus Richtungen für die künftige Forschung auf, die auch für politische Entscheidungen von Bedeutung sein können.

Solide Daten fehlen

Den Verantwortlichen comprare viagra online zufolge schließt der Konsens eine wichtige Lücke, denn die finanzielle Belastung vieler Krebspatienten führt zu psychischen Problemen und verminderter Lebensqualität. Sogar der Behandlungserfolg kann beeinträchtigt sein, was mit einer höheren Sterblichkeit einhergehen kann. Das Problem betrifft Patienten in allen Stadien der Erkrankung, von der Diagnose über die Behandlung bis hin zum langfristigen Überleben, und erstreckt sich auch auf Partner und Angehörige. Die Faktoren, die die Anfälligkeit bestimmter Patientengruppen für finanziellen Stress und finanzielle Belastung vorhersagen, sind jedoch nur teilweise bekannt. Es mangelt an soliden Daten über das Ausmaß des Problems und an Wissen über wirksame Interventionsmaßnahmen.

Claudio Lombardo, Generaldirektor der OECI, erhofft sich von den Empfehlungen ein besseres Verständnis der Probleme, mit denen Patienten konfrontiert sind. Sie lieferten „Anhaltspunkte für Verbesserungen und politische Maßnahmen zur Verringerung der sozioökonomischen Belastungen, denen Patienten ausgesetzt sind“. Die Wissenschaftler planen, in Folgeprojekten die weitere Forschung zu strukturieren, Messinstrumente zu entwickeln und zu validieren. Außerdem wollen sie Instrumente entwickeln, die Onkologen dabei helfen, Patienten besser zu unterstützen.

Zum Hintergrund

Die Organisation der Europäischen Krebsinstitute (OECI) wurde 1979 gegründet und zählt derzeit 141 Mitgliedsorganisationen aus Europa und zunehmend auch aus anderen Kontinenten. Die Task Force zu den sozioökonomischen Folgen von Krebs wurde von Dr. Michael Schlander, Deutsches Krebsforschungszentrum, im Rahmen der OECI-Arbeitsgruppe für Gesundheitsökonomie eingerichtet.

Jugendliche für HPV-Impfungen an Schulen

Heidelberg (pag) – Drei Viertel der Jugendlichen sprechen sich für HPV-Impfungen an Schulen aus. Das offenbart eine repräsentative Umfrage des Deutsche Krebsforschungszentrums (DKFZ). Gleichzeitig zeigen aktuelle Krankenkassendaten, dass lediglich 27 Prozent der 15-jährigen Jungen und 54 Prozent der gleichaltrigen Mädchen vollständig gegen Humane Papillomviren (HPV) geimpft sind.

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Die Impfung ist wirksam gegen Gebärmutterhalskrebs, Krebs im Mund- und Rachenraum und im Genitalbereich. Zielgruppe der Impfung sind Kinder und Jugendliche im Alter von 9 bis 14 Jahren, ebenso 15- bis 18-Jährige, die verpasste Impftermine nachholen können.
Die Studie des DKFZ zeigt, dass die Impfung von weiten Teilen der Bevölkerung befürwortet wird: 68 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, nur 23 Prozent lehnen sie ab und 9 Prozent sind unentschieden. Auffällig ist, dass die Zielgruppe der Impfung, Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren, diese auch in Form einer Schulimpfung begrüßen würden. 76 Prozent von ihnen sprechen sich bei der Umfrage dafür aus. „Erfahrungen aus Ländern wie Australien und England zeigen, dass HPV-Impfprogramme in Schulen die Impfquote erhöhen können“, sagt Nobila Ouédraogo, Public-Health-Experte vom DKFZ.
Besondere Aktualität hat die Studie vor dem Hintergrund eines deutlichen Impfrückgangs hierzulande. 25 Prozent weniger Impfdosen sind 2022 an Kinder und Jugendliche verteilt worden, zeigen Untersuchungen des Kinder- und Jugendreports der DAK. Besonders stark ist der Rückgang bei den 15 bis 17-jährigen Jungen: Bei ihnen sanken die HPV-Impfungen um 42 Prozent.

BIPAM: Rückschritt oder Sprung nach vorn?

Das neue Institut enttäuscht Public-Health-Experten

Berlin (pag) – Eine zutreffende Situationsbeschreibung stellt Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) an den Beginn der Pressekonferenz: „Unser Gesundheitssystem ist geprägt von sehr hohen Kosten, einer durchschnittlichen Lebenserwartung und einer mangelhaften Vorbeugemedizin“. Ob das neu zu gründende Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) die richtige Antwort darauf darstellt, ist jedoch alles andere als ausgemacht. Doch Lauterbach hat noch weitere Pläne.

