Angeborene Herzfehler: Fataler Versorgungsmangel

Frankfurt a. M. (pag) – Das Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler (ABAHF) warnt vor einem Engpass in der Reha-Versorgung von Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler (EMAH): Nur eine Handvoll Nachsorge-Kliniken würden den Ansprüchen von EMAH entsprechen. Auch Deutsche-Herzstiftung-Vorstand Prof. Stefan Hofer sieht die Lage kritisch: „Erwachsene mit angeborenem Herzfehler dürfen jetzt nicht in ein Versorgungsloch fallen.“

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Schließlich gehe es um das Wohl von über 350.000 EMAH in Deutschland, die von Geburt an auf eine lebenslange spezifische Nachsorge ihres Herzfehlers angewiesen seien. Hofer sieht einen fatalen Mangel an Reha-Angeboten. Laut ABAHF warten die Betroffenen regelmäßig mehrere Monate bis zu einem Jahr, um einen geeigneten stationären Rehaplatz zu bekommen.

Die Wahrnehmung der ABAHF wird von der Datenlage gedeckt. Im März hat das vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) geförderte Projekt Versorgungsoptimierung bei Kindern und Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (OptAHF) erste belastbare Zahlen vorgelegt: Eine Auswertung von Daten des Statistischen Bundesamtes und der Barmer zeigt, dass entgegen der geltenden Leitlinie über 40 Prozent der EMAH nur hausärztlich versorgt werden. Darunter fallen selbst über 35 Prozent der Patienten mit komplexen Herzfehlern. Für die betroffenen Patienten ist dem Projekt zufolge damit ein „signifikant höheres Sterberisiko und das Risiko von schweren unerwünschten Ereignissen assoziiert“.

Eine neue Patientengruppe

Ein Grund für die Versorgungsprobleme ist eigentlich ein positiver: Seit den 90er-Jahren ist die Zahl der Todesfälle durch Fortschritte in der Behandlung drastischer gesunken als bei allen anderen Herzerkrankungen. Wie die Herzstiftung informiert, können heute über 90 Prozent der betroffenen Kinder das Erwachsenenalter erreichen. Damit ist mit den EMAH in Deutschland im Grunde eine völlig neue Patientengruppe entstanden, die weiterhin wächst.

Eine erfolgreiche Behandlung als Kind entspricht aber nicht zwangsläufig einer Heilung. Noch viele Jahre später kann es zu teils lebensbedrohlichen Verschlechterungen kommen, die für Betroffenen selbst nicht immer wahrnehmbar sind, da sie sich oft schleichend entwickeln. Nur durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen bei EMAH-Spezialisten können solche Komplikationen rechtzeitig ausgemacht werden.

 

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Mangel an Experten
Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) zählt in Deutschland circa 180 EMAH-zertifizierte Kardiologen. Mehr als 150 davon sind Kinderkardiologen, hauptsächlich arbeiten diese in überregionalen EMAH-Zentren, Schwerpunktpraxen oder -Kliniken. In Reha-Kliniken fehle ihre Expertise dadurch zurzeit.
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Ein „seltenes“ Weißbuch


Berlin (pag) – Ein neuer Aktionsplan, ein Weißbuch, mehr Sichtbarkeit: Mit handfesten Vorschlägen und Zielen tauschen sich betroffene Eltern sowie Bundes- und Europapolitiker auf einem Fachgespräch des Pharmaunternehmens Takeda anlässlich des Tags der Seltenen Erkrankungen aus. Im Blick haben sie dabei die Europawahl am 9. Juni.

Erich Irlstorfer weiß Manfred Weber, Chef der stärksten Fraktion im Europa-Parlament – der EVP – an seiner Seite. Irlstorfer, CSU-Bundestagsabgeordneter und Schirmherr des Tags der Seltenen Erkrankungen, kündigt an: „Wir werden ein Weißbuch erstellen“. Ein Weißbuch zu Seltenen Erkrankungen. Darin berichteten Selbsthilfeorganisationen, was in der Versorgung gut läuft und wo Verbesserungsbedarf besteht, so Irlstorfer. Nach derzeitigem Stand soll das Buch im Juni veröffentlicht werden. Doch wer ist wir? Da kommt Irlstorfers Parteifreund Weber ins Spiel. Denn dieser habe zu dem Bundestagsabgeordneten gesagt: „Wir müssen das europäisch machen.“ Das Buch soll sich an politische Entscheidungsträger in der EU und ihren Mitgliedsstaaten richten.

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Für einen europäischen Aktionsplan zu Seltenen Erkrankungen rührt Geske Wehr die Werbetrommel. Sie ist Generalsekretärin von Eurordis, eine Allianz, die über 1.000 Patientenorganisationen vertritt und die Kampagne „#30millionreasons for Europe to take action on rare diseases“ gestartet hat, um eine neue Strategie anzustoßen. „In Europa haben wir das Problem, das nicht alle Medikamente, die zugelassen sind, verfügbar sind“, konstatiert sie.

