Berlin (pag) – „Wie können wir unnötige Chemotherapien vermeiden ohne Heilungschancen zu gefährden?“ Bei der Diskussion um biomarkerbasierte Tests bei Brustkrebs geht es zentral um diese Frage, die Prof. Nadia Harbeck, Leiterin des Brustzentrums der Universität München, kürzlich auf einer Veranstaltung formuliert.
Dort debattieren Mediziner und Patienten mit einem Vertreter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) über den angemessenen Umgang mit Biomarkertests. Mit deren Hilfe sollen jene Patientinnen ermittelt werden, die auf eine Chemotherapie verzichten können. Eingeladen dazu hat Hello Healthcare, die Westdeutsche Studiengruppe (WSG) sowie der Bundesverband Deutscher Pathologen.
Harbeck hebt hervor, dass etwa 30.000 Brustkrebspatientinnen jährlich in Deutschland eine vorbeugende Chemotherapie erhielten – „und wir wissen ganz genau, dass nicht alle diese Frauen diese Therapie brauchen“. Die Medizinerin gehört der wissenschaftlichen Leitung der WSG an und ist überzeugt, dass aus klinischer Sicht genug verlässliche Daten für die Nutzung der Tests vorliegen würden. Sie will, dass die Gräben zwischen dem, was das IQWiG als evidenzbasierten Nutzen sieht und dem Nutzen, wie er sich für die behandelnden Ärzte darstellt, überwunden werden. Das IQWiG hat im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses den Nutzen von Biomarkern für die Therapieentscheidung von Frauen untersucht, bei denen bisher unklar ist, ob sie überhaupt ein Rezidiv erleiden würden bzw. ob ihr Krebs auf die Chemotherapie ansprechen würde. Dr. Fülöp Scheibler, Leiter des Bereichs Nutzenbewertung, betont, dass das Institut in seiner Ende 2016 vorgestellten Bewertung den Biomarkern nicht den Nutzen abspreche; vielmehr sei deren Nutzen heute noch nicht nachgewiesen. Er plädiert dafür, die Ergebnisse der vielen derzeit laufenden und hochwertigen Studien abzuwarten. Insgesamt mahnt er eine sachliche Diskussion an, dabei sollte zwischen methodischen Aspekten und Werturteilen unterschieden werden.
Aus Sicht der Betroffenen hebt Renate Haidinger, Vorstand von Brustkrebs Deutschland, hervor: „Wenn man die Langzeitnebenwirkungen, die das Leben der Patientinnen massiv beeinflussen, bei einem Teil vermeiden könnte, dann ist das ein riesiger Zugewinn.“ Brustkrebs Deutschland wertet momentan eine Patienten-Umfrage zu den Langzeitnebenwirkungen von Chemotherapien aus. Ein Ergebnis: 34 Prozent der Befragten spüren ihre Füße nicht mehr. Viele könnten nicht mehr ins Berufsleben zurückkehren. Belastend sei für die Frauen auch die unübersichtliche Erstattungssituation bei den Tests. Ambulant behandelte Kassenpatientinnen müssen bei ihrer Versicherung derzeit einen Einzelantrag stellen. Es hängt von der jeweiligen Kasse ab, ob diese die Kosten für die Testung übernimmt oder nicht.