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Das BIPAM soll am 1. Januar 2025 ans Netz gehen und zwar an zwei Standorten, in Berlin und Köln. Fokussieren wird es sich in seiner Arbeit auf Krebs, Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie verursachen zusammen mehr als 75 Prozent der Todesfälle pro Jahr in Deutschland. Lauterbach zufolge soll das BIPAM zu diesen Erkrankungen Gesundheitsdaten erheben, um daraus Vorbeugemaßnahmen abzuleiten oder zu entwickeln und der Regierung zu empfehlen. Ferner wird es den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) unterstützen und die Gesundheitskommunikation ausbauen, das Ziel: Vorbeugemedizin wird in der Bevölkerung evidenzbasiert umgesetzt, wie es der Minister ausdrückt.

Das BIPAM „professionalisiert“, so führt er fort, „ergänzt und modernisiert die Aufgaben der BZgA“. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht vollständig im neuen Institut auf, auch aus dem Robert Koch-Institut (RKI) werden ganze Abteilungen in die neue Behörde transferiert, so der Plan. Darüber hinaus soll es am BIPAM auch gänzliche neue Einheiten – etwa zum Thema Modellierung – geben.

Errichtungsbeauftragter der neuen Behörde ist Dr. Johannes Nießen, der sich als Leiter des Kölner Gesundheitsamtes in der Pandemie einen Namen gemacht hat, und auch im Corona-ExpertInnenrat der Bundesregierung saß. Lauterbach stellt ihn als „Pionier des Abwassermonitorings“ vor.

RKI – I für Infektionskrankheiten

Nießen weiß nach eigener Aussage ganz genau, „wo der Präventionsschuh in der Fläche drückt“. Für ihn besteht eine zentrale Lehre aus Corona darin, dass die Individualmedizin, sprich die kurative Medizin in Praxis und Klinik, Hand in Hand mit Bevölkerungsmedizin einhergehen müsse. Um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und auch in Krisen zu bewahren will er vor allem auf eine verbesserte Koordination von Public-Health-Aktivitäten setzen, den ÖGD insbesondere mit der Wissenschaft besser vernetzen und die Bevölkerung evidenzbasiert über Gesundheitsrisiken aufklären.

Das Betätigungsfeld des RKI wird im Zuge der BIPAM-Gründung auf Infektionskrankheiten eingeschränkt. Vor der Presse kündigt der neue Präsident und bisherige kommissarische Leiter, Prof. Lars Schaade, an, sich auf „neue Aufgaben und Zukunftsprojekte“ konzentrieren zu wollen. Er nennt unter anderem die Zusammenarbeit im internationalen Gesundheitsschutz, die Nutzung von KI in Public-Health-Forschung, eine vollständige Digitalisierung der Meldewege, genomische Surveillance, Antibiotikaresistenzen sowie die weitere Verbesserung der Krisenreaktionsfähigkeit des RKI bei Ausbrüchen und biologischen Gefahren. Während Lauterbach die klare Aufgabenteilung zwischen BIPAM und RKI betont, kündigt Schaade an, die Querverbindungen zwischen übertragbaren und nichtübertragen Krankheiten weiter im Blick zu haben. Dies betrifft unter anderem die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels.

„Offensives“ Gesetz angekündigt

Vorbeugemedizin evidenzbasiert umsetzen: Lars Schaade, Karl Lauterbach und Johannes Nießen (von links) © pag, Fiolka

Auf der Pressekonferenz kündigt der Minister außerdem ein „offensives“ Gesetz zur besseren Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen an. Dort bestehe im internationalen Vergleich die größte Lücke. Wenige Tage später kursiert bereits ein vierseitiges Impulspapier aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG). Darin heißt es: „Ziel der Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist es, durch ein Bündel an Maßnahmen die Früherkennung und die Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern.“ Das BIPAM solle die Initiative fachlich begleiten. Konkret werden vier Handlungsfelder genannt:  

  • Verbesserung der Früherkennung bei Kindern und Jugendlichen
  • Verbesserung der Früherkennung bei Erwachsenen
  • Stärkung von Disease-Management-Programmen
  • Reduzierung des Nikotinkonsums

Für Kinder und Jugendliche ist unter anderem die Einführung eines Lipid-Screenings mit Fokus auf familiäre Hypercholesterinämie bei der Früherkennungsuntersuchung U9 – mit anschließendem Kaskadenscreening von Familienangehörigen – vorgesehen. Die Untersuchungsinhalte sollen von den medizinischen Fachgesellschaften festgelegt werden, der Gemeinsame Bundesausschuss wird nicht erwähnt.

