Regierung muss kein Triage-Gremium einrichten

Karlsruhe (pag) – Die Bundesregierung muss kein Gremium einrichten, das die Triage in Krankenhäusern vorläufig verbindlich regelt. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Ob der Gesetzgeber generell dazu verpflichtet ist, Vorgaben dazu zu machen, welche Patienten im Falle knapper Intensivbetten vorrangig zu behandeln sind, diese Frage werden die Richter aber weiter prüfen.

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Den Antrag auf einstweilige Anordnung von neun Menschen mit Behinderung hat das Bundesverfassungsgericht abgelehnt. Seine Entscheidung begründet es damit, dass mit der gewünschten vorläufigen Regelung – dem Einsetzen eines Gremiums durch die Bundesregierung, das die Triage verbindlich regelt – für die Antragsteller nichts gewonnen sei. Eine solche Gruppe, welche die Verteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen festlege, würde die Situation der Beschwerdeführer nicht wesentlich verbessern. Denn abgesehen davon, dass ein solches Gremium „ganz außerordentlich in die Aufgabenverteilung zwischen den Staatsgewalten“ eingreife und ein Legitimationsproblem hätte, hätte es „auch nicht die Kompetenz, verbindliche Regelungen zu verabschieden, auf die es den Beschwerdeführern gerade ankommt“. Zudem entstehe den Antragstellern kein irreversibler Schaden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, sich aber später im Verfahren herausstellt, dass der Gesetzgeber zum Handeln gezwungen ist. „Das zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt erkennbare Infektionsgeschehen und die intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten lassen es in Deutschland nicht als wahrscheinlich erscheinen, dass hier die gefürchtete Situation der Triage eintritt“, heißt es in einer Pressemitteilung zu dem am 16. Juli ergangenen Beschluss.
Für neun Mandanten und mit Unterstützung der Behindertenrechtsorganisation AbilityWatch hat die Kanzlei Menschen und Rechte aus Hamburg Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Sie verlangt, dass der Staat Kriterien für eine Triage-Entscheidung vorgibt, damit Menschen mit Behinderung aufgrund der Erfolgsaussichten der Behandlung nicht benachteiligt werden.

Kontroverse um Triage

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Wer ist in der Pflicht: Gesetzgeber oder Ärzteschaft?

Berlin (pag) – Mit der Corona-Pandemie muss über Triage-Entscheidungen nachgedacht werden. Nach welchen Regeln sollen sie getroffen werden? Und wer soll diese festlegen? Eine Herausforderung für die Beschäftigten des Gesundheitswesens. Und auch Experten sind sich bei diesem Thema keineswegs einig.

Die dramatischen Bilder aus Norditalien und New York haben sich eingebrannt. Bisher ist die Corona-Pandemie hierzulande zwar relativ glimpflich verlaufen. Dennoch bleibt die Herausforderung, wie, gerade angesichts einer möglichen zweiten Welle, mit einer Überlastung des Gesundheitswesens umzugehen ist. Wie soll triagiert, wie priorisiert werden? Dazu haben sich mittlerweile einige Initiativen geäußert. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat zusammen mit weiteren Fachgesellschaften klinisch-ethische Empfehlungen zur Ressourcenzuteilung veröffentlicht. Auch der Deutsche Ethikrat und die Bundesärztekammer haben Stellung bezogen. Spannend ist dabei insbesondere die Frage, wer im Pandemiefall für Triage-Entscheidungen die Regeln festlegen sollte: Ist das eine Angelegenheit der Ärzteschaft oder ist der Gesetzgeber gefragt?

Wir haben dazu vier Experten befragt: eine Philosophin, zwei Juristen und einen Mediziner. Lesen Sie im Folgenden ihre Antworten.

 

 


Triage-Regeln: Eine Richtigstellung zur Diskurslage

Prof. Weyma Lübbe

Gefragt ist der Gesetzgeber, zweifellos. Die Ärzte selbst appellieren ja inständig an ihn, wie beispielsweise Prof. Uwe Janssens in seinem Beitrag. Zur Frage, ob der Gesetzgeber auch zuständig ist, hat vor allem der Deutsche Ethikrat mit seiner Ad-hoc-Stellungnahme Verwirrung gestiftet. Er hat behauptet, „[d]er Staat“ dürfe „nicht vorschreiben, welches Leben in einer Konfliktsituation vorrangig zu retten ist“. In derselben Stellungnahme hält der Rat fest, dass für einige der drohenden Konfliktlagen der Staat eine Aussage zum Vorrang längst getroffen habe – nämlich für die Fälle, in denen ein bereits beatmeter Patient mit einem erst später hinzukommenden Patienten konkurriert: „Objektiv rechtens“ sei das aktive Beenden einer laufenden Behandlung zugunsten eines Dritten nicht.