Sie hofft, dass im Juni Politiker gewählt werden, die dem Thema Seltene Erkrankungen offen gegenüberstehen. Drei von ihnen sind beim Fachgespräch zu Gast. „Wir müssen in Ausbildung und Wissenstransfer investieren, um sicherzustellen, dass Orphan-Datenbanken effektiv genutzt werden“, fordert der zugeschaltete Spitzenkandidat der Familien-Partei Helmut Geuking. Live vor Ort ist Dr. Philipp Mathmann, Kandidat der Grünen für die Europawahl. „Es ist wichtig, die Gesetzgebung an die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten anzupassen und das Bewusstsein für Seltene Erkrankungen zu erhöhen”, wünscht sich der stellvertretende Direktor der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie am Universitätsklinikum Münster. Seine zugeschaltete Parteifreundin und Europaabgeordnete Katrin Langensiepen glaubt, dass Orphan Diseases in den Fokus der EU rücken könnten. „Wir haben hier die Gelegenheit, gemeinsam eine Vision für die Zukunft zu entwickeln und die Versorgung nachhaltig zu verbessern.”

Pharmapaket ist Chefsache

Einige Hoffnungen werden in das EU-Pharmapaket gesetzt. So soll die Marktexklusivität für Orphan Drugs bei hohem ungedeckten Therapiebedarf um bis zu elf Jahre verlängert werden. In Deutschland genieße das Pharmapaket hohe Priorität und werde im Bundeskanzleramt „vorrangig“ behandelt, betont die SPD-Bundestagsabgeordnete und Kinderärztin Nezahat Baradari.
Doch nicht nur die EU-Ebene wird auf der Veranstaltung beleuchtet. Astrid Diederichs, deren Tochter mit dem Smith-Magenis-Syndrom lebt, will nicht, dass sich Angehörige oder Betroffene nach Diagnosestellung mit Krankenkassen, Schulämtern oder Therapeuten herumschlagen müssen. Ferner sollte die Lebensqualität erhöht werden, verlangt die Vertreterin des Selbsthilfevereins Sirius. „Das erwarte ich von der Politik.“

Braucht Deutschland eine Menopause-Strategie?

Warum ein „Da müssen Sie durch“ nicht mehr angemessen ist

Berlin (pag) – Die Menopause stellt noch immer ein gesellschaftliches Tabu dar, in der Gesundheitspolitik ist sie ein weißer Fleck. Das Thema sichtbarer zu machen, ist das Ziel eines kürzlich stattgefundenen Parlamentarischen Abends, auf dem über Strategien und ideologische Grabenkämpfe diskutiert wird.

Einen Tag vor der Veranstaltung im März unterschreibt US-Präsident Joe Biden eine Verordnung zur Förderung der Gesundheitsforschung für Frauen. Es sollen unter anderem Forschungslücken zu frauenspezifischen Krankheiten und Phänomenen wie Endometriose und Menopause geschlossen werden. Vielleicht ein Zeichen, dass sich der Umgang mit den Wechseljahren wandelt. Hierzulande sind davon immerhin neun Millionen Frauen betroffen.
Die allermeisten von ihnen wissen wenig über diesen Lebensabschnitt, der bis zu zehn Jahre dauern kann. Dass die Beschwerden, die in den Wechseljahren auftreten können, sehr vielfältig und auch unspezifisch sind, macht es nicht einfacher. In der (frühen) Perimenopause können das beispielsweise Wassereinlagerungen, Schwindel und Herzrasen sein, in der Postmenopause neben den landläufig bekannten Hitzewallungen auch Gelenkschmerzen oder zunehmende Kopfschmerzen beziehungsweise Migräne. Die Symptome treten in sehr unterschiedlicher Intensität auf: Ein Drittel der Frauen hat keine oder nur minimale klimakterische Beschwerden. Zwei Drittel leiden darunter, bei der Hälfte von ihnen ist die Lebensqualität dadurch beträchtlich eingeschränkt.

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Nicht nur ein gynäkolgisches Thema

Oft können die betroffenen Frauen ihre Beschwerden nicht richtig einordnen. Und das geht offenbar nicht nur ihnen so, sondern auch vielfach den konsultierten Ärztinnen und Ärzten. Dass das Wissen in der Ärzteschaft zu diesem Thema noch ausbaufähig ist, wird während des Parlamentarischen Abends rasch deutlich. Das betrifft sowohl die Symptome als auch die zur Verfügung stehenden Therapien, mit denen die Beschwerden gelindert werden können. „Da müssen Sie durch“, ist ein Satz, den die ratsuchenden Frauen oft zu hören bekommen.
Dieser Aussage widerspricht Dr. Katrin Schaudig, Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft, auf der Veranstaltung nachdrücklich. Ein erster wichtiger Schritt ist für sie, dass sowohl Frauen als auch Ärzte wissen, was in dieser Phase passiert. Die Gynäkologin macht sich daher für eine Awareness-Kampagne stark, auch mahnt sie an, dass die ausführliche Beratung in der Arztpraxis besser honoriert werden müsse. Ein weiteres Anliegen Schaudigs ist, dass die Menopause nicht nur als gynäkologisches Thema verstanden wird, sondern dass sich auch Hausärzte und Arbeitsmediziner damit stärker beschäftigen.