Vorfeld-Untersuchungen in Apotheken

Bei den Erwachsenen plant das BMG ein nach Alter und Risiko gestuftes Screening für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Den Krankenkassen soll das „niedrigschwellige und einheitliche“ Einladungsmanagement für die Check-ups 25, 35 und 50 mit Voucher – etwa Telefonservice zur Terminvermittlung, QR-Code, Angebot zur Vorfeld-Untersuchung in Apotheken – obliegen. Ebenfalls festgehalten ist die von Lauterbach auf dem Apothekertag erwähnte engere Einbindung der Apotheken im Rahmen von Vorfeld-Untersuchungen zu den Check-ups. Aufgelistet werden: niedrigschwellige Beratung zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zu Früherkennungsangeboten, Cholesterinwert-Bestimmung, Blutdruckmessung, Blutzucker-Messung, Body-Mass-Index-Berechnung sowie Beratung zur Nikotinentwöhnung.

Ein weiterer Punkt ohne weitere Erläuterungen lautet „Stärkung der ärztlichen Präventionsempfehlung“. Ebenfalls gestärkt werden soll die Überleitung in die weiterführende Versorgung durch Weiterentwicklung der Gesundheitsuntersuchung (GU). Personen mit hohem Risiko erhalten eine umfassende Diagnostik und insbesondere Angebote für eine weiterführende Behandlung – sowohl nichtmedikamentös unter anderem mit Beratung zur Ernährung, Bewegung und Lebensstiländerung als auch medikamentös.

Die Datenlage zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zur Nutzung von GU soll unter anderem durch den Ausbau der Surveillance zu nicht-übertragbaren Krankheiten und die Stärkung der epidemiologischen Register zu Herzinfarkt und Schlaganfall verbessert werden.

Einige interessante Punkte enthält das Papier außerdem zu den mittlerweile 20 Jahre alten DMP, für die der Bundesverband Managed Care (BMC) unlängst eine Rundumerneuerung verlangt hat (lesen Sie hierzu „Update erforderlich“ auf Seite 16). Zur Reduzierung des Nikotinkonsum ist unter anderem geplant, die bestehende gesetzliche Regelung zur medikamentösen Therapie (§34 Abs. 2 SGB V) auszuweiten: Die Beschränkung auf „schwere Tabakabhängigkeit“ soll fallen und eine Finanzierung häufiger als alle drei Jahre ermöglicht werden.

„Gefahr eines Rückschritts“

Nach Redaktionsschluss kündigt Lauterbach eine konzertierte Aktion mit Ärzteschaft, Apothekern, Krankenkassen und Patientenorganisationen an. Der Minister will zeitnah einen Gesetzentwurf vorlegen. Derweil regt sich bereits Kritik am BIPAM. Der BMC spricht etwa von schweren Konstruktionsfehlern bei der Organisation des Instituts. Die Politik verpasse eine Chance, Public Health in Deutschland auf ein solides Fundament zu stellen, so Verbandspräsident Prof. Lutz Hager. „Um die Aufgaben zu erfüllen, brauchen wir ein agiles Institut, das Informationen bündelt und als Teamplayer mit den vorhandenen Strukturen Netzwerke baut.“ Die Deutsche Gesellschaft für Public Health (DGPH) und die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention merken in einer gemeinsamen Erklärung an, dass bereits der Name des Instituts eine Beschränkung auf den Bereich der Medizin mit einer engen Fokussierung auf Aufklärung vermittle. Die Experten vermissen einen umfassenden Blick auf Gesundheit – die Thematik der Gesundheitsförderung und die Stärkung von Schutzfaktoren fänden keine nennenswerte Beachtung. „Der Koalitionsvertrag hat einen großen Sprung nach vorne versprochen. Mit dem jetzigen Konzept besteht dagegen die Gefahr eines Rückschritts“, sagt der DGPH-Vorsitzende Prof. Ansgar Gerhardus. Um die öffentliche Gesundheit wirksam zu stärken, brauche das neue Bundesinstitut einen starken, ressortübergreifenden Fokus auf die gesellschaftlichen Verhältnisse.