Prof. Weyma Lübbe hat den Lehrstuhl für Praktische Philosophie am Institut für Philosopie der Universität Regensburg. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Allokationsethik, Medizin- und Bioethik und ethischen Problemen der Gesundheitsökonomie. © Universität Regensburg/Pröls

Auf diese Teilauskunft hat die Ärzteschaft nicht mit Dankbarkeit reagiert. Warum nicht? Man kann das nicht damit erklären, dass es andere Juristen gibt, die die Position der im Ethikrat sitzenden Juristen nicht teilen. Meinungsverschiedenheiten zur Auslegung des geltenden Rechts sind an sich kein Grund, nach dem Gesetzgeber zu rufen. Vielmehr sind hier zunächst die Gerichte zuständig. Solange sie nicht geurteilt haben, gewiss, besteht Rechtsunsicherheit. Das Haftungsrisiko, um dessen Vermeidung es der Ärzteschaft angeblich geht, hängt aber ausschließlich an der Position, die es für rechtens hält, den zuerst gekommenen Patienten gegebenenfalls abzukoppeln. Wer sich an die gegenteilige, die im Ethikrat vorgenommene Rechtsauslegung hält, der hat – das ist unstrittig – nichts zu befürchten.

Dennoch haben die Ärzte ihre Empfehlungen nicht entsprechend abgeändert. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass es ihnen um etwas anderes geht als um die Entlastung vom angeblich zugemuteten Haftungsrisiko. Zwar gibt es noch die Fälle, in denen keiner bereits beatmet wird. Aber hier ist die Lage ganz analog. Auch hier gibt es Vorgehensweisen, die unstrittig ohne rechtliches Risiko sind. Noch kein Jurist hat davor gewarnt, dass strafrechtliche oder haftungsrechtliche Konsequenzen drohen, wenn das Prinzip „first come, first served“ angewendet wird. So besehen stellt sich die Situation für die Ärzteschaft nicht so unzumutbar dar, wie es im aktuellen Diskurs nahelegt wird. Die Lage ist vielmehr diese: Die Ärzteschaft vertritt – in einigen ihrer Repräsentanten – eine bestimmte Position zum Umgang mit existentiellen Knappheiten und nimmt die damit verbundenen Haftungsrisiken bewusst in Kauf. Die vertretene Position mag nach Ergebnis und Gründen haltbar sein oder nicht. Dazu dürfen neben Juristen und Ethikern, die das seit Langem tun, gewiss auch Ärzte ihre Argumente beitragen. Was Gerichte und Gesetzgeber angeht, so tun sie nach meiner Auffassung recht daran, diesen interdisziplinären Diskurs zunächst einmal zu beobachten. Wenn es zwingend nötig wird, sich zu äußern, werden sie das wohl tun.

 


Triage – rechtspolitisch betrachtet

Prof. Steffen Augsberg

Prof. Steffen Augsberg ist seit 2013 Professor für Öffentliches Recht an der Justus-Liebig-Universität Gießen, zuvor hatte er eine Professur an der Universität des Saarlandes. Seit 2016 ist er Mitglied des Deutschen Ethikrats. © pag, Fiolka

Das deutsche Verfassungsrecht wirkt sich in zweifacher Weise auf die mögliche Regelung von Triage-Situationen aus: Erstens enthält es verbindliche, auch durch den Gesetzgeber nicht abzuändernde Vorgaben. Zweitens verbietet es die Verwendung spezifischer, mit seinen Grundvorgaben nicht zu vereinbarender Kriterien. Sedes materiae dieser Argumentation sind neben der unter anderem eine egalitäre Basisgleichheit umfassenden Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) insbesondere das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG), das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie die Gleichheitsregeln des Art. 3 GG. Diese grundrechtlichen Vorgaben stehen der Annahme gattungsinterner Differenzierungen entgegen. Stattdessen gilt der Grundsatz der Lebenswertindifferenz. Demnach ist jede unmittelbare oder mittelbare Unterscheidung nach dem Lebenswert unzulässig; jedes menschliche Leben genießt ohne Rücksicht auf seine Dauer den gleichen verfassungsrechtlichen Schutz. Dieses Verbot von Be- und Abwertungen menschlichen Lebens stellt ein Kernelement deutschen Verfassungsrechtsdenkens und eine jüngst noch einmal im Urteil zur Suizidassistenz bestätigte Konstante der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung dar. Es ist „krisenfest“ in dem Sinne, dass es auch in Zeiten größter (innerer oder äußerer) Not nicht zur Disposition steht.

