Im Fokus

AMNOG-Baustellen: Was kommt als Nächstes?

Offene Fragen gibt es bei Zell- und Gentherapien

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Berlin (pag) – Auch nach den zum Teil sehr weitreichenden AMNOG-Änderungen, die das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) im Gepäck hat, geht die Debatte um weitere Reformen weiter. Und auch bei den Einspareffekten scheint das letzte Wort noch nicht gesprochen. Über Zwischenschritte, Kollateraleffekte und systembedingte Schwachstellen, die bislang noch unberücksichtigt sind.

Das GKV-FinStG sieht unter anderem die Einführung eines pauschalen Kombinationsabschlages von 20 Prozent auf bislang nicht gesondert preisregulierte Arzneimittelkombinationen vor. Weiterhin etabliert das Gesetz neue Leitplanken für Erstattungsbeträge, die Absenkung der Orphan-Umsatzschwelle von 50 auf 30 Millionen Euro sowie die Rückwirkung des Erstattungsbetrages auf den siebten Monat nach Markteintritt. Bei den beiden zuletzt genannten Maßnahmen erscheint eine „zeitnahe Realisierung der gesteckten Einsparziele unrealistisch“, heißt es im jüngst erschienenen AMNOG-Report 2023 der DAK-Gesundheit. Im Detail bedeutet das: Der Gesetzgeber schätzt das Einsparpotenzial des rückwirkenden Erstattungsbetrags auf 150 Millionen Euro pro Jahr, die Reportautoren gehen von lediglich 80 Millionen Euro aus.
Stichwort Orphan-Umsatzschwelle: Hier rechnet der Gesetzgeber mit 100 Millionen Euro pro Jahr. Die Verfasser des AMNOG-Reports halbieren dagegen das Einsparpotenzial und erwarten nur bis zu 50 Millionen Euro jährlich. Für die Erstattungsbetragsleitplanken gehen die Autoren um den Gesundheitsökonomen Prof. Wolfgang Greiner dagegen davon aus, dass das Einsparziel übertroffen werde – „wenngleich eine präzise Abschätzung der potenziellen Einsparungen über alle AMNOG-Wirkstoffe derzeit nicht möglich ist“. Für den pauschalen Kombinationsabschlag sei das Einsparpotenzial ebenfalls nicht seriös bezifferbar, was die Experten auf praktische Umsetzungsfragen im Hinblick auf die Identifikation und das Versorgungsmonitoring von Kombinationstherapien zurückführen.

 

Zwischenschritte und Kollateraleffekte

Nur ein Zwischenschritt? Die Regelungen des GKV-FinStG zu Leitplanken und Kombitherapien sind der Grund, warum Prof. Wolfgang Greiner (links) und DAK-Chef Andreas Storm das Gesetz als „Zwischenschritt“ bezeichnen. Weitere Eingriffe könnten erforderlich sein. © pag, Fiolka

Die Regelungen des GKV-FinStG zu Leitplanken und Kombitherapien sind auch der Grund, warum Greiner und Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, das Gesetz im Vorwort als „Zwischenschritt“ bezeichnen. Weitere Eingriffe des Gesetzgebers könnten erforderlich sein, sollte etwadie Komplexität der AMNOG-Leitplanken zur Preisbildung nicht die gewünschten, sondern Kollateraleffekte mit sich bringen, heißt es dort. Auch die Umsetzung des Kombinationsabschlages könnte – bei „fehlendem pragmatischen Lösungswillen der Vertragspartner“ – eine weitere Regulierung notwendig machen. Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, geht in seinem Beitrag für den Report ebenfalls auf dieses Thema ein. Einen Abschlag hält er zwar für grundsätzlich sinnvoll, den pauschalen Abschlag von 20 Prozent sieht er jedoch kritisch, „da damit weder der Zusatznutzen einer Kombinationstherapie noch der jeweilige Zusatznutzen der Einzelkomponenten einer Kombinationstherapie im Einzelfall angemessen abgebildet wird“.

Intransparenz im Krankenhaus

Zu „systembedingten Schwachstellen“, die der Gesetzgeber noch nicht berücksichtigt hat, äußert sich die DAK im Report. Sie nennt unter anderem die Ausgabenentwicklung von Arzneimitteln bei stationären Behandlungen. Die Kasse verweist auf die Tendenz, dass sich Behandlungen – gerade mit hochpreisigen Arzneimitteln – unter anderem durch Spezialisierungen von Arzneimitteltherapien vermehrt ins Krankenhaus verlagerten. „Dadurch werden Auswertungen bezüglich der Ausgaben zunehmend verzerrt und von mancher Seite gegenüber Politik und Öffentlichkeit lediglich auf die Ausgaben im ambulanten Sektor verwiesen.“ Die Arzneimittelausgaben im Krankenhaus beziffert die DAK auf fast 1,2 Milliarden Euro.