 

Dr. Thomas Götz © pag, Fiolka

„Vollends von der Rolle“ – Rosenbrock und Götz zum geplanten BIPAM
Die Public-Health-Experten Prof. Rolf Rosenbrock, Paritätischer, und Dr. Thomas Götz, KLUG, gehen mit dem vom BMG angekündigten Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin hart ins Gericht: Es habe offenbar nicht die Aufgaben einer modernen Gesundheitspolitik im Blick, sondern richtet den Blick nach hinten. Rosenbrock und Götz gegenüber der Presseagentur Gesundheit: „‚Prävention und Aufklärung in der Medizin‘ bedeutet vor allem Früherkennung, Impfen und ärztliche Gespräche. Dafür brauchen wir kein neues Institut. Aufklärung über Risiken und die Möglichkeiten ihrer Minderung ist integraler Teil der Prävention, auch der Prävention in Lebenswelten. Wenn ‚Aufklärung‘ gleichberechtigt neben ‚Prävention‘ steht, ist ein Rückfall in die wenig nützliche Gesundheitserziehung vergangener Jahrzehnte zu befürchten.
Vollends von der fachlichen Rolle ist die angekündigte Fokussierung auf Zielkrankheiten: Gesundheitsförderung als Entwicklung von persönlichen Ressourcen zur Vermeidung und Bewältigung von Gesundheitsrisiken wirkt grundsätzlich krankheitsunspezifisch, der Bezug auf einzelne Krankheiten mindert in der Praxis die Wirksamkeit. Sinnvoll wären hingegen Schwerpunkte auf besonders belastete und belastende Lebenswelten und vulnerable Gruppen.

Prof. Rolf Rosenbrock © David Ausserhofer

Fachlich rätselhaft bleibt auch der Sinn der institutionellen Trennung in übertragbare (RKI) und nicht-übertragbare (BIPAM) Erkrankungen: Für die Sozialepidemiologie ist diese Trennlinie nutzlos bis schädlich, wie die großen Studien des RKI zur Kinder- und Erwachsenen-Gesundheit (KiGGS und DEGS) und erst recht das Großprojekt NAKO-Kohorte zeigen, die selbstverständlich beide Krankheitswelten im Blick haben. Das Beispiel Corona zeigt auch, dass für die Prävention sowohl übertragbarer als auch nicht-übertragbarer Krankheiten weitgehend die gleichen Instrumente der Risikokommunikation/Verhaltensprävention und Gesundheitsförderung einzusetzen  sind. Es gibt weder einen vernünftigen Grund noch funktionierende internationale Vorbilder dafür, die wesentlich näherliegende und in Deutschland in Wissenschaft und Praxis bewährte Arbeitsteilung zwischen Epidemiologie/Sozialepidemiologie sowie Ursachenforschung (RKI) einerseits und Interventions- und Anwendungsforschung andererseits aufzugeben, wenn Doppelstrukturen und mühsam-künstliche Abgrenzungen vermieden werden sollen.“

Gesundheit gerecht gestalten

Berlin (pag) – Noch immer sind Gesundheitschancen in Deutschland ungleich verteilt. Dieses Problem adressiert regelmäßig der Berliner Gesundheitspreis, sein Motto lautet dieses Jahr: „Gesundheit gerecht gestalten“. Die prämierten Projekte verbinden gesundheitliche Versorgung und soziale Unterstützung und zeigen, wie verhindert werden kann, dass ungünstige soziale Umstände zu gesundheitlichen Problemen führen.

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Dieses Mal werden zwei erste Preise ausgezeichnet. Das Projekt „Open med“ in München betreibt der Verein „Ärzte der Welt“: Ärztinnen und Ärzte kümmern sich ehrenamtlich um die medizinische Versorgung von Menschen, die keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Wie interprofessionelle Zusammenarbeit in benachteiligten und strukturschwachen Stadtvierteln gelingen kann, zeigt das Projekt Stadtteilgesundheit in Berlin-Neukölln und Hamburg-Veddel. Dort werden die Menschen nicht nur behandelt, sondern auch ihre krankmachenden Lebensumstände in den Blick genommen. Beide Erstplatzierten erhalten ein Preisgeld von je 20.000 Euro.

Der Berliner Gesundheitspreis rückt Projekte in den Fokus, die richtungsweisende Ansätze zur Vernetzung zwischen sozialen und gesundheitlichen Akteuren entwickelt und umgesetzt haben. Dafür bedürfe es einer „gesamtgesellschaftlichen Anstrengung“, um das Recht auf gleiche Gesundheitschancen, gesundheitsförderliche Lebensgrundlagen, zielgruppenspezifische Angebote und einen niederschwelligen Zugang zur Gesundheitsbildung und -versorgung für alle Menschen gleichermaßen und nachhaltig zu stärken, hebt der AOK-Bundesverband hervor. Er verleiht den Innovationspreis gemeinsam mit der Berliner Ärztekammer seit 1996.