Teure Ignoranz

Besonders intensiv diskutieren Politiker, Ärzte, Unternehmer und Betroffene bei dem Termin darüber, wie mit den Wechseljahren am Arbeitsplatz umgegangen wird. Eine deutschlandweite Befragung des Forschungsprojektes MenoSupport zeigt, dass es noch reichlich Luft nach oben gibt. Die wichtigsten Ergebnisse: Von den über 2.000 befragten Frauen wollen knapp 20 Prozent der über 55-Jährigen früher in Rente gehen beziehungsweise sind bereits in Rente gegangen. Knapp ein Viertel der Befragten mit Wechseljahressymptomen reduzierte bereits ihre Arbeitsstunden und knapp ein Drittel war aufgrund der Symptome krankgeschrieben oder nahm unbezahlten Urlaub. „Das können wir uns als Gesellschaft in vielerlei Hinsicht nicht leisten“, kommentiert Schaudig mit Blick auf den Fachkräftemängel diese  Produktivitätsausfälle. Bei Unternehmen wie Edeka, welche die Brisanz bereits erkannt haben, klärt sie die Belegschaft über die Wechseljahre auf.

Vorbild Großbritannien

Auf politischer Ebene passiert dagegen derzeit noch nicht besonders viel. Im Koalitionsvertrag ist das Thema ausgespart. Die Union hat allerdings eine Kleine Anfrage zu den „Auswirkungen der Menopause auf Frauen“ im Oktober vergangenen Jahres gestellt. Begleitet wurde diese von einem Statement zum Weltmenopausetag am 18. Oktober, das Dorothee Bär und die Berichterstatterin der CDU/CSU-Bundestagfraktion für geschlechterspezifische Gesundheit, Diana Stöcker, unterzeichnet haben. 
Letztere verlangt, dass die betroffenen Frauen mit all den Einschränkungen gesundheitlicher, aber in Folge auch wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art, nicht allein gelassen werden dürften. Die Politikerin sieht mehr Forschungsbedarf, „auch um die Frauen aus der Stigmatisierung zu holen und zudem Arbeitgeber zu sensibilisieren, wie dies bereits in anderen europäischen Ländern der Fall ist“.
Wenn über internationale Vorbilder diskutiert wird, richtet sich der Blick meist nach Großbritannien. Dort wurde im Februar 2022 eine Menopause-Taskforce etabliert. Diese adressiert im Wesentlichen folgende Bereiche: Gesundheitsversorgung, Bildung und Aufmerksamkeit für die Bevölkerung und Gesundheitsberufe, Unterstützung am Arbeitsplatz sowie Forschung. Ob eine so umfassende Strategie auch hierzulande auf die Beine gestellt werden kann, bleibt abzuwarten.

 

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Hormonersatztherapie (HRT) – ja oder nein?
Kein Thema wird im Kontext der Wechseljahre so kontrovers diskutiert wie die Hormonersatztherapie. Eine ideologische Lagerbildung kritisiert Schaudig, die fordert: „Wir müssen weg kommen von dem Schwarz-Weiß-Denken.“ Eine Gruppe fordere Hormone für alle, während die andere den Einsatz grundsätzlich ablehne. Eine Hormonersatztherapie „mit der Gießkanne“ verurteilt die Gynäkologin, nicht aber bei Frauen mit einem Leidensdruck, denn die Risiken seien „relativ niedrig“. Wichtig sei jedoch eine sorgfältige Aufklärung.
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Weiterführende Links

Department of Health & Social Care (UK), Policy paper, Women‘s Health Strategy for England, Updated 30 August 2022, Website

Prof. Dr. Andrea Rumler, Julia Memmert, HWR Berlin, Forschungsprojekt MenoSupport, Ergebnisse der ersten deutschlandweiten Befragung zum Thema Wechseljahre am Arbeitsplatz, Stand 04/2024, Präsentationsfolien, PDF, 45 Seiten

 

Inklusives Gesundheitswesen – ein langer Weg

Berlin (pag) – „Ein inklusives Gesundheitssystem für alle“ lautet der programmatische Titel einer Veranstaltung von gesundheitsziele.de, dem Aktionsbündnis Patientensicherheit sowie der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung. Jürgen Dusel, Behinderten-Beauftragter der Bundesregierung, attestiert dort dem Gesundheitssystem in Sachen Inklusion ein „Qualitätsproblem“ und kritisiert insbesondere die mangelnde Barrierefreiheit von Arztpraxen.

Dusel verlangt von der Regierung, den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag endlich umzusetzen. Damit ist der angekündigte Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen gemeint. Außerdem sollten bestehende Problemlagen nicht auf die „lange Bank“ geschoben werden. Konkret nennt er die Barrierefreiheit von Arztpraxen, die durch eine Änderung im Behindertengleichstellungsgesetz forciert werden soll, und die außerklinische Intensivpflege.
Der Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen erinnert daran, dass Deutschland vor knapp 15 Jahren die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat. Diese beschreibe „eigentlich eine Selbstverständlichkeit“ – nämlich, dass Menschen mit Behinderungen im gleichen Maße Zugang zum Gesundheitssystem haben sollen wie Menschen ohne Behinderungen. Dass die Realität hierzulande anders aussieht, zeigt die Begutachtung des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen: Gerade das Gesundheitssystem musste Dusel zufolge harsche Kritik vom Ausschuss einstecken. Angeprangert wurde die Diskrepanz zwischen guter finanzieller Ausstattung und mangelnder gleichberechtigter Teilhabe.

