Im Fokus

Die Vertrauensfrage in der digitalen Medizin

Kein Zaudern mehr: Ärzteschaft will gestalten

Berlin (pag) – „Wir sollten uns auf den Weg machen, um die Digitalisierung der Medizin angemessen zu begleiten“, appelliert der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Klaus Reinhardt. Auf einer Veranstaltung der Kammer fordert er für die Digitalisierung eine Gesamtstrategie und einen Ordnungsrahmen für politische, rechtliche und ethische Fragen.

„Die Vertrauensfrage in der digitalen Medizin“ lautet der Titel der BÄK-Veranstaltung. Dort unterstreicht Dr. Peter Bobbert die enorme Geschwindigkeit, mit der sich der digitale Wandel vollzieht. Das sei in der Vergangenheit mehrfach unterschätzt worden. Dem Vorsitzenden des Kammerausschusses „Digitalisierung der Gesundheitsversorgung“ ist es ein wichtiges Anliegen, dass die digitale Medizin „nicht nur eine andere, sondern eine bessere Medizin“ wird. In deren Mittelpunkt habe weiterhin die Menschlichkeit zu stehen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) © pag, Fiolka

Ähnlich sieht es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der betont, dass ärztliches Handeln weiterhin von dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient geprägt sein werde. Er geht auch auf Parameter ein, die das Vertrauen in die digitale Medizin stärken. Dazu gehört für den CDU-Politiker, dass sich Ärzte – aber auch andere Gesundheitsberufe – Kompetenzen in diesem Bereich aneignen. Das geplante Digitale-Versorgung-Gesetz sieht vor, dass Ärzte künftig Apps auf Rezept verschreiben können.

Spahn ist davon überzeugt, dass das Vertrauen neben einer robusten Datensicherheit und einem verlässlichen Datenschutz auch dadurch wächst, wenn positive Auswirkungen im Versorgungsalltag für die Patienten spürbar werden. Als Beispiel nennt er die Video-Sprechstunde. Grundsätzlich wirbt er dafür, das „Digitale nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung“ wahrzunehmen und es selbst zu gestalten anstatt es zu erleiden. Denn dann könne daraus etwas Gutes werden.

„Entwicklung ohne Risiko ist unrealistisch“

 

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Bei der folgenden Diskussion geht es insbesondere um Apps. Dr. Martin Hirsch, Mitbegründer der Gesundheitsapp Ada, stellt in diesem Kontext die Vertrauensfrage anders herum: „Wie steht es mit dem Vertrauen gegenüber Ärzten, die sich solchen Tools verweigern?“ Für den Vorstandsvorsitzenden der Barmer, Prof. Christoph Straub, sind Apps keine stabilen Produkte, weil bei ihnen Veränderungen miteingebaut seien. Das erschwere valide Urteile. Grundsätzlich wirbt er für eine gewisse Risikobereitschaft, denn: „Entwicklung ohne Risiko ist unrealistisch.“ Der Unfallchirug Dr. Sebastian Kuhn, Universitätsmedizin Mainz, stellt die ärztliche Aufgabe heraus, technische Innovationen in sinnvolle Patientenbehandlungen zu übersetzen. Als historisches Beispiel nennt er das Röntgen. Bevor die Strahlen ihren Siegeszug in der Medizin antraten, hätten sich Jahrmarktbesucher zur allgemeinen Belustigung durchleuchten lassen. In der Medizin sei diese Übersetzungsleistung daher nichts Neues, sie bestimme ärztliches Handeln seit Generationen.

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Nachgefragt bei Dr. Peter Bobbert, Bundesärztekammer

„Ärzteschaft muss Verantwortung wahrnehmen“

Dr. Peter Bobbert, Vorsitzender des BÄK-Ausschusses „Digitalisierung der Gesundheitsversorgung“ © pag, Fiolka

Was müssen die nächsten konkreten Schritte der Ärzteschaft sein, um den digitalen Wandel in der Medizin nicht nur zu erdulden, sondern aktiv mitzugestalten?

Dr. Bobbert: Um gestalten zu können, benötigt man einerseits den Willen und andererseits die Expertise.
Der Wille besteht bereits spätestens seit dem Ärztetag in Freiburg 2017, als die Ärzteschaft zum ersten Mal im breiten Konsens die Notwendigkeit des konstruktiven Handelns im digitalen Wandel der Medizin einforderte. Gleichzeitig hat sie betont, dass die Digitalisierung in der Medizin eine große Chance und kein Risiko ist. Die weiteren Schritte sind der schnelle Erwerb einer ausreichenden digitalen Kompetenz und Expertise. In der ärztlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung müssen digitale Inhalte implementiert werden, um die Voraussetzung zu schaffen, dass die Ärzteschaft den Wandel kompetent und produktiv mitgestalten kann. Zudem müssen wir in der ärztlichen Selbstverwaltung mehr als bisher der Politik konkrete Angebote bei der Umsetzung und Realisierung digitaler Anwendungen machen. Wir müssen es sein, die Antworten auf Fragen finden, wie zum Beispiel eine nützliche elektronische Patientenakte oder wie aus ärztlich wissenschaftlicher Sicht eine sinnvolle Einführung von digitalen Gesundheitsapps auszusehen hat.

Welche Hürden müssen dabei abgebaut werden?

Dr. Bobbert: Es ist die Hürde zu nehmen, nicht mehr nur Ziele im Wandel zu beschreiben, sondern konkret bei der Umsetzung Wege zu bauen. Wir dürfen uns nicht auf andere verlassen, sondern müssen unsere Verantwortung wahrnehmen.

In welchen Bereichen sind die Ärzte bei der digitalen Medizin gut aufgestellt, wo sehen Sie den größten Nachholbedarf?

Dr. Bobbert: Wir konnten in den letzten Jahren schon wichtige Entwicklungen im ärztlichen Arbeitsalltag und in der wissenschaftlichen Tätigkeit verzeichnen. Das Interesse und Engagement der Ärzteschaft, digitale Anwendungen effektiv und schnell in unseren Arbeitsalltag zu implementieren, ist hoch. Digital Health spielt bereits heute in der Nachwuchsförderung, in der Wissenschaft und an den Universitäten eine entscheidende Rolle. Wir haben einen hervorragenden Prozess bereits begleiten können, der in Zukunft wichtige Impulse geben wird. Berufspolitisch müssen wir allerdings noch in unserem Handeln besser werden. Es fehlt nicht am Willen. Aber wir müssen verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen, um auf politischer Ebene wieder als der kompetente Ansprechpartner auch im digitalen Wandel angesehen zu werden. Dies bedeutet, dass wir beharrlich und schnell stets konkrete Wege aufzeigen müssen, wie digitale Anwendungen in die Realität umgesetzt werden können. Die Zeit des Betonens, warum etwas nicht geht, ist vorbei. Die Ärzteschaft gestaltet.