Spießrutenlauf der Zuständigkeiten

Mit Sonderpreisen prämiert die interdisziplinär besetzte Jury dieses Mal die „Sozialberatung in Arztpraxen in Berlin-Lichtenberg“ und die „SGB-übergreifende familienorientierte Versorgung für von psychischen- und Suchterkrankungen betroffene Familien“. Das Angebot in Lichtenberg bietet niederschwellig Hilfe für Patienten bei Problemen, die sozialer und nicht medizinischer Natur sind. Hausärzte vermitteln ihre Patienten in kritischen Lebenslagen direkt an Sozialberater, die in der Arztpraxis erreichbar sind. Vorhandene Strukturen der medizinischen Versorgung werden mit kommunalen Angeboten zusammengeführt.

Das SGB-übergreifende Projekt will dem Spießrutenlauf der Zuständigkeiten diverser Sozialgesetzbücher begegnen. Das bundesweit agierende Kooperationsnetzwerk steht damit vor einer komplexen Aufgabe und befindet sich noch im Aufbau. Ziel ist es, die Hilfesysteme quer über die SGB-Grenzen hinweg durch Kooperationen zu vernetzen. Für Betroffene ist es derzeit kaum möglich, die ihnen zustehenden Leistungen abzufragen und die nötige Hilfe zu bekommen. Im Zentrum der Initiative stehen Kinder und Jugendliche, deren Eltern psychisch erkrankt oder suchtkrank sind.
Beide Sonderpreise sind mit 5.000 Euro ausgezeichnet.

 

Gesundheit finanzieren: Investitionen, keine Kosten

Berlin (pag) – „Die Finanzierung von Gesundheit sollte grundsätzlich als Investition und nicht als Kostenfaktor betrachtet werden“, lautet eine der zentralen Botschaften eines Policy Briefs, den der Global Health Hub Deutschland und Healthy DEvelopments formuliert haben. Das Papier soll den politischen Dialog zu globaler Gesundheitsfinanzierung fördern.

Prof. Jayati Ghosh, Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Massachusetts © UN Photo/Eskinder

Wiederholte Schocks wie die Pandemie und die von ihr ausgelöste Wirtschaftskrise hätten offengelegt, dass Gesundheitssysteme und -institutionen auf allen Ebenen akut unterfinanziert seien, heißt es in dem Policy Brief. Auch klimabedingte Krisen zeigten, dass Gesundheitssysteme flexibler, widerstandfähiger und gerechter werden müssen. Die Autoren sehen eine „seltene Gelegenheit für ein radikales Überdenken“ der Strukturen und Verfahren der Finanzierung der internationalen Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich. Konkret empfehlen sie, dass Deutschland als „honest broker“ unter anderem mit Regierungen in Partnerländern, regionalen und globalen Entwicklungspartnern und dem Privatsektor daran arbeiten sollte, stabilere Bedingungen für Investitionen privater Unternehmen in gesundheitsbezogenen Lieferketten zu schaffen. Auch sollte sich die deutsche Regierung dafür einsetzen, dass die Investitionen des Privatsektors mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 in Einklang stehen und zu der Zielsetzung „Gesundheit für Alle“ beitragen. Die laufenden Bemühungen um eine Umstrukturierung der globalen Gesundheitsfinanzierungsarchitektur seien zu unterstützen, sodass neben den Gesundheitsministerien auch Regierungschefs in den politischen Entscheidungsprozess einbezogen werden.

Vorausgegangen ist den Empfehlungen ein Impulsdialog im Hub, an dem unter anderem Prof. Jayati Ghosh, Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Massachusetts in Amherst, teilgenommen hat. Sie betont ausdrücklich, dass Gesundheit nicht nur in die Zuständigkeit der Gesundheitsministerien falle, sondern auch in die der Finanzministerien, der Infrastrukturministerien, der Sozialministerien et cetera. Die Wirtschaftswissenschaftlerin ist auch Mitglied des WHO Council on the Economics of Health For All. Sie verlangt: „Wir müssen unser Verständnis von Gesundheit und auch unsere Wirtschaftssysteme entsprechend ändern.“

Hub und Healthy
Der Global Health Hub Germany und Healthy DEvelopments organisieren gemeinsam Impulsdialoge zu globalen Gesundheitsthemen. Die Dialoge werden vom Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert. Der Hub wurde 2019 gegründet, um  die verschiedenen Akteure in einem unabhängigen Netzwerk zusammenzubringen und damit die Global Health Aktivitäten in  Deutschland effizienter zu gestalten. Das Webportal Healthy DEvelopments ist eine gemeinsame Initiative des BMZ, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und der KfW Entwicklungsbank.