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Kein „nice to have“

Dusel geht davon aus, dass drei Viertel der Praxen nicht barrierefrei sind. Beispiel Gynäkologie: Dem Regierungsbeauftragten zufolge gibt es in Deutschland lediglich zehn Praxen, deren Behandlungssetting barrierefrei ausgestattet ist. Die Folge: Frauen im Rollstuhl nehmen seltener an Vorsorgeuntersuchungen teil. Eine WHO-Studie hat ermittelt, dass Menschen mit Behinderungen weltweit eine 20 Jahre geringe Lebenserwartung haben – und zwar nicht aufgrund ihrer Behinderung, sondern aufgrund von Zugangsbarrieren zum Gesundheitswesen. „Diesen Zustand können wir nicht akzeptieren und nicht tolerieren“, appelliert Dusel. Es gehe bei Teilhabe nicht um ein „nice to have, sondern um die Umsetzung von Menschenrechten“. Aufgabe des Staates sei es nicht nur, das Recht zu setzen, sondern auch dafür zu sorgen, dass es bei den Menschen ankommt.
Kritisch fällt auf der Veranstaltung auch die Bilanz von Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt aus. „Passabel“ sei die Inklusion von Menschen mit sensorischer Behinderung wie Blind- oder Taubheit. Etwas besser findet er die Lage bei der Barrierefreiheit, wo Reinhardt eine gewisse Sensibilisierung beobachtet hat. Am allerwenigsten gelinge jedoch die Inklusion im Sinne von selbstständiger Partizipation am Gesundheitswesen von Menschen mit einer Lernbehinderung oder einer geistigen Behinderung. „Da haben wir wirklich noch viel Potenzial und sollten uns mehr Mühe geben“, findet der Mediziner.

Gesundheitsversorgung: Menge statt Qualität?

Berlin (pag) – Eine Umfrage im Auftrag der Siemens Betriebskrankenkasse (SBK) offenbart ein zwiespältiges Bild: Die meisten Menschen sind mit der medizinischen Versorgung in Deutschland zufrieden, doch ein nicht unerheblicher Teil erlebt Defizite. Vorständin Dr. Gertrud Demmler mahnt weitreichende Reformen an, die die Ressourcen des Gesundheitswesens entlasten. Ein Problem: Aktuell sei das System auf Menge und nicht auf Qualität ausgerichtet.

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Geld, Fachkräfte und Materialien fließen Demmler zufolge vor allem in aufwendige Therapien und Angebote, die einen hohen Ressourcenverbrauch aufweisen. Dieser Mechanismus schaffe keine Anreize, nachhaltig zu handeln. Die Kassenchefin fordert: „Dieser mengenbasierte Verteilungsmechanismus sollte zu einem qualitätsbasierten weiterentwickelt werden.“ Profitieren sollten insbesondere Therapien, die aus Patientensicht einen hohen und langfristigen Nutzen haben. Voraussetzung dafür sei, die Qualität von Behandlungen über die Erfahrungen der Versicherten zu messen und die Ergebnisse transparent zur Verfügung zu stellen. Demmler ist überzeugt, dass auf diese Weise eine neue Qualitätsorientierung erreicht werde, welche wirksamere Therapien fördert. „Zudem sparen wir wertvolle Ressourcen ein und entlasten das medizinische Personal.“

Probleme beim Zugang

Die repräsentative Untersuchung, die das Marktforschungsinstitut YouGov im Auftrag der SBK unter 2.022 Teilnehmenden ab 18 Jahren durchgeführt hat, zeigt ein geteiltes Bild: Die meisten Menschen geben der Versorgung ein gutes Zeugnis. So bewerten 77 Prozent ihre letzten Erfahrungen mit einer Arztpraxis positiv. Doch: Jeder Vierte (24 Prozent) sieht die Notfallversorgung in der eigenen Region als nicht vollständig gesichert. 35 Prozent der Menschen, die schon einmal pflegebedürftig waren oder einen Menschen gepflegt haben, waren nicht zufrieden mit den Erfahrungen, die sie mit ambulanten oder stationären Pflegeeinrichtungen gemacht haben. 28 Prozent der Eltern mit Kindern bis 12 Jahren hatten Schwierigkeiten, eine Kinderarztpraxis zu finden.
Beim Zugang zur ärztlichen Versorgung schwankt die Zufriedenheit laut Umfrage: 80 Prozent können eine haus- oder allgemeinärztliche Praxis in angemessener Entfernung zu ihrem Wohnort besuchen. Allerdings haben 30 Prozent trotz dringendem Bedarf keinen Facharzttermin in angemessener Zeit erhalten. 37 Prozent der Menschen mit Erfahrungen mit ambulanter oder stationärer Pflege konnten in einer Pflegesituation nicht ausreichend schnell einen Platz im Heim oder einen Pflegedienst finden.

Die wichtigste Ressource

„Die Gesundheitsversorgung ist in einer angespannten Lage, das zeigen auch die Ergebnisse dieser Umfrage“, betont Gertrud Demmler. Auf absehbare Zeit werde die Überlastung aufgrund des demographischen Wandels eher größer. „Das heißt Arzttermine, Pflegeeinrichtungen oder Zeit für die Patientinnen und Patienten im Krankenaus werden eher knapper.“ Das sei nicht nur für die Patientinnen und Patienten eine schlechte Nachricht. Auch die Menschen, die sie versorgen, stehen zunehmend unter Druck. „Wir brauchen jetzt weitreichende Reformen, die die Ressourcen des Gesundheitswesens insgesamt entlasten. Und die wichtigste dieser Ressourcen sind die Menschen, die im System arbeiten.“

Frauenherzen schlagen anders

Berlin (pag) – Wenn eine Frau einen Herzinfarkt erleidet, ist für sie die Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben, deutlich höher als bei einem Mann. Aktuell liegt das ärztliche Augenmerk beim Infarktverdacht auf typisch männlichen Symptomen. Die Healthcare Frauen rufen daher gemeinsam mit der Herz-Hirn-Allianz und weiteren Akteuren zum #GoRedDay auf.