Außerdem wirft die Kasse die Frage auf, wie im Preisbildungsverfahren mit ATMPs im Allgemeinen und mit sogenannten Einmaltherapien im Speziellen sowie mit deren Besonderheiten umgegangen werden könne. Letzteren Punkt sieht auch der Gesundheitsökonom Prof. Jürgen Wasem. Im Gespräch mit der Presseagentur Gesundheit erwähnt er als eine AMNOG-Baustelle den „Umgang mit der Unsicherheit bei Zell- und Gentherapien, insbesondere bei der Risikoteilung hinsichtlich der Unsicherheit über die langfristigen Effekte von Einmaltherapien“. Wasem spricht außerdem die noch ausstehende Reaktion zum Thema Euro-HTA an.

 

Regierung verteidigt Kombinationsabschlag
Der neue Kombinationsabschlag ist nach Ansicht der Bundesregierung gerechtfertigt. Der gleichzeitige Einsatz mehrerer Arzneimittel in Kombination führe dazu, dass sich aktuell die Kosten der Einzelwirkstoffe summierten, hinreichende Evidenz zum Gesamtnutzen der Kombination für den Patienten und zum Anteil eines Kombinationspartners am Therapieerfolg jedoch regelhaft nicht vorhanden sei, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion. Zur Gewährleistung der finanziellen Stabilität der GKV sei es gerechtfertigt, dass die Solidargemeinschaft beim Einsatz von Kombinationstherapien mit geringeren Gesamtkosten belastet werde als der Summe der Erstattungsbeträge bei einer Anwendung in der Monotherapie. Der Gesetzgeber habe sich mit dem Kombinationsabschlag für ein Regulierungsinstrument mit hoher Zielgenauigkeit und differenzierter Ausgestaltung entschieden, heißt es weiter. (Siehe Link 1)

Warnung vor dem Preis-Algorithmus

Von den AMNOG-Reformen des GKV-FinStG bereitet dem ehemaligen Vorsitzenden der Schiedsstelle nach § 130b SGB V vor allem die Vorgabe Bauchschmerzen, dass der Preis bei geringem oder nicht quantifizierbarem Zusatznutzen nicht höher als der der zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) sein darf, wenn diese noch unter Patentschutz steht. „Zum einen halte ich es grundsätzlich für falsch, inkrementellen Fortschritt nicht mehr zu belohnen“, sagt Wasem. Zum anderen führe es auch zu völlig absurden Ergebnissen: Zum Beispiel sei dann der Preis für ein Arzneimittel, das in Kombination mit der zVT gegeben wird und wo diese Kombination einen geringen Zusatznutzen hat, Null. „Dass das Unfug ist, ist doch offensichtlich.“ Wasem warnt grundsätzlich davor, dass sich das AMNOG ein Stück weiter vom Verhandeln eines Preises in Richtung eines Algorithmus entwickele. Damit könnten den Besonderheiten in den jeweiligen Einzelfällen oft nicht angemessen Rechnung getragen werden. „Das Minimum, was meines Erachtens hier geändert werden müsste, wäre auch für die neuen Konstellationen bei patentgeschützten Komparatoren eine Soll-Regelung einzuführen“, schlägt er vor.

 

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…durch die Hintertür
Leistungskürzungen durch die Hintertür prangert dagegen der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) in einer Reaktion auf den AMNOG-Report an. Die Begründung: Mit dem GKV-FinStG ermögliche der Zusatznutzen einer neuen Therapie nicht mehr in jedem Fall einen höheren Preis als ihn die bisherige Vergleichstherapie hatte. Dadurch sei nicht länger jede Innovation für den hiesigen Markt interessant und nicht jedes neue Medikament werde künftig auch hierzulande verfügbar sein. „Deutschland wird mit einer Schlechterstellung bei der Versorgung mit Arzneimitteln leben müssen, die sich für Patientinnen und Patienten wie Leistungskürzungen auswirken werden“, prophezeit vfa-Präsident Han Steutel. (Siehe Link 2 )


Weiterführende Links:

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU, 7. März 2023, PDF, 8 Seiten
https://dserver.bundestag.de/btd/20/059/2005904.pdf

AMNOG-Report 2023, Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz und seine Auswirkungen, DAK-Gesundheit, 1. März 2023, PDF, 101 Seiten
https://www.dak.de/dak/bundesthemen/amnog-report-2023-2610266.html#/