Resilienz gegen zukünftige Krisen

Paris (pag) – Ein schlechtes Zeugnis bei der Bewältigung der Pandemie stellt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihren 38 Mitgliedsstaaten aus. Sie fordert mehr Investitionen und Prävention. Zu ähnlichen Erkenntnissen kommen die deutschen Universitätskliniken bei einem Workshop.

Selbst die fortschrittlichsten Gesundheitssysteme der Welt waren nicht resilient gegen die COVID-19-Pandemie. So lautet das Fazit der OECD im Report „Ready for the Next Crisis? Investing in Health System Resilience“. Demnach sank im Jahr 2020 die Lebenserwartung in 75 Prozent der OECD-Länder. Die Gesundheitssysteme seien unzureichend vorbereitet, personell unterbesetzt und unterfinanziert. Die hohe Prävalenz chronischer Krankheiten habe die Bevölkerung weniger widerstandsfähig gemacht und die COVID-19-Sterblichkeit erhöht. Dennoch investierten die OECD-Länder weniger als drei Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben in die Prävention.

Der Mangel an Gesundheitspersonal hat sich den Autorinnen und Autoren zufolge 2020 stärker auf die Versorgungsqualität ausgewirkt als die Anzahl der Krankenhausbetten. Der Report empfiehlt den Regierungen, ihre Gesundheitssysteme anzupassen, um besser auf künftige Extremereignisse vorbereitet zu sein. Dazu gehöre zuallererst eine Stärkung des Gesundheitspersonals sowie weitere Investitionen in die Gesundheitsdateninfrastruktur und Prävention.

Anwerbungsstrategien reichen nicht

Mit den Herausforderungen für die europäischen Gesundheitssysteme beschäftigt sich auch ein Workshop der European University Hospital Alliance an der Charité Universitätsmedizin Berlin. „Steigende Anforderungen an die Gesundheitsversorgung, verschärft durch einen zunehmenden Fachkräftemangel, können nicht allein durch Anwerbungs- und Bindungsstrategien bewältigt werden“, konstatiert Prof. Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité. Die Gesundheitssysteme in Europa müssten sich auf lange Sicht anpassen, um zu bestehen. „Ganz essenziell wird dabei das Vermeiden von Krankheiten sein, mit einem neuen gesamtgesellschaftlichen Fokus auf Prävention und Gesunderhaltung der Menschen in allen Bereichen.“ Gleichzeitig müsse man digitale Innovationen gezielt zur Entwicklung neuer Arbeitsweisen und Ausbildungsprogramme nutzen.

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Weiterführender Link:

Der OECD-Report (auf Englisch), Ready for the Next Crisis? Investing in Health System Resilience, Serie OECD Health Policy Studies Februar 2023
www.oecd.org/health/ready-for-the-next-crisis-investing-in-health-system-resilience-1e53cf80-en.htm

Studie: Welche Erkrankungen dominieren

Berlin (pag) – Am meisten zur Krankheitslast hierzulande tragen koronare Herzkrankheiten bei, gefolgt von Schmerzen im unteren Rücken und Lungenkrebs. Das haben Forschende des Robert Koch-Instituts (RKI) im Rahmen der Studie „Burden 2020“ gemeinsam mit weiteren Einrichtungen berechnet.

Bei Frauen verursachten Schmerzerkrankungen und Demenzen mehr Krankheitslast als bei Männern. Männer hatten eine höhere Krankheitslast durch Lungenkrebs oder alkoholbezogene Störungen. Im jüngeren Erwachsenenalter führten neben Schmerzerkrankungen besonders auch alkoholbezogene Störungen bei beiden Geschlechtern bereits zu einer relativ hohen Krankheitslast. Neben den Altersverläufen stehen die Ergebnisse regional und getrennt nach Männern und Frauen zur Verfügung.
Die Analysen ergeben im Einzelnen, dass pro Jahr rund 12 Millionen DALY anfallen. Das entspricht 14.584 DALY je 100.000 Einwohner. Im Vergleich aller betrachteten Krankheitsursachen trägt die koronare Herzkrankheit insgesamt am meisten zur Krankheitslast bei (2.321 DALY je 100.000 Einwohner), gefolgt von Schmerzen im unteren Rücken (1.735 DALY) und Lungenkrebs (1.197 DALY), Kopfschmerzerkrankungen mit 1.032 DALY und der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung mit 1.004 DALY. Auch psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen sind unter den zehn häufigsten Krankheitslastursachen vertreten. „Solche Daten sind unverzichtbare Grundlage für Steuerung und Priorisierung von Maßnahmen der Gesundheitsversorgung und Prävention“, unterstreicht Prof. Lothar Wieler, seinerzeit Präsident des RKI.