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Am 2. Februar ist bundesweiter Tag der Frauenherzgesundheit gewesen. Ziel ist die Stärkung des politischen und öffentlichen Bewusstseins für Herzerkrankungen bei Frauen.
Zu den bekannten männlichen Infarktsymptomen zählen zum Beispiel stechende Schmerzen in der Brust. Dagegen macht sich ein Herzinfarkt bei Frauen eher durch Übelkeit, Kopfschmerzen oder Schmerzen im Oberbauch bemerkbar. Bei solchen Beschwerden wird das Herz nicht sofort in Betracht gezogen, die richtige Behandlung einer Patientin verzögert sich. Es fehlen zudem große klinische Studien zur Frauenherzgesundheit hinsichtlich Medikation, Dosierung und Behandlungsmethoden. Ob in der Forschung, in der Diagnostik oder Therapie – das Thema Gesundheit basiert in der Regel auf männlich geprägten Daten, von der Erhebung bis zur Ableitung von Erkenntnissen. In der Folge werden Patientinnen missverstanden, fehldiagnostiziert und falsch behandelt. Herz-Kreislauferkrankungen sind weltweit die häufigste Todesursache bei Frauen, jeder dritte Todesfall in Deutschland geht auf eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zurück. Jedes Jahr sterben hierzulande ca. 20.000 Frauen an einem Herzinfarkt.

Konzertierte Aktion

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach hat im Herbst 2023 eine konzertierte Aktion angekündigt, um Früherkennung, Vorbeugung und Arzneimitteltherapien von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern. Die Healthcare Frauen halten mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein für die Risiken und Symptome einer Herz-Kreislauf-Erkrankung für dringend nötig, denn Männer und Frauen unterscheiden sich – auch beim Herzinfarkt, betont die Initiative. Gehandelt hat bereits die Herzchirurgin Dr. Viyan Sido. Sie hat eine Ambulanz mit spezieller Frauensprechstunde ins Leben gerufen. „Der Mangel an geschlechtsspezifischer Aufmerksamkeit kann zu suboptimalen Behandlungsergebnissen führen, da Medikamente und Therapien bei Frauen und Männern unterschiedlich wirken können“, sagt sie. Es gelte, das Bewusstsein für die Relevanz der Gendermedizin zu schärfen. Es müsse sichergestellt werden, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der medizinischen Praxis angemessen berücksichtigt werden, um eine optimale Patientenversorgung zu gewährleisten, appelliert sie.

Alarmstufe Rot für mehr Aufmerksamkeit

Inspiriert vom „National Wear Red Day“ in den USA rufen die Healthcare Frauen und andere Akteure dazu auf, am 2. Februar ein farbiges Zeichen zu setzen: Unterstützerinnen und Unterstützer tragen ein rotes Accessoire oder Kleidungsstück, um auf die Herzgesundheit bei Frauen aufmerksam zu machen.

Orthopädie: Kinder-OPs mit Warteliste

Berlin (pag) – Fachärztinnen und Fachärzte sehen die kinderorthopädische Versorgung als bedroht an, denn die aufwendigen Behandlungen seien ein Minusgeschäft. Krankenhäuser würden daher ihre kinderorthopädischen Abteilungen schließen oder verkleinern. Die Folge seien OP-Wartezeiten an spezialisierten Zentren von bis zu einem Jahr.

Zugang zur kinderorthopädischen Versorgung gefährdet? Ärzte schlagen Alarm. © stock.adobe.com, Towfiqu Barbhuiya

 

„Wenn gesundheitspolitisch nicht gegengesteuert wird, droht eine Unterversorgung im kinderorthopädischen Bereich“, sagt Prof. Maximilian Rudert, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). Systematisch setzt sich mit dem Thema eine wissenschaftliche Arbeit auseinander, die eine Wirtschaftlichkeitsanalyse hüftrekonstruierender Eingriffe in der Kinderorthopädie erstellt. Die Autorengruppe um Kinderorthopädin Dr. Katharina Gather beleuchtet die Versorgung von Kindern mit Schädigungen im zentralen Nervensystem. Die sogenannte „neurogene Hüftdezentrierung“ behindert bei den Betroffenen Mobilität, Pflegefähigkeit und Lebensqualität. Mit einer speziellen Operationstechnik können orthopädische Chirurgen Hüftgelenke bereits im Wachstum wieder neu einstellen und dadurch Schmerzen verringern, Beweglichkeit verbessern und auch die frühzeitige Entstehung von Gelenkverschleiß verhindern. Die Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg gilt als eine der führenden Einrichtungen für diese hochspezialisierten Operationen. Gather hat die wirtschaftliche Bilanz der lebensverbessernden Operationen wissenschaftlich aufgearbeitet. Demnach sind solche Eingriffe im DRG-System nicht kostendeckend durchführbar. Die Kliniken blieben am Ende auf vielen hundert Euro an Kosten sitzen.

