In Kürze

Waren der besonderen Art

Berlin (pag) – Irgendetwas hat sich in der Gesellschaft an der Einstellung zu Arzneimitteln geändert, beobachtet Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer. Die Nachfrage nach leistungssteigernden Medikamenten und Arzneimitteln, die Lebenssituationen verbessern, sei deutlich gestiegen. Den Zwang zur Selbstoptimierung hinterfragt er auf einem Symposium der Kammer zu Arzneimittelmissbrauch.

Auf der Veranstaltung wird eine aktuelle forsa-Befragung von 5.000 Bundesbürgern zwischen 16 und 70 Jahren präsentiert. Demnach akzeptiert fast die Hälfte (43 Prozent) den Missbrauch von Medikamenten. 17 Prozent haben verschreibungspflichtige Arzneimittel schon einmal ohne medizinische Notwendigkeit eingenommen, um ihr persönliches Wohlbefinden zu verbessern. Für weitere 26 Prozent der Befragten wäre das akzeptabel. Wichtigster Grund für die Einnahme der Medikamente ist der Umfrage zufolge die Stimmungsverbesserung oder die Reduzierung von Nervosität beziehungsweise Angst. 13 Prozent der Befragten haben aus diesem Grund schon mal zu rezeptpflichtigen Medikamenten gegriffen. Für weitere 20 Prozent käme dies grundsätzlich infrage. Die Steigerung von Konzentration und anderer geistiger Leistungen war für fünf Prozent der Grund, schon einmal ein rezeptpflichtiges Medikament ohne medizinische Notwendigkeit einzunehmen. Für weitere 22 Prozent ist dies eine Option.

Die „Alles-ist-möglich“-Mentalität

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Der Koblenzer Apotheker Kiefer stellt klar: „Die paradiesische Vorstellung, wir könnten jede Herausforderung des Lebens durch das Beeinflussen der Körperfunktionen mit Pharmaka meistern – das wird nicht funktionieren.“ Er hat den Eindruck, dass sich die kritische Sicht, Körperfunktionen mit Arzneistoffen zu beeinflussen, durch eine „Alles-ist-möglich“-Mentalität geändert habe. In seinem Vortrag fragt er: Gibt es einen Zwang zur Selbstoptimierung? Und wenn dem so wäre, müsste man Fragen der sozialen Gerechtigkeit mitdenken? Kiefer verweist darauf, dass Lifestyle-Arzneimittel keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung seien. Werden jene, die sich solche Mittel finanziell nicht leisten können, noch stärker abgehängt?
Der Pharmazeut betont außerdem, dass es sich bei Arzneimitteln um Waren der besonderen Art handele. Sie seien keine Verbrauchsgüter und würden daher nicht den klassischen Marktregeln unterliegen. Apotheken und Verschreibungspflicht seien keine Schikane, kein Hemmnis des schnellen Abverkaufs, sondern ein Schutzzaun für die Anwender.