„Burden 2020 – Die Krankheitslast in Deutschland und seinen Regionen“ wurde gefördert vom Innovationsfonds beim Gemeinsamen Bundesausschuss. Beteiligt sind neben dem RKI das Wissenschaftliche Institut der AOK und das Umweltbundesamt.

© RKI

Was sind DALY, YLL und YLD?
Krankheitslast wird in Form des Indikators DALY (Disability-adjusted life years) gemessen. DALY beziffern die Abweichung der Gesundheit der Bevölkerung von einem optimalen Gesundheitszustand und setzen sich aus der Krankheitslast durch Mortalität (Years of life lost, YLL) und Morbidität (Years lived with disability, YLD) zusammen. YLL messen die Lebenszeit, die durch vorzeitiges Versterben im Vergleich zur statistischen Lebenserwartung verloren geht. YLD messen die Lebenszeit, die in eingeschränkter Gesundheit (Krankheit/Behinderung) verbracht wird. Krankheitslast hat gegenüber der isolierten Betrachtung von Sterbefällen und Krankheitshäufigkeiten den Vorteil, dass die Bedeutung von Krankheit (YLD) und Tod (YLL) für die Bevölkerungsgesundheit vergleichbar wird, auch international und regional. Als Datenquellen für Burden 2020 dienen vor allem die Todesursachenstatistik, Befragungsdaten und GKV-Abrechnungsdaten.
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Migranten droht Versorgungslücke

Berlin (pag) – Migranten sind in Deutschland der Gefahr ausgesetzt, medizinisch nicht vollumfänglich versorgt zu werden. Darauf weist der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) in seinem Jahresgutachten 2022 hin.

Erstuntersuchung in einem Aufnahmelager für Flüchtlinge. Der SVR setzt auf einen Ausbau der psychologischen Versorgungsangebote für Asylbewerber. © istockphoto.com, shironosov

Dass es in Deutschland zu wenig Psychotherapie-Plätze gibt, ist unbestreitbar. Asylbewerber sind aber doppelt benachteiligt, geht aus dem Jahresgutachten hervor. Denn: „Nur wenige Therapeutinnen und Therapeuten sind auf die Behandlung von Asylsuchenden spezialisiert.“ Außerdem mangele es häufig an Dolmetschern. Darüber hinaus stießen Behandler auf Abrechnungsprobleme, „weil die Bearbeitung in den Sozialämtern so lange dauere“. Dabei bezieht sich der SVR auf Aussagen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Der SVR setzt auf einen Ausbau der psychologischen Versorgungsangebote für Asylbewerber.

Scheitern an der Bürokratie

Dem Bericht zufolge scheuen sich viele Migranten, denen der Aufenthalt in Deutschland untersagt ist, aus Angst vor Abschiebung zum Arzt zu gehen. Der SVR empfiehlt dem Gesetzgeber, das Aufenthaltsgesetz zu ändern, sodass „der Gesundheitsbereich – auch jenseits medizinischer Notfälle – von der Übermittlungspflicht gegenüber Ausländerbehörden ausgenommen ist“.

Die Autoren stellen außerdem fest, dass Migranten, die sich dauerhaft in Deutschland aufhalten, mitunter zu wenig über ihren Krankenversicherungsschutz wissen. Wenn sie dann Leistungen in Anspruch nehmen wollten, scheiterten sie an der Bürokratie. „Hier müsste es entsprechende Beratungs- und Hilfsangebote geben, die in der Fläche verfügbar und möglichst niedrigschwellig zugänglich sind“, regt der SVR an. Die Experten haben dabei die Clearingstellen im Sinn. Diese existieren bereits in einigen Großstädten und beraten nicht nur zugewanderte Personen unabhängig vom Aufenthaltsstatus, sondern generell Menschen ohne Krankenversicherung oder mit ungeklärtem Versicherungsstatus. Länder und Kommunen sollten prüfen, wie diese Einrichtungen in der Fläche ausgebaut werden können.

„Jahrelange Vernachlässigung des Vergütungsthemas“

Dr. Marc Gitzinger mahnt rasche Reformen bei Antibiotika an

Berlin (pag) – Vor einer Krise ungeahnten Ausmaßes warnt Dr. Marc Gitzinger von Bioversys, sollte das Vergütungsproblem von neuen Antibiotika, die meist im Reserveschrank bleiben und an denen der Hersteller kaum etwas verdient, nicht bald gelöst werden. Für beispielhaft hält er ein Modell aus Großbritannien, das auf den sozioökonomischen Wert abstellt, den der Zugang zu wirksamen Antibiotika bietet.