Prof. Tobias Renkawitz, Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, verlangt daher eine grundsätzliche Neuberechnung der Prozeduren in der ambulanten und stationären Kinderorthopädie. Diese müsse den tatsächlichen Aufwand der Einrichtungen realistisch abbilden. Anders könne trotz Vorhaltepauschalen nicht sichergestellt werden, dass Familien „auch zukünftig Zugang zu einer adäquaten kinder- und jugendorthopädischen Versorgung erhalten“.

Einige Wochen später gibt die Krankenhaus-Regierungskommission eine Empfehlung zur Kindermedizin ab. Demnach soll das künftige Vorhaltebudget für die Leistungsgruppen von Pädiatrie und Kinderchirurgie dauerhaft um einen Aufschlag von bis zu 20 Prozent der bisherigen aDRG-Erlösvolumina der Fachabteilungen der operativen und konservativen Kinder- und Jugendmedizin erhöht werden.

Weiterführender Link:

Solidarität mit Kindern und Menschen mit Behinderung?
Eine Wirtschaftlichkeitsanalyse hüftrekonstruierender Eingriffe in der Kinderorthopädie
https://link.springer.com/article/10.1007/s00132-023-04381-7

Ein rares Gut

Engpässe bei Immunglobulinen – neue Strategien sind gefragt

Berlin (pag) – Mittlerweile kann hierzulande auch die Versorgungsicherheit mit lebenswichtigen Medikamenten auf wackeligen Füßen stehen. Das gerade verabschiedete Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) wird daran nur zum Teil etwas ändern. Bei Immunglobulin-Präparaten ist das Problem besonders komplex, einfache Antworten gibt es nicht.

Betroffen von der Knappheit sind im vergangenen Herbst Kinder und Erwachsene, die selbst nicht ausreichend Immunglobuline bilden können, um sich vor Infektionen zu schützen. Dabei handelt es sich um Menschen mit angeborenen Immundefekten oder Patienten mit bestimmten Krebserkrankungen wie der chronisch lymphatischen Leukämie oder des Multiplen Myeloms, die dauerhaft oder vorübergehend auf eine Antikörper-Therapie angewiesen sind.

Die Initiative „Boy in the Bubble“ zeigt bei einer Aktion, wie ein Leben ohne Immunglobuline isoliert in einer Plastikblase aussehen würde. © pag, Fiolka
Die Initiative „Boy in the Bubble“ zeigt bei einer Aktion, wie ein Leben ohne Immunglobuline isoliert in einer Plastikblase aussehen würde. © pag, Fiolka

Kein wirtschaftlicher Vertrieb

Rückblende: Die Versorgung mit Immunglobulinen, die aus menschlichem Blutplasma gewonnen werden, gerät im vergangenen Jahr aufgrund pandemiebedingter Lieferkettenprobleme ins Stocken. Hinzu kommt, dass deutlich weniger Blutplasma gespendet wird. Dann stoppt Octapharma, ein Hersteller in Deutschland, im Juni 2022 die Lieferung seines neuen Immunglobulin-Präparats. Als Grund nennt das Unternehmen Rabattforderungen des GKV-Spitzenverbandes. Dadurch könne das neue Präparat nur unter Herstellungskosten vertrieben werden. „Durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine sind die Rohstoff- und Herstellungskosten erheblich gestiegenen – und steigen weiter. Ein Vertrieb unter den Herstellungskosten ist aus nachvollziehbaren Gründen wirtschaftlich nicht möglich“, teilt die Firma noch in einem Update vom 18. August 2022 mit.

Im Herbst wird die Versorgungslücke für die Betroffenen deutlich spürbar: Tausende Patientinnen und Patienten müssen zusehen, wie sich die Regale in den Apotheken leeren. Die Apothekerinnnen und Apotheker fangen an, die Mengen zu reduzieren und die Abgabe zu stückeln. Patientenorganisationen schlagen angesichts verzweifelter Anrufe – insbesondere von Eltern betroffener Kinder – Alarm. Viele fürchten, dass die Immunglobulin-Präparate ganz ausgehen könnten.

Gesetzgeber lockert Vorgaben

Der öffentliche Druck wirkt offenbar: Kurz vor Weihnachten verabschiedet der Bundestag das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz. Darin enthalten ist eine fachfremde Regelung, welche Immunglobuline menschlicher Herkunft vom sogenannten erweiterten Preismoratorium im Fall von Neuzulassungen beziehungsweise einer neuen EU-Genehmigung für das Inverkehrbringen ausnimmt. Rückwirkend ab dem 31. Dezember 2018 entfalle damit auch die Preisfestsetzung durch das Vorgängerpräparat, erläutert das Bundesgesundheitsministerium auf Nachfrage. Octapharma hebt daraufhin im Januar den Lieferstopp für sein neues Präparat auf. An seiner Kritik an den verordneten Medikamenten-Rabatten hält das Unternehmen jedoch fest: Es würde in keinem anderen Wirtschaftszweig „derartige Forderungen“ erhoben. „Dies trifft die Hersteller von plasmatischen Produkten in besonderem Maße aufgrund überproportional hoher Rohstoff- und Herstellungskosten“, betont die Firma.