Weil damit gesetzliche Regelungen, die das menschliche Leben einer wie auch immer gearteten Bewertung unterziehen, untersagt sind, darf der Gesetzgeber keine materiellen Kriterien für eine Auswahlentscheidung in Triage-Situationen festschreiben. Daran ändert der Verweis auf die gebotene Rechtssicherheit nichts. Unzweifelhaft brächte eine legislative Normierung aus Sicht insbesondere der handelnden Ärzte zusätzliche Klarheit und Orientierung. Rechtssicherheit ist allerdings nicht das höchste, andere verfassungsrechtliche Wertungen derogierende Gut.
Als Subprinzip des Rechtsstaatsprinzips kann sie nicht a priori Vorrang gegenüber anderen verfassungsnormativen Erwägungen beanspruchen. Entsprechendes gilt für die teilweise in Ansatz gebrachte, rechtsstaatliche mit demokratischen Erwägungen verbindende Wesentlichkeitslehre. Für beide kann auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidassistenz verwiesen werden. Bei aller Unsicherheit über die konkret mit ihr verbundenen Folgen für eine mögliche Neuregelung der Suizidhilfe besteht doch kein Zweifel daran, dass das Gericht es dem Gesetzgeber untersagt, an materielle Kriterien wie Alter oder Gesundheitszustand anzuknüpfen. Im Übrigen zeigt das Beispiel des Transplantationsgesetzes, wie problematisch selbst sehr allgemein formulierte gesetzliche Allokationskriterien sind. Dort werden bekanntlich die erkennbar widersprüchlichen Vorgaben „Erfolgsaussicht und Dringlichkeit“ miteinander verbunden und im Übrigen auf die Richtlinien der Bundesärztekammer verwiesen. Nach nahezu einhelliger Auffassung ist dies verfassungsrechtlich unzulässig – mithin scheidet es als Vorbild für Triage-Situationen aus. Im Unterschied zur Organallokation bedeutete es zudem ein nahezu sicheres Todesurteil, bei der Vergabe von Beatmungsplätzen nicht berücksichtigt zu werden. Eine solche, direkt über Leben und Tod entscheidende Regelung entzieht sich der legitimen Steuerungskompetenz des Gesetzgebers.

 


„Staat und Recht dürfen Ärzte nicht allein lassen“

Prof. Uwe Janssens

Die Deutsche Interdisziplinäre Ver-einigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat gemeinsam mit sieben weiteren Fachgesellschaften eine klinisch-ethische Empfehlung zu „Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der Covid-19-Pandemie“ ausgearbeitet. Viele Juristen, Politiker, aber auch Behindertenverbände, die sich kritisch dazu geäußert haben, bleiben die Antwort schuldig, wie sich Ärztinnen und Ärzte in einer tragischen Entscheidungssituation angesichts knapper oder nicht mehr vorhandener Kapazitäten bei einer Überzahl schwerstkranker Patienten verhalten sollten. Es ist erschreckend und beschämend, dass einerseits Mediziner in vorderster Front ihrer beruflichen Verpflichtung zum Schutz und Erhalt des Lebens nachkommen sollen, gleichzeitig aber mit juristischen Konsequenzen nahezu bedroht werden, wenn sie einem fundiertem Vorschlag folgend versuchen, möglichst vielen Menschen in einer verzweifelten Situation das Leben zu retten.

Prof. Uwe Janssens ist Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Als Chefarzt arbeitet er in der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler. © Thomas Weiland

Die DIVI-Empfehlung betont, dass die ärztliche Indikation und der Patientenwille die Grundlage für jede patientenzentrierte Entscheidung darstellen. Reichen die Ressourcen nicht aus, muss unausweichlich entschieden werden, welche Patienten intensivmedizinisch behandelt werden sollen – und welche nicht. Nur in einer solchen Situation wird es erforderlich, die sonst gebotene patientenzentrierte Behandlungsentscheidung einzuschränken und über die Verteilung der begrenzt verfügbaren Ressourcen zu entscheiden. Die Priorisierungen erfolgen nicht in der Absicht, Menschenleben zu bewerten, sondern mit dem Ziel, mit begrenzten Ressourcen möglichst vielen Patienten eine Teilhabe an der medizinischen Versorgung unter Krisenbedingungen zu ermöglichen. Dabei orientieren sich die Behandlungsteams am Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht. Eine Priorisierung innerhalb der Gruppe der Covid-19-Erkrankten ist aufgrund des Gleichheitsgebots nicht vertretbar und außerdem nicht zulässig aufgrund des kalendarischen Alters, sozialer Merkmale oder bestimmter Grunderkrankungen oder Behinderungen.