Für Dr. Marc Gitzinger sind Antibiotika als „Wunderwaffen der Medizin“ Voraussetzung, um den medizinischen Fortschritt des 21. Jahrhundert aufrechtzuerhalten. Viele Eingriffe und Behandlungen werden lebensbedrohlich, wenn wir Infektionen durch Resistenzen nicht schnell und effizient mit Antibiotika behandeln können, warnt er. © stock.adobe.com, Parilov

 

Es gibt bereits neue Modelle zur Vergütung von Antibiotika. Als vorbildlich gilt Großbritannien. Was machen die Briten besser?

Gitzinger: Neue, hochwirksame Antibiotika sollen nur selten und gezielt verwendet werden. Bei niedrigen Stückpreisen kann sich diese nachhaltige Verwendung für die Hersteller, die hunderte Millionen für die Entwicklung ausgeben müssen, finanziell nicht lohnen. Bei sehr hohen Stückpreisen würden Anreize geschaffen, auch neue Antibiotika häufiger als angezeigt zu verwenden, da sich dann mehr verdienen lässt. Dieser Kreis muss gebrochen werden.
 
Und wie?

Gitzinger: Die Briten haben ein Vergütungsmodell entwickelt, welches den finanziellen Erfolg eines Antibiotikums vom Verkaufsvolumen entkoppelt. Wie bei Netflix wird für den Zugang zu einem neuen Reserveantibiotikum gezahlt. Die adäquate Verwendung wird dann – losgelöst vom Preis – durch die Ärzte entschieden, welche bestimmen, ob das Medikament für den Patienten aus medizinischer Sicht notwendig ist. Die Briten legen dabei den „Netflix-Preis“ über ein Punktesystem fest, mit dem sie erörtern, wie wichtig das Antibiotikum für die Gesellschaft ist und orientieren sich daran, dass die Vergütung ausreichend sein muss, dass es sich auch für die Hersteller lohnt, die hohen Entwicklungskosten und -risiken einzugehen. Das Model der Briten stellt auf den sozioökonomischen Wert ab, den der Zugang zu wirksamen Antibiotika hat.
 
Bei der Entwicklung neuer Antibiotika spielen mittlerweile viele Kleinstfirmen eine wichtige Rolle. Mit welchen Problemen kämpfen diese und wie ließen sich diese lösen?

Gitzinger: Kleine Firmen kämpfen vor allem mit der Finanzierung ihrer Forschung und Entwicklung. Gerade im Antibiotikabereich ist dies extrem, da Risikokapitalgeber neben dem technischen Entwicklungsrisiko derzeit auch ein Risiko beim Marktversagen auf sich nehmen. Dies kann nur durch Reformen beim Vergütungssystem nachhaltig gelöst werden. Die Zeit drängt! Es muss wieder eine gewisse Sicherheit geben, dass wenn ein neues Antibiotikum erfolgreich zugelassen wird, sich diese Investition auch finanziell gelohnt hat. Neben der Finanzierung, dem mit Abstand größten Problem, gibt es noch Folgeschwierigkeiten.
 
Welche sind das?

Gitzinger: Hierzu zählen die normalen wissenschaftlichen und regulatorischen Hürden ein neues Antibiotikum zur Zulassung zu bringen, allerdings wird dies in unserem Sektor durch akuten Mangel an Experten weiter verschärft. Dies liegt an der jahrelangen Vernachlässigung des Vergütungsthemas, wodurch immer weniger Firmen und Hochschulen das Feld als attraktiv angesehen haben. Die wenigen Firmen, die heute noch führend in der Entwicklung sind, müssen überleben, denn sonst droht uns eine Krise ungeahnten Ausmaßes. Antibiotikaresistenzen verschwinden nicht einfach und es dauert lange neue, wirksame Medikamente gegen die Vielzahl von infektiösen Bakterien zu entwickeln. Im Falle eines großen Ausbruchs wie bei COVID-19 wird es länger dauern, neue Antibiotika zu entwickeln – vor allem wenn die letzten Firmen gezwungen wurden, ihre aktuellen Entwicklungen aus finanziellen Gründen zu stoppen.
 

 

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Zur Person
Dr. Marc Gitzinger ist CEO und Gründer von Bioversys, einer in Basel ansässigen Firma, die neue Antibiotika entwickelt. Er ist außerdem Präsident der BEAM Alliance, die Abkürzung steht für Biotech companies from Europe innovating in Anti-Microbial resistance research. Auch beim neu gegründeten Deutschen Netzwerk gegen Antimikrobielle Resistenzen (DNAMR) engagiert sich Gitzinger.