Der Gesetzgeber reagiert außerdem im Rahmen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes. Dieses führt eine Ausnahme vom erweiterten Preismoratorium ein: Hersteller können sich vom Abschlag für Arzneimittel ganz befreien lassen, „wenn für das in den Markt eingeführte Arzneimittel eine neue arzneimittelrechtliche Genehmigung erteilt wurde, die im Vergleich zu bereits zugelassenen Arzneimitteln mit demselben Wirkstoff eine neue Patientengruppe oder ein neues Anwendungsgebiet erfasst, und wenn eine Verbesserung der Versorgung zu erwarten ist“, teilt das BMG der Presseagentur Gesundheit mit. Im Fall einer Bewilligung vereinbart der GKV-Spitzenverband mit dem pharmazeutischen Unternehmer einen neuen Herstellerabgabepreis für das Arzneimittel.

Eine dritte Reaktion erfolgt im Rahmen des im Juni verabschiedeten ALBVVG. Dieses sieht die Möglichkeit vor, die Preismoratoriums-Preise für versorgungskritische Arzneimittel anzuheben. Zum 1. Juli werden außerdem die Basispreise im Zuge des Inflationsausgleichs beim Preismoratorium um 6,9 Prozent angehoben. Das eröffnet den Herstellern die Möglichkeit, Preise abschlagsneutral auch um bis zu 6,9 Prozent anzuheben. Abschläge, die bereits bestehen, da die Abgabepreise oberhalb der Basispreise liegen, werden durch Anhebung der Basispreise entsprechend gemindert oder fallen weg. „Dies wird einer weiteren Entlastung der Hersteller dienen“, ist das Ministerium überzeugt.                                                                                     

                                                                                      Bedarf an Blutplasma steigt

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Die aktuelle Lage sieht folgendermaßen aus: Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bezeichnet die Versorgung von Immunglobulin-Präparaten im Juni noch als „angespannt, aber grundsätzlich gedeckt“. Zu diesem Zeitpunkt sind sieben Immunglobulin-Präparate nicht lieferbar. Diese Situation dürfte künftig häufiger eintreten. Die Bundesregierung muss bezüglich der Versorgung mit Blutplasma-Präparaten bereits einräumen, dass auch ohne Pandemie künftig mit gewissen Unwägbarkeiten zu rechnen ist. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion Ende vergangenen Jahres erläutert sie die Gründe dafür: Zum einen steige der Verbrauch an Immunglobulin-Präparaten in Deutschland seit zehn Jahren – aufgrund von Indikationserweiterungen, verbesserter Diagnostik und ansteigenden Diagnosen. Prognosen des PEI zufolge wird der Bedarf jährlich um acht Prozent wachsen. Zum anderen wirken sich rückläufige Plasmaspenden aus den USA aus. Eine konkrete Zahl nennt die Regierung in ihrer Antwort nicht, aber laut Octapharma werden rund 40 Prozent des europäischen Blutplasmabedarfs mittels US-Importen gedeckt. Hinzu kommt, dass es nicht klar sei, in welche Länder die global agierenden Hersteller ihre Immunglobulin-Präparate in den Verkehr bringen, führt die Regierung aus. Langfristig werden die Hersteller von Blutplasmaprodukten ihre Präparate dorthin verkaufen, wo sie dauerhaft gute Preise erzielen werden – zum Beispiel in die USA oder ins europäische Ausland, befürchtet der Immunologe und Kinderarzt Prof. Volker Wahn, ehemals Charité. Mehr Blutplasmaspenden in Europa und vor allem in Deutschland sind ihm zufolge unerlässlich, um eine stabile Versorgung zu sichern.

BMG richtet Arbeitsgruppe Blut ein

Das BMG lässt bereits seit einiger Zeit von einer eigens gegründeten Arbeitsgruppe „Blut“ ausloten, wie das Spendenaufkommen in Deutschland gesteigert werden kann. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ruft zum Blutspendetag 2023 erstmals gezielt zum Spenden von Blutplasma auf. Nach Wahns Ansicht reicht eine solche Kampagne aber nicht aus. Die Anforderungen an die Plasmaspendezentren sollten verschlankt werden, fordert er im Interview des Monats (Link am Ende des Beitrages). Außerdem sei das ganze Spendenprozedere umzukrempeln, ist der Experte überzeugt. So müsse durch deutlich höhere Aufwandsentschädigungen das Spenden attraktiver gemacht werden.

Das dürften noch dicke Bretter sein, die dafür gebohrt werden müssen.

Weiterführender Link:

Interview des Monats mit Prof. Volker Wahn: Wegen Engpässen: Rutschen wir in eine Sparmedizin?
https://www.gerechte-gesundheit.de/debatte/interviews/uebersicht/detail/interview/104.html

Versorgung unzureichend: Was sich bei ME/CFS tut

Berlin (pag) – Mit dem Thema Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) hat sich der Gesundheitsausschuss des Bundestags beschäftigt. „Schnellstmöglich“ müsse eine bessere Versorgungsstruktur aufgebaut werden, verlangt Sepp Müller, stellvertretender Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

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Die Lage vieler Betroffenen sei „dramatisch“ und die Versorgung „absolut unzureichend“ schreibt die Union in einem Antrag. Darin fordert sie, ME/CFS sowohl in ein Disease-Management-Programm (DMP) als auch in den Katalog der Ambulantfachärztlichen Versorgung für komplexe Krankheitsbilder aufzunehmen. Ferner befürwortet die Union eine Chroniker-Pauschale.

