Was die Politik in Sachen Tabakentwöhnung unternimmt
Es ist politischer Konsens, dass der Tabakkonsum hierzulande deutlich reduziert werden soll. Diese Absicht ist in mehreren internationalen Abkommen und nationalen Initiativen dokumentiert. Aber wie ernsthaft und konsequent wird das Ziel tatsächlich verfolgt? Aktuell ist einiges in Bewegung.
Das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) hat nicht nur einen zu langen Namen, sondern wurde auch mit vielen, ebenso unterschiedlichen wie kontroversen, Inhalten beladen. Vermutlich ist der Passus zur Tabakentwöhnung, der es noch per Änderungsantrag ins Gesetz geschafft hat, deswegen nahezu untergegangen. Das GVWG sieht nämlich vor, dass die Versorgung mit Arzneimitteln zur Tabakentwöhnung künftig zulasten der GKV unter definierten Bedingungen erfolgen kann.
Eine wichtige Rolle kommt dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zu: Er legt fest, welche Arzneimittel und unter welchen Voraussetzungen diese zur Tabakentwöhnung im Rahmen von evidenzbasierten Programmen verordnet werden können. Außerdem bestimmt er, welche Verfahren angewendet werden sollen, um eine bestehende starke Tabakabhängigkeit zu bestimmen. Und: Der Ausschuss legt die Anforderungen an die evidenzbasierten Programme zur Tabakentwöhnung fest – wie etwa Dauer der Intervention, Qualifikation des Personals und Qualitätssicherung. Wichtig zu wissen: Alle Programme, bei denen es sich nicht um ein Präventionsprogramm gemäß §20 SGB V handelt, sind keine GKV-Leistung. Im Falle einer positiven G-BA-Bewertung müssten sie in den Leistungskatalog aufgenommen werden, heißt es aus Expertenkreisen. Spannend ist daran, dass durch diese Hintertür auch die nicht-medikamentöse Tabakentwöhnungstherapie in die Regelversorgung gelangen dürfte.
Bisher hat der Gesetzgeber Arzneimittel zur Raucherentwöhnung von der Erstattungsfähigkeit ausgeschlossen. Sie werden in Paragraph 34 SGB V zur Kategorie der Lifestyle-Medikamente gerechnet, in die auch Mittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion oder Appetitzügler gehören und bei der eine „Erhöhung der Lebensqualität“ im Vordergrund steht.
In der Lifestyle-Falle
Diese Regelung ist schon seit Langem umstritten, zuletzt hatte die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen bei den Beratungen zum Bevölkerungsschutzgesetz II beantragt, den Passus zu streichen. Einige der Argumente gegen den Ausschluss aus der Verordnungsfähigkeit haben Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und Bundesärztekammer (BÄK) im Dezember in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zusammengefasst. Darin konstatieren sie, dass die von den Kassen angebotenen Nichtraucherkurse von den Versicherten kaum genutzt werden und die Kurse als Präventionsangebot für manifest erkrankte Raucher kein geeignetes Behandlungsangebot darstellten. Sie verweisen auf die vom Bundesgesundheitsministerium beauftragte DEBRA-Studie, wonach 20 Prozent der Rauchenden mindestens einmal pro Jahr versuchten, das Rauchen aufzugeben, 87 Prozent der Ausstiegswilligen bedienten sich dabei allerdings wissenschaftlich ungeeigneter Methoden, sodass bereits im ersten halben Jahr wieder 90 Prozent von ihnen rückfällig werden. Dabei stünden „hochwirksame Medikamente zur Tabakentwöhnung“ längst zur Verfügung, heißt es in dem Brief. BÄK und KBV verweisen auf eine Cochrane-Analyse, wonach in Gesundheitssystemen, in denen Patienten die Kosten zur Tabakentwöhnung erstattet bekommen, die Abstinenzraten nach sechs Monaten um mehr als 70 Prozent erhöht seien.
Aus gesundheitsökonomischer Perspektive argumentieren die Ärzteorganisationen außerdem, dass die Behandlung der COPD bei Patienten des leichtesten Schweregrades GOLD 1 die Kassen jährlich 2.600 Euro koste, während sich die medikamentösen Entwöhnungskosten pro Patient und Jahr auf bis zu 300 Euro beliefen.
Abschreckende Steuererhöhung
„Rauchende beim Rauchstopp unterstützen und Kostenübernahme der Behandlung der Tabakabhängigkeit gewährleisten“ lautet eine der zehn Maßnahmen, die in der im Mai vorgestellten „Strategie für ein tabakfreies Deutschland 2040“ enthalten sind. Getragen wird diese von einem breiten Bündnis von Gesundheits- und zivilgesellschaftlichen Organisationen, dazu gehören auch viele medizinische Fachgesellschaften sowie
die Deutsche Krebshilfe und das Deutsche Krebsforschungszentrum.
Als erste Maßnahme für ein tabakfreies Land wird in der Strategie genannt: die Tabaksteuern jedes Jahr deutlich erhöhen. Dass diese Forderung zuerst genannt wird, kommt nicht von ungefähr, denn Tabaksteuererhöhungen gelten als die effektivste Maßnahme, um Rauchende zu motivieren, mit dem Rauchen aufzuhören, sowie Kinder und Jugendliche davon abzuhalten, überhaupt zu beginnen. Diese Ansicht wird von vielen Experten und Institutionen, etwa der WHO, vertreten. Bei einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses im Mai dieses Jahres machen Mediziner darauf aufmerksam, dass die im geplanten Tabaksteuermodernisierungsgesetz vorgesehenen Steuererhöhungen zu gering ausfallen, um eine abschreckende Wirkung zu entfalten.
