Widersprüchliche Signale – die Zukunft des ÖGD ist ungewiss
Berlin (pag) – Mit der Corona-Pandemie ist der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) von seinem Schattendasein in den Mittelpunkt des öffentlichen Bewusstseins gerückt. Die Politik hat einen milliardenschweren Förderpakt auf den Weg gebracht, ein Institut für öffentliche Gesundheit wurde angekündigt. Doch die Euphorie scheint mittlerweile verflogen. Droht dem ÖGD die Rückkehr in die „graue Normalität der Bedeutungslosigkeit“?
Die Hoffnungen, die viele in das im Koalitionsvertrag angekündigte Institut für öffentliche Gesundheit gesetzt haben, waren nicht nur in der Public-Heath-Szene groß. Umso herber fällt dann die Enttäuschung aus, als Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) im Herbst vergangenen Jahres die Grundzüge des Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin, kurz BIPAM, vorstellt. Diese sehen unter anderem eine Zerschlagung des Robert Koch-Instituts vor. Von einem Rückfall und einem „nach hinten gerichteten Blick“ sprechen beispielsweise der KLUG-Vorstandsvorsitzende Dr. Thomas Götz und Prof. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes, in ihrer auf Gerechte Gesundheit veröffentlichten Grundsatzkritik an der Konzeption des neuen Instituts (Link am Ende des Beitrags).
Kein einseitiger Abschied
Mittlerweile scheint auch klar, dass der Bund den Pakt für den ÖGD nicht weiter finanzieren wird. Bei der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) im Juni erinnert Lauterbach vor Journalisten an die vier Milliarden Euro, die bereits seitens des Bundes ausgegeben wurden. 4.500 Stellen seien bezahlt worden, „aus der Perspektive des Bundes ist die Aufgabe jetzt bei den Ländern angekommen“, so der Minister.
Ähnlich klingt es in einem Bericht des Bundesrechnungshofs aus dem vergangenen Frühjahr, in dem angemahnt wird, dass der Bund die Länder und Kommunen auf ihre eigene Zuständigkeit für den ÖGD verweisen müsse. Dies schließe aus, weitere Mittel aus dem Umsatzsteueraufkommen für Personal in den Gesundheitsämtern ohne klare Ziele und wirksame Kontrolle der Zielerreichung zur Verfügung zu stellen.
Die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin und GMK-Vorsitzende Prof. Kerstin von der Decken (CDU) betont dagegen, dass die Bemühungen um einen zukunftsfähigen und krisenresilienten ÖGD nicht mit Ablauf des Paktes Ende 2026 beendet sein dürften. Es sei nicht akzeptabel, wenn sich der Bund davon einseitig verabschieden möchte. Die GMK hat ihrerseits beschlossen, dass das Bundesgesundheitsministerium und die Länder den Dienst über das Jahr 2027 hinaus weiterzuentwickeln haben. Beschluss 8.2 sieht dafür eine gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Abteilungsleiterebene vor.
Nur ein Strohfeuer?
Begrüßt wird der GMK-Beschluss vom Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Dessen Vorsitzende Dr. Kristina Böhm befürchtet angesichts der auslaufenden Förderung durch den Bund und der desolaten Haushaltslage in den Kommunen, dass Stellen in den Gesundheitsämtern wieder auslaufen beziehungsweise abgebaut werden. Dabei brauche Deutschland eine nachhaltige und dauerhafte Verbesserung der Personalsituation im ÖGD. „Die Förderung für den ÖGD darf kein Strohfeuer bleiben“, appelliert sie.
Eine nachhaltige Stärkung und zukunftssichere Finanzierung des ÖGD verlangt auch Dr. Klaus Reinhardt auf einer Fachtagung der Bundesärztekammer (BÄK). Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Umbrüche, die mit Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung einhergehen, werde der ÖGD als dritte Säule des Gesundheitssystems zunehmend wichtiger, ist der BÄK-Präsident überzeugt. Der ÖGD müsse resilienter werden, um den künftigen Krisen – wie der Verschärfung sozialer Ungleichheit, dem Klimawandel und der befürchteten Zunahme von Epidemien – Stand halten zu können.
„Jeder macht sein eigenes Ding“
Auf der Veranstaltung, die unter dem Motto „Public Health vor Ort: Gegenwart und Zukunft eines krisenfesten Öffentlichen Gesundheitsdienstes“ steht, stellt Dr. Matthias Gruhl diverse Schwierigkeiten des ÖGD dar. Das Grundproblem: Hierzulande gibt es nicht den einen ÖGD, sondern rund 360. „Jedes Gesundheitsamt, jede Kreisbehörde, jede Form, die sich irgendwie mit dem Thema befasst, macht ihr eigenes Ding.“ Aufgabenvielfalt „bis hin zur Aufgabenbeliebigkeit“ lautet seine Diagnose. Diese dürfte auch dadurch bedingt sein, dass der ÖGD verschiedene Rechtsebenen zu bedienen hat. Er sei abhängig vom Bundes- und Landesrecht sowie von kommunalen Strukturen, führt Gruhl aus. Die kommunale Unterordnung führe den ÖGD in finanzielle Konkurrenz zu anderen Ämtern, die vor Ort deutlich wichtiger seien. Gruhl – selbst Arzt für Öffentliches Gesundheitswesen – kritisiert außerdem, dass der Schritt von der ärztlichen Ausrichtung hin zu Interdisziplinarität weitgehend verpasst worden sei. In diesem Zusammenhang erinnert er daran, dass das Faktum Arzt im öffentlichen Gesundheitswesen noch immer ein „Seltenheitsphänomen“ sei. Die Zahl von Ärzten im ÖGD sei konstant niedrig und in den letzten Jahren auch nicht deutlich angestiegen, hält er fest.
Durchbruch in den Köpfen
Den Pakt sieht Gruhl vor diesem Hintergrund durchaus als Durchbruch: Viel sei passiert – „in der Personalausstattung, im digitalen Bereich, in den Köpfen derjenigen, die für den Gesundheitsdienst zuständig sind, und auch im ÖGD selbst.“ Fachgesellschaften haben sich gegründet, Stiftungsprofessuren wurden ins Leben gerufen. Fraglich ist jedoch, ob diese Aufbruchstimmung angesichts des Paktrückzuges vom Bund und der umstrittenen BIPAM-Installation bestehen bleibt. Wohlweißlich lässt Gruhl die von ihm aufgeworfene Frage, ob der ÖGD die Kraft der Krise nutzen wird oder ob durch Abwarten eine Rückkehr in die „graue Normalität der Bedeutungslosigkeit“ erfolgt, unbeantwortet.
Weiterführender Link:
„Blick nach hinten“ – Eine Kritik am geplanten BIPAM von Dr. Thomas Götz und Prof. Rolf Rosenbrock