Der CDU/CSU zufolge sind bereits vor der Pandemie hierzulande 250.000 Menschen von dem Krankheitsbild betroffen gewesen. Infolge von Corona steige die Zahl weiter. Rund 60 Prozent seien arbeitsunfähig. Der volkswirtschaftliche Schaden gehe in die Milliarden.

ME/CFS gilt als schwerwiegende Multisystemerkrankung, die oft nach einem Infekt auftritt. Auch ein Teil der Long-COVID-Betroffenen erkrankt daran. Frauen seien dreimal häufiger betroffen als Männer, berichtet die Immunologin Prof. Carmen Scheibenbogen, Berliner Charité, in der Anhörung. Bisher gebe es keine heilende Therapie. Deshalb sind Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband gegen die Aufnahme in den DMP-Katalog. Letzterer fordert, ein „umfassendes bio-psycho-soziales Krankheitsmodell“ im Auge zu behalten und eine zu enge Fokussierung auf „biomedizinische Verfahren“ zu vermeiden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sowie Betroffenen-Verbände begrüßen den Vorstoß.

Nachhaltige Forschung

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) hat im Januar 100 Millionen Euro für die Versorgungsforschung von Long-COVID und Postvac in Aussicht gestellt. Gespräche über die Finanzierung laufen Medienberichten zufolge noch. Auch Martina Stamm-Fibich, Patientenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, mahnt insbesondere den Aufbau von nachhaltigen Forschungsstrukturen wie beispielsweise neuer Professuren an. Dafür sieht sie auch die Länder in der Pflicht. „Im Bereich der Therapieforschung würde ich mir mehr Initiative aus der pharmazeutischen Industrie wünschen“, sagt sie.

Weiterführender Link:

Zum Antrag der Union „ME/CFS-Betroffenen sowie deren Angehörigen helfen – Für eine bessere Gesundheits- sowie Therapieversorgung, Aufklärung und Anerkennung“
https://dserver.bundestag.de/btd/20/048/2004886.pdf

Long COVID – was sich jetzt tut

Berlin (pag) – In Sachen Long COVID und Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) kommt allmählich Bewegung ins System. So hat etwa Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach eine Initiative für Menschen mit Long COVID angekündigt.

Rund drei Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie verzeichnet die Deutsche Sepsis Hilfe einen Anstieg von Meldungen von Betroffenen mit Long-COVID-Symptomen, die durch eine Corona-Sepsis hervorgerufen wurden. Anlässlich des Projektes „Deutschland erkennt Sepsis“ baut die Organisation eine nationale Kontaktstelle für die Überlebenden, die mit den Spätfolgen einer Sepsis zu kämpfen haben, auf. Für sie soll zusätzlich ein Programm aufgesetzt werden: Sepsis Survivorship.

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Eine Sepsis kann sowohl durch Bakterien hervorgerufen werden als auch durch Viren und Pilze. Prof. Frank M. Brunkhorst vom Uniklinikum Jena geht davon aus, dass seit Beginn der Pandemie in Deutschland bisher 157.000 Menschen mit einer kritischen SARS-CoV-2-Infektion intensivmedizinisch behandelt wurden. Etwa 125.000 Menschen, die diese schwere Infektion überlebt haben, seien von Spätfolgen betroffen, die viele gemeinsame Merkmale einer überlebten Sepsiserkrankung aufweisen. „Diese Patientinnen und Patienten wissen meist nicht, dass sie eine Corona-Sepsis überlebt haben und Spätfolgen zu erwarten sind“, betont der stellvertretende Vorsitzende der Sepsis Hilfe. Um diesen Menschen zu unterstützen, soll eine nationale Beratung für Angehörige und Patienten aufgebaut werden. Für dieses Projekt arbeitet die Sepsis Hilfe mit der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zusammen.

Betroffene ernst nehmen

Unterdessen hat der Bundestag im Januar über einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion beraten, der die Situation von Menschen in den Blick nimmt, die an ME/CFS erkrankt sind. Der zuständige Berichterstatter Erich Irlstorfer verlangt: „Die Erkrankung sowie das Leid der Betroffenen müssen endlich ernst genommen werden.“ Er fordert passgenaue und bedarfsorientierte Versorgungsstrukturen. Im Antrag wird der unverzügliche Aufbau der im Koalitionsvertrag genannten Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen für ME/CFS angemahnt. Auch sollte Betroffenen der Zugang zu Gesundheits- und Sozialsystemen erleichtert werden. Rehabilitationsangebote für Angehörige müssten gefördert werden, um deren physische und psychische Belastung zu reduzieren und die schulische oder berufliche Teilhabe auch für schwer Erkrankte zu ermöglichen.

Parallel zu der Debatte im Bundestag haben zahlreiche Menschen, die unter Corona-Langzeitfolgen leiden, eine Protestaktion initiiert. Die Gruppen „NichtGenesen“ und „NichtGenesenKids“ haben über 400 Feldbetten vor dem Reichstag aufgestellt. Sie setzen sich unter anderem für mehr Forschung, Medikamentenstudien und eine bessere ärztliche Versorgung für Long-COVID-Betroffene ein.

Die Forderungen scheinen nicht zu verhallen: Gesundheitsminister Lauterbach hat ein Programm für Long-COVID-Patienten angekündigt. Dieses soll unter anderem eine Hotline für Betroffene beinhalten. Auch will der Politiker die Versorgungsforschung zu dem Thema fördern.