Ziele der öffentlichen Gesundheit
Der Gesetzentwurf, der im Juni vom Bundesrat abgesegnet wurde, sieht neben einer Besteuerung von Ersatzprodukten zur Zigarette wie beispielsweise die E-Zigarette eine von 2022 bis 2026 vorgenommene, „regelmäßige, moderate Erhöhung der Tarife für Zigaretten und Feinschnitt“ vor, informiert das Bundesfinanzministerium. Das DKFZ übt daran deutliche Kritik. In seiner Stellungnahme erinnert das Zentrum im Frühjahr an eines der Ziele des Gesetzes, nämlich ein Gleichgewicht zwischen konstanten Steuereinnahmen und den Zielen der öffentlichen Gesundheit. Dieses Gleichgewicht erreiche der Gesetzentwurf allerdings nicht, er habe lediglich die Generierung von Steuereinnahmen zum Ziel und „verschenkt das große Potenzial, deutliche Steuererhöhungen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung bei gleichzeitigem Anstieg der Steuereinnahmen einzusetzen“, betonen die Krebsexperten.
Weniger kritisch als das DKFZ reagiert die Deutsche Krebsgesellschaft auf das Gesetz. Ihrer Ansicht nach stellt es einen „Schritt in die richtige Richtung“ dar. Indes moniert die Gesellschaft, dass das parlamentarische Verfahren im Bundestag allein als finanzpolitisches Thema diskutiert wurde. „Trotz der Relevanz des Gesetzes für die Tabakprävention ist der Ausschuss für Gesundheit nicht bei Anhörungen einbezogen.“ Allerdings soll es innerhalb der CDU/CSU-Fraktion intensive Diskussionen zwischen den Finanz- und Gesundheitspolitikern gegeben haben. Daher konnte letztlich auch innerhalb der Fraktion erst kurz vor der finalen Sitzung des Finanzausschusses eine Einigung erzielt werden: Es findet sich eine ergänzende Erklärung, dass aus den Tabaksteuermehreinnahmen 500 Millionen Euro für Präventionsmaßnahmen in den Haushalt eingestellt werden sollen.
Rauchfreies Europa
An dem Ringen hinter den Kulissen wird deutlich, dass der Anspruch von „Health in all Policies“ im politischen Tagesgeschäft meist noch sehr schwergängig umzusetzen ist. Wie realistisch ist vor diesem Hintergrund das im „Europäischen Plan zur Krebsbekämpfung“ angestrebte „rauchfreie Europa“?
In dem Papier ist nachzulesen, dass bis zum Jahr 2040 weniger als fünf Prozent der Bevölkerung gegenüber derzeit etwa 25 Prozent Tabak konsumieren sollten. „Als Zwischenziel sollte die Zielsetzung der WHO erreicht werden, den Tabakkonsum bis 2025 um 30 Prozent gegenüber 2010 zu senken.“ Das entspricht einer Prävalenz des Rauchens in der EU von etwa 20 Prozent. Hierzulande beträgt derzeit laut DEBRA-Studie die Prävalenz aktueller Raucherinnen und Raucher 27,5 Prozent (Stand Januar/2021). Luft nach oben gibt es da noch reichlich. Abzuwarten bleibt, welche Wirkung die jüngsten Aktivitäten des Gesetzgebers haben werden.
Vermeidbare Krebserkrankungen
In der Nationalen Dekade gegen Krebs wird als ein Ziel formuliert, den Anteil vermeidbarer Krebserkrankungen an den Gesamtkrebserkrankungen um zehn Prozent zu senken. Der aktuelle Status quo: Infolge einer raucherspezifischen Erkrankung wurden in Deutschland im Jahr 2019 insgesamt 458 000 Patientinnen und Patienten im Krankenhaus behandelt, davon waren 57 Prozent Männer. Dem Statistischen Bundesamt zufolge ist damit die Zahl solcher vollstationärer Behandlungen im Vergleich zu 2010 um 18 Prozent gestiegen. 211.300 dieser Fälle waren auf einen Lungen- und Bronchial-, Kehlkopf- oder Luftröhrenkrebs zurückzuführen, 246.700 auf eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Die behandelten Patientinnen und Patienten waren im Durchschnitt 67,3 Jahre (Krebsdiagnosen) beziehungsweise 70,5 Jahre (COPD) alt.
Verpflichtungen und Umsetzungen
Deutschland hat das Rahmenabkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs von 2003 unterzeichnet. Damit wurde die Verpflichtung eingegangen, den Zugang zu bezahlbaren Behandlungen der Tabakabhängigkeit „einschließlich pharmazeutischer Produkte“ zu erleichtern. „Zu diesen Produkten und deren Bestandteilen können Medikamente, Produkte zur Verabreichung von Medikamenten und Diagnostika, soweit zutreffend, gehören“, heißt es in dem Abkommen. Dieser Verpflichtung ist Deutschland jetzt mit dem GVWG nachgekommen.
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Weiterführender Link:
Rahmenabkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs:https://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/download/fctc/FCTC_deutsche_Uebersetzung.pdf