Die Empfehlung weist explizit darauf hin, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen Menschenleben nicht gegen Menschenleben abgewogen werden dürfen. Da es bis zum heutigen Tage keine entsprechende verfassungsrechtliche Bewertung einer solchen tragischen Entscheidungssituation gibt, werden sich Ärztinnen und Ärzte zunächst an den Empfehlungen der DIVI orientieren. Neben dem Schweregrad der aktuellen Erkrankung spielen Anzahl und Ausmaß der vorliegenden Begleiterkrankungen in der Bewertung der Erfolgsaussicht neben einer Vielzahl weiterer klinischer Parameter eine wesentliche Rolle in der Bewertung der Erfolgsaussicht. Entscheidungen nach dem Prinzip „first come – first served“ oder gar per Losverfahren wären für Behandlungsteams schwer zu ertragen und führten zu massiven Konflikten.

Der Gesetzgeber sollte dringend Vorgaben für eine solche Priorisierung aufstellen. Der Staat und das Recht dürfen die zur Rettung verpflichteten Ärzte nicht mit dem Hinweis auf eine individuelle Gewissensentscheidung allein lassen, die ihnen die vollständige ethische Verantwortung und umfangreiche Haftungsrisiken aufbürdet. Die Entscheidungen müssen zwingend von Ärzten getroffen werden, die Bewertung der Erfolgsaussicht einer medizinischen Behandlung darf nicht in die Hände von Juristen gelegt werden.

 


„Der Gesetzgeber darf sich nicht verstecken“

Prof. Jochen Taupitz

Allokationskriterien sollen darüber entscheiden, welcher Patient anstelle anderer Patienten das benötigte Medikament oder Beatmungsgerät erhält. Dieses Problem kann die Medizin nicht mit „Bordmitteln“ lösen. Sie kann lediglich sagen, ob die Anwendung eines Arzneimittels bei einem Patienten „sinnvoll“ ist. Beim Vergleich von Patienten und der Abwägung von Zielkonflikten ist sie auf normative Vorgaben angewiesen.
Jedenfalls bezogen auf wesentliche Entscheidungen ist eine Antwort des Rechts gefordert – und nach der Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts sogar eine solche des parlamentarischen Gesetzgebers. Denn Allokationsentscheidungen haben eine hohe Bedeutung für die Allgemeinheit, weisen eine hohe generelle Grundrechtsrelevanz auf (nämlich für Leben, körperliche Unversehrtheit und Gesundheit der Bürger) und führen zu einer intensiven individuellen Betroffenheit der auf das knappe Gut angewiesenen Personen. Deshalb wäre im Hinblick auf die Verteilung knapper medizinischer Güter, auch für den Fall einer Pandemie, eine Regelung durch den Gesetzgeber selbst notwendig.

Prof. Jochen Taupitz hat an der Universität Mannheim die Seniorprofessur für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung. Der Jurist beschäftigt sich insbesondere mit dem Medizin- und Gesundheitsrecht. © pag, Fiolka

Die anderslautende Auffassung des Ethikrates zu den nur begrenzten Regelungsbefugnissen des Staates sind offenbar geprägt durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz. Darin ging es jedoch um den staatlich angeordneten Abschuss eines von Terroristen entführten und als Waffe missbrauchten Flugzeugs. Beim Abschuss des Flugzeugs macht sich der Staat selbst zum „Täter“, behandelt er
die unschuldigen Opfer „als bloße Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutze anderer“. In einer für den Pandemiefall getroffenen Regelung werden dagegen Kriterien vorgegeben, nach denen in einer Mangelsituation bestimmte Menschen vorrangig vor anderen versorgt werden. In das Leben der nachrangig Versorgten wird nicht aktiv eingegriffen; vielmehr bleiben sie ihrem Schicksal überlassen und sterben an ihrer Krankheit.
Dies ist nicht anders als bei der Regelung der Organtransplantation im Transplantationsgesetz. Danach sind vermittlungspflichtige Organe nach „Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln“. Die Bundesärztekammer hat diese Vorgaben in Richtlinien fachlich auszufüllen. Warum eine vergleichbare Regelung für den Pandemiefall nicht zulässig sein sollte, ist nicht verständlich.

Das Grundgesetz verbietet zwar bestimmte Begründungen für die Vorenthaltung lebensrettender Maßnahmen. Dies gilt etwa für Geschlecht, Abstammung, Rasse, Glauben, religiöse oder politische Anschauungen und Behinderung. Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers ist es aber, den verbleibenden Rahmen auszufüllen. Die arbeitsteilige Einbeziehung anderer Disziplinen mit ihrer Fachkunde, etwa der Medizin, ist zulässig und geboten. Aber der Gesetzgeber darf sich nicht hinter anderen Disziplinen verstecken. Eine gesetzliche Regelung müsste entweder inhaltlich so bestimmt sein, dass sie in der Praxis hinreichend rechtssicher umgesetzt werden könnte. Oder der Gesetzgeber müsste ausreichende Vorgaben zur Zusammensetzung und zum Verfahren eines zur Regelung zuständigen Gremiums erlassen. Je schwächer einer der beiden Legitimationsstränge ist, umso stärker muss der andere ausgestaltet sein.